Sie prägten Bad Homburg

Neues über Wertheimber und Reimers

Von Peter MareschVilla Wertheimber neu

Die Bankiers-Familie Wertheimber und der Industrielle Werner Reimers haben Bad Homburg im frühen 20. Jahrhundert geprägt. Das wirkt bis heute nach. Das Stadtarchiv erinnert an diese Menschen und ihre Häuser im neuesten Band „Aus dem Stadtarchiv“. Er ist mit fünf Themen und  224 Seiten besonders umfangreich und informativ.

Sie prägten Bad Homburg

Die Villa Wertheimber, nahe der Stadtmitte im „Gustavsgarten“ gelegen, ist eine  wuchtige, mediterran anmutende Villa mit einer großzügigen zweibogigen Loggia. Das denkmalgeschützte Haus  soll zum Kulturzentrum werden. Es wird  das Stadtarchiv beherbergen, aber auch zur Hölderlingedenkstätte mit einem besonderen Kabinett, einer Ausstellung und der Hölderlinwohnung werden.

Villa Wertheimber alt
Die Villa Wertheimber auf einer alten Postkarte. Alle Fotos: Stadtarchiv Bad Homburg

Schon bevor  die Handwerker das große Gebäude sorgsam restaurierten, recherchierte die  Stadtarchivarin Dr. Astrid Krüger  die Geschichte der Familie Wertheimber.

Julius Wertheimber (1855-1935), Inhaber einer Privatbank, und seine Familie zählten zu den vielen ursprünglich in Frankfurt verorteten Industriellen und Bankiers, die im späten 19. Jahrhundert Villen im Taunus bauten. Die Villa Wertheimber entstand 1898 und diente zunächst nur als Sommersitz für die sonst in der Frankfurter Myliusstraße residierende Familie, bestehend aus Julius und seine „Ketty“ genannte Frau Katharina und den Kindern Juliane und Eugen Julius. Die Familie nannte das Haus wegen der damals noch im Gustavsgarten stehenden Akazien „Accatium“.Villa Wertheimber neu

Man bewegte sich unter den Honoratioren des Rhein-Main-Gebiets; zu den Freunden der Familie zählte Frankfurts Oberbürgermeister Franz Adickes (1846-1915). Sie zählten zu den Gründern des traditionsreichen Homburger Golfclubs auf und agierten auch als Mäzene, etwa beim Bau der auch von Kaiser Wilhelm II. mitfinanzierten Erlöserkirche neben dem Schloss.Villa Wertheimber Gartenblick

So wie der Erste Weltkrieg die Homburger Pracht beendete, so begann mit ihm auch der Abstieg der Familie Wertheimber. Bereits 1914 fiel Julius Wertheimbers einziger Sohn Eugen Ludwig; wie Astrid Krüger darlegte, war er schon als Nachfolger seines Vaters vorgesehen. Die Weltwirtschaftskrise beeinträchtigte zusammen mit weiteren Todesfällen in der Familie das Bankhaus. Julius Wertheimber starb 1935 in seinem „Accatium“. Dadurch blieben ihm zumindest die Erfahrungen, die seine weiteren Nachkommen nach den Nürnberger Gesetzen von 1936 machen mussten, erspart. Denn die Familie Wertheimber war eine alte jüdisch-fränkische Familie; dass bis 1909 alle Familienmitglieder zum Christentum konvertiert waren, schützte sie vor dem unerbittlichen Antisemitismus der Nationalsozialisten nicht. Julius‘ Tochter Juliane Krahmer emigrierte mit ihrer Tochter Lili nach Frankreich und brachte sich dort nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 um. Vorher, im gleichen Jahr, hatte sie ihre Villa für 150 000 Reichsmark an die Deutsche Bank verkauft.Villa Wertheimber von innen

Nachdem sich diverse Pläne, wie die Einrichtung einer Musikschule der Reichsmarine, wegen des Krieges  zerschlugen, kam es ab 1948 zu erbitterten juristischen Auseinandersetzungen der Erben der Familie und der Deutschen Bank um die Rückgabe des Wertheimberschen Besitzes. Krüger beschreibt die Positionen der Familie und ihrer Prozessgegnerin, der „Rhein-Main-Bank“, wie folgt: „Während die eine Seite betonte, der Verkauf sei aufgrund der politischen Gegebenheiten erfolgt und die Verhältnisse hätten den Preis stark gedrückt, erklärte die Gegenseite, das Anwesen sei aufgrund der hohen Unterhaltskosten und der Nutzlosigkeit einer derartigen Anlage für die Wertheimberschen Erben veräußert worden und die Verkaufsverhandlungen hätten … gleichsam als Hilfeleistung … das gewünschte Ergebnis gehabt.“ Schließlich kam es 1953 zu einem Vergleich, der die Villa wieder in die Hände der Erben brachte. Ein Jahr später verkaufte die Erbengemeinschaft an die Bundesrepublik, welche sie wiederum dort an ein „Hirnverletztenheim“ (später: Neurologische Klinik) verpachtete, das 2004 seine Pforten schloss.

Werner Reimers – aus Japan nach Bad Homburg

Während die Erben von Julius Wertheimberg um ihren Besitz kämpften, kämpfte der Bad Homburger Industrielle Werner Reimers (1888-1965) unter anderen Voraussetzungen um seine Stellung und sein Image. Seine Entnazifizierung und politische Verortung steht im Mittelpunkt des Aufsatzes von Industriehistoriker Helmut Landerer vom Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim.

Reimers verbrachte viele Jahre seiner Jugend als Mitglied einer international tätigen Hamburger Kaufmannsfamilie in Japan und gründete 1928 in Bad Homburg den Getriebehersteller P.I.V. Da er unternehmerisch geschickt und technisch kompetent war, wuchs die heute noch existierende Firma rasch zu einer der größten Fabriken Bad Homburgs heran, mit 250 Mitarbeitern in Bad Homburg. Wie die Wertheimbers, hinterließ er in der Stadt als Mäzen seine Spuren, insbesondere in Form der wissenschaftlich orientierten Reimers-Stiftung, in der sich heute das „Forschungskolleg Humanwissenschaften“ der Frankfurter Goethe-Universität befindet. Es sitzt auf dem großen Villengrundstück von Werner Reimers am Bad Homburger Wingertsberg.

Seit 1937 in der NSDAP

Dass Reimers NSDAP-Mitglied war und auch Zwangsarbeiter in der während des Kriegs wehrwirtschaftlich tätigen Firma arbeiten mussten, war immer bekannt. Landerer beschäftigt sich jedoch als erster Historiker ausführlich mit den Details. 1937 trat Reimers in die Partei, war dann auch Mitglied von NS-Organisationen wie der Deutschen Arbeitsfront (DAV), des Reichsluftschutzbundes (RLB) oder auch Fördermitglied der Allgemeinen SS. 1941 erhielt die P.I.V. die Auszeichnung als „nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Die stufenlosen P.I.V.-Getriebe kamen während des Zweiten Weltkrieges vor allem in Werkzeugmaschinen, aber auch Geschütztürmen von Schiffen, Flugabwehr-Scheinwerfern oder Funkmessgeräten zum Einsatz. 1942 kamen erstmals 100 ausländische Zivilarbeiter und Häftlinge, vor allem aus dem Preungesheimer Gefängnis, als Zwangsarbeiter nach Bad Homburg. Bei schwankenden Zahlen blieb dies bis Kriegsende so. Übergriffe der 20 Wachleute gegenüber den Zwangsarbeitern sind aus dem Spruchkammerverfahren belegt.

Vor der Spruchkammer hatten sich nach 1945 zumindest theoretisch alle NSDAP-Mitglieder zu verantworten. Reimers Verfahren dauerte lange, von 1945-1949, und produzierte aufgrund zahlreicher, wie Landerer darlegt, häufig wenig glaubwürdiger Entlastungs- und Belastungszeugen, eine dicke Akte. Landerer stellt in den Raum, dies könne eine „Schlacht der Lügen“ gewesen sein. Ein zentraler Gegenstand der Verhandlungen waren Reden im NS-Duktus, die Reimers als Betriebsführer hielt. Nur eine Rede aus dem Jahr 1942 enthielt offen antisemitische Aussagen, dafür aber scharfe; die Spruchkammer stellte fest:  „Mittels ausführlicher Beschimpfungen des Weltjudentums und bei Göbbels (sic) entlehnter politischer Tiraden“ habe Reimers die gleiche Haltung gezeigt, „die den Betroffenen während der ganzen Nazizeit ausgezeichnet hat: übergroße Vorsicht und Nachgeben gegenüber den NS-Gewalthabern.“

Landerer zieht als Historiker folgendes Fazit: „Weder Wehrwirtschaftsführer noch Widerstandskämpfer“ sei Reimers gewesen. Er sei zwar privat eher unpolitisch gewesen und kein „aktiver Nationalsozialist“, habe sich als Unternehmer aber am System beteiligt und davon profitiert: „Er machte als Unternehmer bereitwillig mit, schwamm mit dem Strom, suchte für sich und sein Unternehmen Vorteile zu erzielen bzw. Nachteile zu vermeiden.“

Reimers erzielte schließlich vor der Spruchkammer einen Erfolg in seinem Sinne: Er erreichte es, von der ursprünglich recht schwerwiegenden Einstufung in der Gruppe II als „Belasteter“ schließlich 1949 zum „Mitläufer“ herabgestuft zu werden. Nach 1945 betätigte er sich nicht mehr politisch, sondern widmete sich dem Aufbau seiner Stiftung und unterstützte auch Einrichtungen wie das Senckenberg-Museum. 1954 bekam er das Große Bundesverdienstkreuz.

Drei weitere Beiträge enthält der neue Band der Buchreihe „Aus dem Stadtarchiv“.  Der ehemalige Lehrer des Kaiser-Friedrich-Gymnasiums, Dr. Klaus-Dieter Metz, widmet sich in seinem sehr amüsanten Beitrag dem Roman „Der Teufel im Bade“ eines vergessenen Bestsellerautors des Biedermeier, Carl Spindler. Dabei handelt es sich um die vielleicht früheste literarische Verarbeitung des Homburger Badebetriebs. Der Kölner Sporthistoriker Heiner Gillmeister widmet sich in seinem Aufsatz „Bad Homburg, Wiege des Tennisspiels und „The Home of Golf“ der Bedeutung Bad Homburgs als frühes Mekka des Tennis- und Golfsports in Deutschland im späten 19. Jahrhundert. Zwar widmeten sich schon zahlreiche Beiträge diesem Thema, doch Gillmeister gelang es, neue Quellen zu erschließen und damit auch in den größeren internationalen Kontext zu stellen. Der Dornholzhäuser Agrarwissenschaftler Dr. Wolfgang Bühnemann befasst sich mit den Gutshöfen der Landgrafen von Hessen-Homburg in Seulberg, Homburg und Oberstedten im 18. Jahrhundert, die unter anderem der Versorgung des Schlosses dienten.

Band 26 der Reihe „Aus dem Stadtarchiv“ ist über folgende Adresse zu beziehen:

Stadtarchiv Gotisches Haus, Tannenwaldweg 102, Bad Homburg. Telefon 06172-37882, Mail: stadtarchiv@bad-homburg.de.

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