Oft schwere Verstöße
von Jörg-Peter Schmidt
Friedlich grasende Tiere auf der Weide, die artgerecht gehalten werden, sind für Spaziergänger ein heimeliger Anblick. Leider ist die Wirklichkeit nicht immer so idyllisch, wie während einer Pressekonferenz des Landkreises Gießen deutlich wurde: Amtsärztin Dr. Maike Klein (Sachgebietsleitung für Tierschutz im Veterinäramt) und Christian Zuckermann (Dezernent für Veterinärwesen und Tierschutz) berichteten, dass die Zahl der Tierschutzanzeigen im Landkreis Gießen erheblich gestiegen ist. Darunter sind viele gravierende Fälle.Dr. Klein informierte über eine erschreckende Bilanz: 2014 wurden 294 Tierschutzmeldungen verzeichnet, 2020 waren es 447, 2021 insgesamt 584 und 2022 bis Februar bereits 100 Fälle. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Veterinäramts den Anzeigen nachgehen, erleben sie oft Situationen von nicht ordnungsgemäßer Tierhaltung, die man durch Tipps mit den jeweiligen Halterinnen oder Haltern klären kann, wenn sie einsichtig sind.

Manchmal vegetieren Tiere angekettet dahin

Nicht selten wird das Amt jedoch mit Verstößen konfrontiert, die heftig sind. Dr. Klein belegte dies mit Fotos, die an den jeweiligen Standorten des Geschehens aufgenommen wurden. Auf den Fotografien zu sehen sind beispielsweise: ein Hund, der dauerhaft in einer zugemüllten Garage hinter dem geschlossenen Tor angekettet ist oder in einem anderen Fall quasi ohne Unterbrechung im engen Zwinger dahinvegetiert, Schweine in einem unsauberen Stall, die sich gegenseitig Schwänze abgefressen haben; einem Schwein fehlte ein Ohr. Und es gibt Haushalte, in denen von psychisch kranken Menschen massenweise Hunde oder Katzen in Räumen gehalten werden, die völlig verdreckt sind.
Pony mit Fußfesseln versehen
Ein Pony war mit „Fußfesseln“ versehen worden. Und dann gab es noch folgende Situation: 250 Wellensittiche mussten befreit werden. Der Halter schleppte ständig neue dieser Vögel an, von denen viele starben. Verstöße kommen in einigen Fällen auch bei Zoos oder Zoohandlungen vor.
Nur die Spitze des Eisbergs?
Dezernent Zuckermann kam zum Schluss, dass die erwähnten Beispiele wohl nur die Spitze des eines Eisbergs sind, da so manche Verstöße nicht angezeigt werden. Man müsse darüber sprechen, dass der Landkreis Gießen sich beim Tierschutz noch mehr einbringen könnte.
Es kommen auch Aggressionen vor
Dr. Klein erläuterte, dass den eben beschriebenen Schweinen folgendermaßen geholfen werden kann: Gegen ihre tatsächlich bestehende Langeweile könne man in dem Stall Beschäftigungsmaterial unterbringen. Auch müsste der zu feuchte Stall erweitert und dringend gereinigt werden.
Dr. Klein und Christian Zuckermann schilderten im Übrigen noch einen weiteren erschreckenden Trend: Wenn Teams des Veterinäramts (aus Sicherheitsgründen nicht allein) den Anzeigen nachgehen, treffen sie nicht selten auf äußerst aggressive Halter, die sich nicht belehren lassen wollen. Es kommt vor, dass die Polizei eingreifen muss.
Teams geben Tipps für Verbessungen
Wie geht man vor, wenn eine Anzeige vorliegt? Maike Klein erläuterte den üblichen Verlauf: Der Ort, an dem sich der Verstoß gegen den Tierschutz ereignet haben soll, wird aufgesucht, durchaus auch ohne Anmeldung. Gibt es eine mangelhafte Unterbringung von Tieren, werde der Halter aufgefordert, für die notwendige Verbesserung zu sorgen. Ein Beispiel: Nicht gut sei es, wenn ein Pferd allein auf einer Weide steht, ohne Blick- oder Geruchskontakt zu anderen Artgenossen, das es als Herdentier aber benötige. Hier werde dem Halter beispielsweise vorgeschlagen, dass ein anderer Halter sein Pferd auf eine abgesteckte Fläche stelle.
Wenn es ganz schlimm bei Verstößen gegen den Tierschutz kommt, müsse dem Halter das Tier oder die Tiere weggenommen werden. Und es könne sogar soweit kommen, dass ein Haltungs- und Betreuungsverbot ausgesprochen wird. Die entsprechenden Gesetzesvorgaben seien vorhanden. Oft können man Tiere, die man weggenommen hat, noch vermitteln, beispielsweise an Tierheime, Pflegestellen, im Fall von Nutztieren wie Rindern oder Schweinen an andere Betriebe. Sogar einige der besagten Wellensittiche konnten untergebracht werden.
Die Amtsärztin berichtete, dass in Zeiten der Pandemie sich immer mehr Menschen Tiere anschaffen. Es komme dann vor, dass die jeweiligen Besitzer nicht ausreichend informiert sind, wie man ein Tier ordnungsgemäß hält.
Amt ordnet keine Schlachtungen an
Abschließend wies die Amtsärztin noch auf einen wichtigen Aspekt hin: Oft wird behauptet, das Veterinäramt ordne Schlachtungen an. Das trifft aber nicht zu.
Titelbild: Dieses Pony war mit „Fußfesseln“ versehen worden.