Gefangenes Wort

Enoh Meyomesse liest in Giessen

von Ursula Wöll

Der Giessener Verein „Gefangenes Wort eV“ wählte das Grundrecht EnohMeyomesseauf freie Meinungsäußerung zu seinem Motto. Er kümmert sich um Schriftsteller, die verfolgt oder gar inhaftiert sind. Als Enoh Meyomesse  (Foto) 40 Monate lang in seinem Heimatland Kamerun eingekerkert war, bekam er einen Laptop, damit er in Haft arbeiten konnte. Der Schriftsteller lebt nun seit 2015 im Exil, und zwar auf Einladung des PEN-Zentrums in Darmstadt. Am 5. Juli liest er in Giessen aus seinen Werken. „Gefangenes Wort eV“ veranstaltet den Abend gemeinsam mit dem Institut der Germanistik der Uni und dem Literarischen Zentrum Giessen eV.

Wenig beachtetes Kamerun

Die Lesung ist Teil der Reihe „Writers in Exile“ des deutschen PEN-Zentrums. Ich war erstaunt, dass auch in Kamerun Menschen wegen unliebsamer, also regierungskritischer Meinungen verhaftet werden. Zwar wusste ich, dass das Land in Zentralafrika von einer autoritären und korrupten Regierung geführt wird, Präsident ist seit 1982 (!) Paul Biya, er wurde alle 7 Jahre „wiedergewählt“. Dass Leute mit Zivilcourage wie Enoh Meyomesse über drei Jahre lang hinter die Gitter des Zentralgefängnisses der Hauptstadt Yaoundé gesteckt werden, weil sie demokratische Verhältnisse fordern, war mir neu. Unsere Medien beachten Kamerun mit seinen 21 Millionen Einwohnern leider nur wenig, weil dort wenig Spektakuläres passiert.

Einst deutsche Kolonie

Gestehen muss ich auch, dass mir dieser 1954 geborene Poet, kamerunRomanschriftsteller und Historiker bisher unbekannt war. Er scheint aber in Frankreich, wo er studierte, unter literarisch Interessierten ein Begriff zu sein. Blamabel für mich, zeigt es doch meinen eurozentrierten Tunnelblick auf Literatur. Doppelt blamabel, war doch das seit 1960 unabhängige Kamerun einmal deutsche Kolonie, wenn auch nur von 1884 bis 1916. Dadurch hat das Land eigentlich unsere besondere Beachtung verdient, denn in dieser Epoche gingen die deutschen „Schutztruppen“ brutal mit den verschiedenen Ethnien um. Um auch das Landesinnere zu unterwerfen, wurden Expeditionen von Duala aus unternommen, die viele hundert Dörfer niederbrannten, Vieh und Ernte stahlen und Widerständige ermordeten. Im Jahr 1901 tat sich ein Oberstleutnant von Pavel dabei besonders hervor. In Deutsch-Südwestafrika begingen die kaiserlichen Soldaten wenige Jahre später einen Völkermord an den Herero, woran die Medien momentan erinnern. Doch auch in den anderen deutschen Kolonien brachten sie Unglück statt „Zivilisation“.

Der Königsmord
RudolfDualaMangaBell
Rudolf Manga Bell

In Kamerun gipfelte dies in einem Königsmord. Am 9. August 1914 wurden König Rudolf Manga Bell und  sein Sekretär gehängt. Dieser Rudolf war zunächst zutiefst deutschfreundlich eingestellt. Sein Vater hatte ihn nach Aalen und Ulm in eine Schule geschickt, seine Wohnung in Kamerun war europäisch eingerichtet, und auch er sandte seinen Sohn zum Studieren ins Kaiserreich. Als die Kolonialherren allerdings den Ort Duala in einen weißen und einen schwarzen Teil separieren wollten – wobei die einheimischen Schwarzen in ein Sumpfgebiet ziehen sollten – da wurde Manga Bell „aufsässig“. Er engagierte den Berliner Rechtsanwalt Dr. Halpert und schrieb Petitionen, unter anderem an den Reichstag in Berlin. Obwohl sein Protest friedlich war, verurteilte ihn die Kolonialverwaltung nach Weltkriegsbeginn zum Tod und erhängte ihn wenige Tage später.

Offene Wunden hinterlassen

Wenn auch nicht jede Fehlentwicklung in Afrika auf die Kolonisierung durch die weiße „Herrenrasse“ rückführbar ist, so hat sie doch offene Wunden hinterlassen und manche positive Entwicklung behindert. Bis heute übrigens, wo nun Land-Grabbing in großem Stil stattfindet und sogar durch Entwicklungsgesellschaften gefördert wird. Die Lesung verspricht also auch eine interessante und wichtige Diskussion. Sie findet – bei freiem Eintritt – am 5. Juli um 19.30 Uhr statt, und zwar im KiZ (Kongresshalle, Südanlage 3a, gegenüber dem Stadttheater). Parkplätze vor dem Eingang.

2 Gedanken zu „Gefangenes Wort“

  1. Liebe Ursula Wöll,
    Danke für den Artikel, denn auch für mich ist einiges neu, obwohl ich nach Kamerun familiäre Bindungen habe. Leider kann man nicht alles wissen (Königsmord), dass aber in Kamerun eine
    ‚Demokratur‘ herrscht, ist bekannt. Leider wird über die dort überall praktizierte Korruption und das Land-Grapping (Land-
    raub, Waldraub) nicht berichtet, obwohl der ‚WWF‘ dort ist.
    Dennoch werden ständig die Wälder geplündert, Bäume und Tiere zugunsten privater, regionaler Kleinherrscher aus dem Land geschafft.
    Thomas S. Kohl

  2. Leserbrief
    06.07.2016
    Meinungsfreiheit,
    Pressefreiheit,
    Recht auf körperliche Unversehrtheit,
    Anspruch auf ein rechtsstaatliches justizielles
    als wesentliche Bestandteile einer Demokratie weiß nur der wirklich zu schätzen, dem sie entzogen worden sind und der sie in einem fremden Land als gelebt erfährt. Welch ein Aufatmen, welch eine Wonne, welch ein Glück strömen durch den Körper und den Geist; ein Leben ohne Angst!
    Diese gelebte Erfahrung seit Oktober 2015 ist für den kamerunischen Schriftsteller und Lyriker Enoh Meyomesse eine neue Kraftquelle hier und jetzt in Deutschland, in Darmstadt, wo er Stipendiat der Elsbeth-Wolffheim Stiftung ist, in Gießen, wo er seine Gedichte in französicher Sprache vortrug hat, und überall dort, wo er herzlich empfangen und betreut wird. Sie ist aber auch eine Kraftquelle für die Zeit seiner Rückkehr in das eigene Land.
    Möge diese Kraftquelle ihm lange erhalten bleiben, um weiterhin sein „direktes Wort“ und seine „aufrechte Haltung“ zu stärken.
    Seine Dankbarkeit an das wieder gewonnene Leben ist grenzenlos. Wir aber als Zuhörer müssen ihm dankbar sein, weil er uns Einblick in die Demokratie seines Heimatlandes gegeben und damit unseren Blickwinkel auf die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen vergrößert hat.
    Elke Scheiner, 55288 Gabsheim

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