Landrätin bleibt – Neuer OB in Gießen
von Jörg-Peter Schmidt
Anita Schneider (SPD) bleibt Landrätin, Frank-Tilo Becher (SPD) wird Oberbürgermeister (OB) in Gießen und Marc Nees (parteilos) ist der neue Bürgermeister in der „Golden-Oldies“-Gemeinde Wettenberg. Dies sind die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Stichwahlen am 24. Oktober 2021 im rund 270.000 Einwohner zählenden Landkreis Gießen.Groß war die Enttäuschung der jeweiligen Verlierer, die fair den Siegern gratulierten. Der Berufsschullehrer Alexander Wright (Grüne), der sich bei der ersten Wahl am 26. September 2021 noch unter anderem gegen Frederik Bouffier (CDU) durchsetzen konnte, erhielt diesmal etwa 44,3 Prozent, der frühere evangelische Dekan und spätere Landtagsabgeordnete Frank-Tilo Becher erreichte rund 55,7 Prozent der Stimmen. Der Jurist Peter Neidel (CDU), der bis vor Kurzem noch Bürgermeister in Gießen war, aber aufgrund neuer Mehrheitsverhältnisse abgewählt wurde, kam auf rund 33,6 Prozent, die Diplom-Politilogin Anita Schneider auf etwa 66,4 Prozent. Es kann durchaus möglich sein, dass Peter Neidel seinen früheren Beruf als Richter wieder aufnimmt.

Parteiloser siegt in Wettenberg
Im rund etwa 12.600 Einwohner zählenden Wettenberg gab es keinen Sieg der Sozialdemokraten. Ihrem Kandidaten Ralf Volgmann, der 1. Beigeordneter der Gemeinde ist, reichten rund 40 Prozent der Stimmen nicht; rund 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler entschieden sich für den parteilosen Marc Nees, der in der Wahlnacht unter dem Jubel seiner Anhänger Nachfolger von Thomas Brunner (SPD) wurde, der nicht mehr antrat. In Wettenberg lag die Wahlbeteiligung bei etwa 60 Prozent. Bei der Oberbürgermeisterwahl betrug sie etwa 37,7 Prozent, bei der Landratswahl 37,3 Prozent.
Jubel der SPD in Gießen
Im Gießener Rathaus konnte die Bevölkerung den packenden Wahlverlauf auf Monitoren verfolgen. Als gegen 19.30 Uhr die bisherige und künftige Landrätin und der neue Oberbürgermeister gemeinsam die Treppen der Stadtverwaltung herunterkamen, brandete frenetischer Applaus auf, der vorwiegend von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kam. Dieser Beifall wirkte aus Sicht der SPD befreit, weil allgemein angenommen worden war, dass es bei der Oberbürgermeisterwahl bis zum Schluss sehr eng werden würde. In einigen Prognosen war der Bewerber von Bündnis 90/Die Grünen sogar leicht favorisiert gewesen, zumal die Grünen stärkste Fraktion im Gießener Parlament sind.
Alexander Wright (Grüne) OB-Stellvertreter?
Aus der Politik verabschieden wird sich Alexander Wright nicht. Wie er selbst ankündigte, möchte er eine Position im Gießener Magistrat bekleiden. Es kann durchaus sein, dass er Bürgermeister in der Universitätsstadt wird, die kürzlich die Marke von 90.000 Einwohnern überschritten hat. Er wird also die parlamentarischen Entscheidungen in Gießen, deren Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz nicht mehr antrat, wesentlich in Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen mitbestimmen. Sie freute sich über die Siege von Anita Schneider und Frank-Tilo Becher.

Auch CDU wird wichtige Rolle spielen
In der Gießener Stadtverordneten-Versammlung besteht eine Zusammenarbeit zwischen Grünen, der SPD und der Linkspartei. Die CDU gehört jetzt in der Opposition an. Aber man kann aufgrund ihrer langen Regierungserfahrung auf regionaler und überregionaler Ebene damit rechnen, dass sie bei künftigen Entscheidungen eine wichtige Rolle spielt.
Im Landkreis Gießen sind jetzt erst mal alle Wahlvorgänge abgeschlossen. Die Verantwortlichen können sich ganz auf die kommenden Aufgaben konzentrieren. Und die sind gewaltig
Der Kommentar von Jörg-Peter Schmidt
Es ist gut, dass der lange Wahlkampf jetzt auch im Kreis Gießen vorbei ist. Denn auf alle Politikerinnen und Politiker – ob in Regierungsbündnissen oder in der Opposition – kommen äußerst schwierige Aufgaben zu, deren Ausmaße noch gar nicht absehbar sind. Die Hauptaufgabe, die Vorbeugung gegen Corona, kann weiterhin nur in engster Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Landkreis Gießen sowie den Kommunen und den verschiedenen Behörden wie dem Regierungspräsidium Gießen, dem Land und dem Bund und nicht zu vergessen, dem medizinischen Personal erfolgen.
Diese Zusammenarbeit im Kampf gegen eine weltweite Gefahr, die bereits so viele Todesopfer und Langzeitschäden gefordert hat, ist bisher im Raum Mittelhessen insgesamt gut gelungen. Dies wird sicherlich auch zum Wahlerfolg von Landrätin Anita Schneider (SPD) beigetragen haben, die mit ihrem Team in überparteilicher Zusammenarbeit mit der Stadt Gießen und den weiteren zuständigen Institutionen mit ruhiger Hand Maßnahmen ergriff, die oft unpopulär, aber notwendig waren bzw. sind.
Die Inzidenzen steigen wieder bundesweit – Corona ist noch lange nicht besiegt. Die heftige Aufgabe der Verantwortlichen, ob sie nun parteiangehörig oder parteilos sind, ist Folgende: Sie müssen Maßnahmen gegen Covid treffen, ohne dabei Panik zu erzeugen, aber die Situation auch nicht zu verharmlosen. Dies bedarf Fingerspitzengefühl, das sicherlich auch die bei dieser Stichwahl unterlegenen Kandidaten gehabt hätten. Angesichts des großen Corona-Problems, das auch Entscheidungen hinsichtlich Wirtschaft, Umwelt. Sport und Kultur beeinflusst, bleibt für die Entscheidungsträger keinen Moment Atempause. Ihnen dürfte und muss bewusst sein: Parteiliche überflüssige Streitereien sind jetzt zurückzustellen – zum Wohle der Bevölkerung.
Titelbild: Der Moment der Sieger: Anita Schneider und Frank-Tilo Becher (beide SPD) werden begeistert von ihren Anhängern empfangen. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)