Shoa-Gedenken

„Rassismus ist Gift“

von Jörg-Peter Schmidt

Rechtspopulistischen Tendenzen – verbunden mit Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit sowie Unterdrückung und Diskriminierung von Minderheiten – muss entgegengewirkt werden. Darüber waren sich die Redner und die zahlreichen Gäste einig, die während des Holocaustgedenktages zu zwei nachdenklich stimmenden Veranstaltungen in die Gießener Innenstadt gekommen waren. Schauplätze waren zunächst das Oberhessische Museum am Brandplatz sowie anschließend die Evangelische Pankratiuskapelle in der Georg-Schlosser-Straße.

In dem Museum, das im Alten Schloss untergebracht ist, wurde die bis zum 20. März 2022 dauernde Wanderausstellung  zum  Thema „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ eröffnet, die im Netanaya-Saal gezeigt wird. Anschließend las der Schauspieler und Regisseur Michael Stacheder (Bad Aibling) in der Pankratiuskapelle aus der Veröffentlichung  „Spätes Tagebuch“ des Shoa-Überlebenden Max Mannheimer.

Würdigung jüdischer Persönlichkeiten

Gute Besucherresonanz fand bereits der Auftakt  der von der Zeitbild-Stiftung zur Verfügung gestellten Ausstellung im Alten Schloss, die einen Blick in die Historie jüdischer Geschichte von Deutschland über 1700 Jahre bis heute bietet.  Anhand von 20 großformatigen Plakaten werden in Wort und Bild geschichtliche Stationen erläutert, darunter die unselige Zeit des Holocaust.

Bei der Eröffnung der Dokumentation von rechts: Museumsleiterin Dr. Katharina Weick-Joch, Waltraud Burger (Leiterin der vhs Gießen) und Dow Aviv (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Gießen). (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

Verdeutlicht wird auch, dass es so viele jüdische großartige bekannte Persönlichkeiten gab und gibt – in der Vergangenheit beispielsweise den Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein, den Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine und die Autorin Hannah Ahrendt. Aber auch bekannte Leute von heute sind dargestellt. Dazu gehört auch Daniel Donskoy (Jahrgang 1990), der ein Allroundtalent ist:  Er nicht nur Schauspieler, sondern zudem Moderator,  Regisseur und auch noch Musiker („Cry by the River“).

Informationen auch über Smartphone

In der Dokumentation  geht es auch um das Leben und Wirken von Hannah Ahrendt. (Fotoquelle: Wikipedia, Young-Bruehl, Elisabeth  Yale University Press

Die Rednerinnen und Redner verdeutlichten, wie wichtig diese auch dank der Volkshochschule (vhs) ermöglichte Wanderausstellung ist. Nicht anders war dies bei den Begrüßungsworten  der Museumsleiterin Dr. Katharina Weick-Joch, die das Wort an Waltraud  Burger  (Leiterin  der vhs Gießen) weitergab: Gern trage der Volkshochschulverband dazu bei, dass  solche Beiträge wie diese Ausstellung  auch in Gießen Station machen,  unterstrich sie. Sie empfahl den Besuch der Dokumentation (über die man sich im  Netanaya-Saal auch per Smartphone oder Tablet   informieren kann)   auch für Schülerinnen und Schüler – ein Wunsch, der sicherlich schon bald verwirklicht wird.

Dow Aviv (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Gießen)  hatte, bevor er sich die  Plakate in aller Ruhe ansah, für Frieden und Toleranz und gegen Rassismus gesprochen.
Auch junge Menschen wirken Hass entgegen

Wie sehr sich junge Menschen gegen das Vergessen des Holocaust engagieren, hatte der Vorsitzende  der jüdischen Gemeinde in Gießen, Dow Aviv, schon wenige Stunden zuvor beim  Gedenken in der Theo-Koch-Schule  in Grünberg erlebt. Er appellierte, die Shoa dürfe sich nicht wiederholen. „Rassismus ist Gift für die Gesellschaft“, mahnte er eindringlich. Gegenseitige Toleranz  und  Respekt voreinander sei vonnöten.

Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher hob hervor, wie wichtig eine solche  Ausstellung ist.

In diesem Sinn sprach auch  Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, der den Toleranzgedanken und das Entgegenwirken von   Vorurteilen herausstellte.  Er erinnerte an die Städtepartnerschaft  zwischen Netanya (Israel) und Gießen. Gern habe die Stadt Gießen auf ihre Homepage  ein Interview mit dem Holocaust-Überlebenden Thomas Breuer genommen. Das Gespräch kam zustande,  weil  es einen Austausch der Schülerinnen und Schüler der Ricarda-Huch-Schule Gießen und der Eldad Highschool in Netanya gibt.

Gedenken an Max Mannheimer

Von dem Alten Schloss aus konnte man nach der Ausstellungseröffnung einen kleinen Spaziergang   am Stadtkirchenturm vorbei zur Pankratiuskapelle unternehmen, wo in einer Gedenkveranstaltung das Leben und Wirken von Max Mannheimer (1920 – 2016) gewürdigt wurde.

Max Mannheimer – eine große Persönlichkeit, die trotz traumatischer Erlebnisse ungebeugt blieb. (Fotoquelle: Wikipedia, Freud)

Nach der Begrüßung durch  Pfarrer Dr. Gabriel Brandt  stellte Stadträtin Astrid Eibelshäuser den in Neutitschein (damals Tschechoswakei) geborenen Max Mannheimer vor, der sich nach seinen traumatischen Erlebnissen in mehreren Konzentrationslagern nach dem Krieg verstärkt für Toleranz, Frieden und den Kampf gegen Rechtsextremismus  einsetzte. Auf seine Einladung besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel  die KZ-Gedenkstätte Dachau. Astrid Eibelshäuser zitierte den Italiener Primo Levi, der Schriftsteller und Chemiker war. Er hat über sein Leid im Konzentrationslager Auschwitz geschrieben. Seine Botschaft lautete: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Erinnerungen an den Shoa-Überlebenden

Waltraud Burger, Leiterin der Volkshochschule Gießen,   hatte  Max Mannheimer persönlich gekannt:

„Ich selbst lernte ihn an einem Frühsommertag des Jahres 2010 kennen. Seit einem viertel Jahr pädagogische Leiterin der KZ Gedenkstätte Dachau, begleitete ich ihn zur Lesung aus seinem ‚Späten Tagebuch’ vor SPD-Politikern aus Nürnberg. Es war ein heißer und stickiger Tag und die Lesung erschöpfte ihn sehr. Aber er bestand darauf, dass ich ihn noch zur Buchhandlung fuhr, damit die Gäste signierte Exemplare seines Späten Tagebuchs mitnehmen könnten.“ 

Kämpfer gegen das Vergessen

Waltraud Burger weiter: „Diese erste Begegnung und Lesung führte zu einer stetigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit: in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte, aber insbesondere in der Lagergemeinschaft Dachau, der Vereinigung ehemaliger Häftlinge und ihrer Angehörigen, deren Vorsitz er von 1990 bis zu seinem Tod innehatte und als Vizepräsident im internationalen Häftlingscomitee (CID), einem Zusammenschluss der Überlebenden aus verschiedenen europäischen Ländern und Israel. Da ihr Sitz vererbt werden kann, arbeiten inzwischen überwiegend Angehörige der 2. Generation in diesem Gremium, welches alljährlich mit Unterstützung der Gedenkstätte Dachau die Befreiungsfeier in Dachau ausrichtet.  Beide Organisationen setzen sich vehement für das Erinnern ein und beziehen bis heute erinnerungspolitische Positionen auf allen politischen Ebenen. Und in beiden Organisationen konnte man einen energischen und ja – auch für die Sache vehement streitlustigen politischen Menschen kennenlernen, der es verstand, sich in der Bayrischen Landesregierung, aber auch in der Bundesregierung Gehör zu verschaffen und durchzusetzen, dass nach und nach an den größten KZ-Außenlagern Dachaus – wie zum Beispiel in Mühdorf –   würdige Erinnerungsorte und politische Bildungsarbeit entstanden.“

Waltraud Burger weiter: „Die Einweihung der Gedenkstätte Mühldorf konnte Max Mannheimer leider nicht mehr erleben: Als Spätfolge der Lagerhaft war seine Lunge sehr angegriffen, so dass oft unter schweren Infekten litt. Im September 2016 verstarb er 96-jährig in München. Uns Nachgeborenen hat  Max Mannheimer das Vermächtnis hinterlassen, die Erinnerung weiterzutragen und für sie einzustehen. Er selbst hat uns hierfür seine Erinnerungen, festgehalten im Film ‚Der weiße Rabe’ aus dem Jahr 2009 und sein ‚Spätes Tagebuch’ (2010), an die Hand gegeben und die Ermahnung „Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“

Michael Stacheder las in der Pankratiuskapelle auf sehr bewegende Weise aus „Spätes Tagebuch“  des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer.
Traumatische Erlebnisse in den KZ’s

Michael Stacheder las anschließend aus  dem  „Späten Tagebuch“ des KZ-Überlebenden , der auch ein hervorragender  Maler war.  Max Mannheimer beschrieb, wie  er  zusammen mit seiner Frau,  seinen Eltern sowie seine Geschwister Käthe, Edgar und Ernst  nach Theresienstadt  und dann ins  KZ Auschwitz-Birkenau  gebracht wurde. Nur sein Bruder Edgar und Max  Mannheimer überlebten den Terror, der sich für die beiden  Brüder beispielsweise im KZ Warschau und im KZ Dachau  zusammen mit den Mitgefangenen abspielte: Erniedrigungen, Krankheiten, Hunger, Durst, Folter, Ermordungen waren an der Tagesordnung. In Tutzing  erreichte sie am 30. April 1945  die Freiheit durch die US-Amerikaner, nachdem sie vorher im KZ-Außenlager Mühldorf untergebracht waren. Max Mannheimer gründete in Deutschland eine Familie, erlebte seine Kinder aufwachsen, musste erleiden, dass seine zweite Frau an Krebs starb, gab auch dann nicht auf und heiratete erneut.

Botschaft gegen Rechtsextremismus

Er lebte in München und hielt  als  Zeitzeuge  Vorträge gegen das Vergessen des Holocaust. 

Stacheder las aus dem Buch selbst bewegt, aber nicht mit übertriebenem Pathos. Er hatte am Schluss der Veranstaltung selbst eine klare Botschaft gegen jede Form von Rechtspopulismus im Respekt auch vor Zeitzeugen wie Max Mannheimer, diesem couragierten, ungebeugten, wunderbaren Demokraten. 

‚Spätes Tagebuch’ ist im Piper-Verlag erschienen und kostet 9 Euro.

Die Homepage des Oberhessischen Museums ist: giessen.de/Oberhessisches_Museum/

Gruppenanmeldungen für die Ausstellung  sind möglich unter museum@giessen.de

Die Homepage der Stadt  Gießen, auf der  man auch das Interview mit Thomas Breuer abrufen kann, ist: giessen.de

Titelbild: Die Stationen jüdischer Geschichte  sind in der Ausstellung detailreich und informiert erläutert. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

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