Radwege – Teil 2

Zur Arbeit radeln? Ein Abenteuer!

Von Klaus Nissen

Deutschland ist Autoland. Doch das Fahrrad wird als Verkehrsmittel immer wichtiger. Wie steht es mit den Radwegen in der Wetterau? Das beleuchtet der Neue Landbote in einer Sommer-Serie. Heute mit der Frage: Ist das Straßennetz alltagstauglich? Könnte ich zum Beispiel täglich mit dem Rad von Gedern nach Büdingen zur Arbeit fahren?

Per Rad von Gedern nach Büdingen

Okay – wer imWesten der Wetterau wohnt, braucht keinen Respekt vor den heimischen Hügeln zu haben. Die meisten sind nur sanfte Bodenwellen. Doch die Vogelsberg-Ausläufer im Osten des Kreises zwingen den Zweirad-Pendler zum Planen. Und zur Prüfung, ob die eigenen Beinmuskeln den Praxistest packen. Elektrisch radeln will ich frühestens mit 75.

Auf der Weningser Landstraße ist es viel zu eng und unübersichtlich für ein entspanntes Nebeneinander von Auto- und Radfahrern. Foto Nissen

Fragen wir erstmal das Internet. Google Maps empfiehlt die angenehm abschüssige Route entlang der B275 bis Ortenberg und dann über die B457 via Aulendiebach nach Büdingen. Diese Strecke ist aber 25,8 Kilometer lang und würde eine Stunde, 23 Minuten Fahrtzeit kosten.

Weil ich es eilig habe, muss die Route vom Alten Rathaus in Gedern entlang der L3184 direkt nach Wenings, dann nach Bindsachsen und an Dudenrod vorbei zum Büdinger Bahnhof führen. Die ist mit dem Rennrad in 48 Minuten zu machen, behauptet das amerikanische Alleswisser-Portal. Auch der Routenplaner von komoot.de plädiert für diese 19,1 Kilometer kurze Strecke. Mit dem Rennrad komme man auf einen Schnitt von 23,8 Stundenkilometern – 180 Meter rauf und 360 runter. Komoots Fazit: „Für alle Fitnesslevel. Überwiegend gute Straßenbeläge. Einfach zu fahren.“

Knackige Steigung auf schmaler Fahrbahn

Probieren wir es aus. An einem Samstag Ende Juni mit einem normalen Trekkingrad.. Start um 11.30 Uhr. In Gedern geht es von der Frankfurter Straße links in die Bornwiese, am Lidl vorbei und dann bergauf. Runter in den vierten Gang. Die knackige Steigung hat auch noch eine S-Kurve zu bieten.

Die schmale Gegenfahrbahn ist für die von hinten kommenden Autofahrer schwer einsehbar. Sie sind gezwungen, auf sieben Stundenkilometer herunter zu bremsen und dann hinter mir herzuschleichen. Das tun sie alle – und es sind viele! – ganz brav. Sobald ich ihnen Freie Bahn zuwinke, drücken viele von ihnen beherzt aufs Gaspedal und schießen mit aufjaulendem Motor vorbei. All die vergeudete Zeit! Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen. Die Straße hat keinen Radstreifen. Ich bin ein Verkehrshindernis.

Noch neun Kilometer bis Büdingen. Die Landstraße hat keinen Radweg. Der Pedaleur spürt den Luftzug jedes der vielen überholenden Autos. Foto Nissen

Vier Kilometer noch bis Wenings. Der Puls ist auf 120 geklettert, und immer noch warten drei oder vier Anstiege. Kein gutes Gefühl. Von rechts vorn grüßen drei Windmühlen. Und der lebhafte Wind, der mich auf der Hochebene zunehmend bremst. Über dem Maisfeld links tiriliert eine Lerche.

Gut 20 Minuten nach dem Start ist der höchste Punkt erreicht: Schauinsland – ein Waldrand auf mehr als 400 Meter Meereshöhe. Am westlichen Horizont der Feldberg und Altkönig, im Osten der Hoherodskopf. Doch weiter – es geht hier nicht um Tourismus, sondern Alltagsradeln. Endlich mit Schmackes runter nach Wenings. Sehr flott durch den Stadtteil – mit dem Rennrad könnte man hier am Tempolimit kratzen. An der Untertorstraße staunt ein Seniorenpaar – Radler sieht es hier wohl nicht so oft.

Ein Motorrad jault aus dem Nichts kommend an mir vorbei

Links ab auf die Bindsächser Straße. Sie streckt sich ins weite Land wie bei der Raiffeisen-Reklame, allerdings aufwärts und über zwei Bodenwellen. Es gibt keinen Mittelstreifen mehr – die Fahrbahn ist zu schmal für zwei Spuren. Aber sie hätte die ideale Breite für den im Westkreis geplanten Radschnellweg. Der Tacho zeigt jetzt 18 Stundenkilometer. Ein Motorrad jault aus dem Nichts knapp an mir vorbei und ist zwei Sekunden später aus dem Blickfeld.

Bald hinter Wenings beginnt ein Wald. Sieben Kilometer sind erkämpft – Zeit für eine Trinkpause. Und schräg nach rechts führt ein passabler Waldweg. Kein Hinweisschild. Doch laut Google Maps führt auch er nach Bindsachsen. Und das ohne Autos und Gegenwind. Hinter dem Wald geht es auf Feldweg-Asphalt schnell ins Dorf. Nur ein Ziegen-Paar nimmt von mir Notiz.

Der Radwege-Tester Klaus Nissen ist mit Glück kurz vor dem Regen am Büdinger Bahnhof eingetroffen. So richtig froh hat ihn die Reise nicht gemacht.

Neun Kilometer noch bis Büdingen, meldet das Schild am Ende von Bindsachsen. Eine Stunde bin ich schon unterwegs. Rechts von mir auf der Wiese lauern vier Störche den Mäuse auf. Links überholen mich viele Autos. Ihr Luftzug ist deutlich zu spüren. Und wenn mal einer nicht aufpasst? Es ist hier viel zu gefährlich.

Der riesige Büdinger Wald ist endlich erreicht. Die L3193 senkt sich gnädig und kilometerlang – ohne Radspur – gen Büdingen. Der Tacho zeigt Tempo 50. Hinter dem Abzweig nach Dudenrod will mir ein Schild den Weg verbieten. Ich soll über Büches fahren, weil irgendwo eine Baustelle ist. Kommt nicht infrage. Die Straße ist frei, es fahren hier nur wenige Autos.

Der erste Radweg liegt kurz vor dem Ziel – und ist unbenutzbar

Der Sandhofweiher fliegt vorbei. Ich schaue nach rechts – und sehe hinter der Leitplanke den ersten Radweg auf dieser Strecke!! Er muss vor 50 Jahren gebaut worden sein und wurde seither nicht erneuert. Die asphaltierte Buckelpiste taugt höchstens fürs Wandern mit Bergschuhen. Sie ist auch nur 870 Meter lang, verrät mir komoot.de.

Fast am Ziel, vor dem alten Schlachthof am Pferdsbacher Weg, stoppt mich dann doch die vorhergesagte Baustelle. Sie ist mit dem Rad leicht umgangen. Nach einer Stunde und 35 Minuten habe ich den Fahrkartenautomaten am Büdinger Bahnhof erreicht.

Zurück mit Glück per Bahn und Bus

Das Fazit: Viel zu lange dauerte die Fahrt, um so täglich von Gedern mit Rad und Bahn via Büdingen nach Altenstadt, Bad Vilbel oder Frankfurt zu pendeln. Es wäre wegen der schnellen Autos in Armlänge Abstand auch zu gefährlich. Radwege gibt es hier nicht. Ist das viel besungene Radwegenetz imWetteraukreis nur gut für Touristen?

Und wie komme ich von Büdingen mit dem Rad zurück nach Gedern? Das Vogelsbergstädtchen liegt 196 Meter höher als Büdingen. Und ob der Bus FB-23 mein Fahrrad mitnimmt, ist von dessen Auslastung und der Gnade des Busfahrers abhängig. Bei dieser Probefahrt habe ich Glück, weil es Samstag ist und der Vulkanexpress fährt. So komme ich mit der Landesbahn bis Stockheim und kann da das Rad in den voluminösen Anhänger des Busses FB-90 laden. Insgesamt dauert diese Rückfahrt nach Gedern „nur“ 51 Minuten. Aber alltagstauglich ist sie nicht.

Ein Gedanke zu „Radwege – Teil 2“

  1. Sehr geehrter Herr Klaus Nissen,
    Sie haben unter dem Titel „Ab aufs Rad“ Radwegverbindungen im Wetteraukreis getestet und damit die riesigen Lücken, besonders im Ostkreis öffentlich gemacht.
    Damit unterstützen sie genau das gleiche Ziel, wie auch die Wetterauer Politik und die Landespolitik: nämlich, den Bau von Radwegverbindungen.
    Das ist auch richtig, sonst kommt die Verkehrswende nicht in Gang.
    Allerdings wird von der Öffentlichkeit und der Politik eines vergessen:
    Wenn wir die zukünftigen Nutzenden der dann zur Verfügung stehenden Radwege nicht auf die
    sichere Nutzung derselben vorbereiten, dauert es nochmal länger bis die gewünschte Mobilität
    greift.
    Wir meinen damit die heutigen Kinder und die Jugendlichen.
    Für diese steht die Radfahrausbildung in den 4. Klassen der Grundschulen für die Vorbereitung auf
    eine sichere Verkehrsteilnahme per Rad. Allerdings nehmen bereits seit 20 Jahren die Fähigkeiten
    und Fertigkeiten im Umgang mit dem Zweirad bundesweit ab, obwohl heute fast jedes Kind ab dem
    3. Lebensjahr über Laufrad, Fahrrad usw. verfügt. Zwei Drittel der 6 und 7jährigen fahren sogar ein
    Rad mit Gangschaltung. Trotzdem nehmen die individuellen Fähigkeiten für eine zukünftige sichere
    Fahrweise ab.
    Dies hat die Verkehrswacht Wetteraukreis zum Anlass genommen, ein eigenes Konzept zu entwickeln
    und zu erproben. Seit dem Schuljahr 2021/22 wird den Kindern und den Eltern in den 1. Schuljahren
    angeboten, nachmittags auf dem jeweiligen Schulhof an einer circa 75minütigen Trainingseinheit
    teilzunehmen. In 6 bis 7 Fahraufgaben wird den Eltern und den Kindern aufgezeigt, mit welchen
    geeigneten Möglichkeiten die Fertigkeiten eingeübt werden können, die in der 4. Klasse benötigt
    werden, damit die Polizeibeamt/innen der Jugendverkehrsschulen ihre Ziele auch erreichen könne,
    nämlich die Kinder an eine sichere Verkehrsteilnahme mit dem Rad heranzuführen.
    Geübt wird das „Spurhalten“, „Langsam fahren“, „umsehen und etwas erkennen“, „mit Handzeigen
    fahren“, sowie Fahraufgaben, die diese Fähigkeiten verbinden und trainieren.
    Im ersten Jahr konnten rund 900 Sechs- bis Siebenjährige gemeinsam mit ihren Eltern unterrichtet
    werden, im abgelaufenen Schuljahr waren es schon 1300. Umgesetzt wird das Projekt „FahrradKIDS“
    von 5 Moderatorenteams, unterstützt von der Unfallkasse Hessen, der Sparkassenstiftung und der
    OVAG.
    Der Erfolg „frisst uns auf“, d.h. wir werden mit unserem Personal bald an unsere Grenzen stoßen. Mit
    Ehrenamtlern setzen wir mehr als 350 Termine im Jahr um. Trotzdem tun wir, was möglich ist.
    Der Vorstand und der Beirat der Verkehrswacht Wetteraukreis
    Philipp Leichner, Vorsitzender

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