Philipp Reis

„Ich nannte das Instrument Telephon“

Vor 150 Jahren starb der Telefonerfinder Philipp Reis (1834 – 1874). „Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt, anderen muß ich überlassen, sie weiterzuführen“, hauchte er auf dem Sterbebett seinem Freund und einstigen Lehrer Louis Frédéric Garnier entgegen. In vollem Bewusstsein nahm der Telefonerfinder von Familie und Freunden Abschied, als er am 14. Januar 1874 um 4.30 Uhr in Friedrichsdorf starb.Er wurde gerade mal 40 Jahre alt.

Schon lange war der Lehrer am renommierten Institut Garnier an Tuberkulose erkrankt, und kaum mehr konnte er seine Schüler mit
flüsternder Stimme unterrichten. Zuletzt kamen sie in sein Haus, doch
nach Neujahr konnte Reis das Bett nicht mehr verlassen. Den Erreger
der Tuberkulose entdeckte Robert Koch erst 1882, zu spät für Reis.

Der Lehrer und Telefon-Erfinder Philipp Reis im Gehrock. Foto: Stadt Friedrichsdorf

Um für seine Schüler den Unterricht anschaulicher zu gestalten, hatte
Philipp Reis oft Modelle gebaut. Als die „Gehörwerkzeuge“ auf dem
Stundenplan standen, schnitzte er ein Holzohr. Bereits während seiner
eigenen Schulzeit hatte er sich mit der Frage beschäftigt, wie man
denn Töne in die Ferne übertragen könne. Nun kam ihm die zündende
Idee: Aus einem Holzohr, einer Stricknadel und einer Geige
entwickelte er um 1860 das erste Telefon.

Die erste Telefonleitung lag in Frankfurt

Ein Jahr später, am 26. Oktober 1861, demonstrierte er dann erstmals
öffentlich seine Erfindung. Als Forum hatte er den Physikalischen
Verein gewählt. Die 1824 gegründete Gesellschaft, Grundzelle der
späteren Universität, arbeitete eng mit dem Senat der Stadt Frankfurt
zusammen, um Wissenschaft und Praxis zu verbinden. Seit zehn
Jahren war Reis bereits Mitglied, als er dort seinen Vortrag „Über die
Fortpflanzung musikalischer Töne auf beliebige Entfernungen durch
Vermittlung des galvanischen Stromes“ hielt.

Dazu ließ er den einen Teil seines Apparates in einem etwa 150 Meter
entfernten Gebäude (dem Bürgerspital von Friedrichsdorf ) aufstellen und Fenstern und die Türen verschließen. Als man dann Melodien hineinsang, konnte man diese im Sitzungssaal am zweiten Teil des Apparates hören.

Das erste experimentelle Telefon bestand unter anderem aus einem hölzernen Ohr und einer Violine. Foto: Stadt Friedrichsdorf

Man staunte über diese Konstruktion, hatte aber nur wenige Visionen, wie dieses Gerät nutzbar gemacht werden konnte. Reis selbst schloss seinen in der Vereinszeitung veröffentlichten Vortrag mit dem Hinweis, „zur praktischen Verwerthung des Telephons dürfte vielleicht noch sehr
viel zu thun übrig bleiben. Für die Physik hat es wohl schon durchaus
hinreichend Interesse, dass es ein neues Arbeitsfeld eröffnet.“

In den folgenden Jahren entwickelte Philipp Reis sein Telefon ständig weiter, um die Sprachübertragung zu verbessern, doch der erhoffte Erfolg und die ersehnte wissenschaftliche Anerkennung blieben aus.

Geboren wurde Philipp Reis am 7. Januar 1834 in Gelnhausen. Früh
Waise geworden, schickte seine Großmutter den damals Zehnjährigen
Bäckerssohn nach Friedrichsdorf in das Knabeninternat „Institut
Garnier“. Leicht und gerne lernte er, wobei neben modernen Sprachen
bereits sein Interesse für die Naturwissenschaften geweckt war.

Der Bäckersohn baute auch ein Veloziped

So folgte er nur widerwillig den Plänen seines Vormundes, des
Schneidermeisters Christian Schmidt, und begann im Alter von 14 eine
Lehre bei einem Frankfurter Farbenhändler. Nun entstanden bereits
erste Erfindungen: An Schlittschuhen befestigte er kleine
Metallrädchen und konstruierte so die ersten Rollschuhe. Doch erst
zwanzig Jahre später, als der glatte Asphalt aufkam, fanden sie
Verbreitung.

Eine weitere Tüftelei war ein per Hebel angetriebenes Dreirad, das Velociped, mit dem Reis von Frankfurt über Hanau nach
Gelnhausen fuhr.

Nach seiner Zeit beim Militär nahm Philipp Reis in Frankfurt wieder
naturwissenschaftliche Studien auf. Endlich wollte er sich seinen
Traum erfüllen und in Heidelberg als Lehrer für Naturwissenschaften
ausbilden lassen. Auf dem Weg dorthin besuchte er seinen alten
Lehrer Louis Frédéric Garnier. Als Reis ihm seine Pläne eröffnete, bot
Garnier ihm unverhofft eine Stelle an seinem international bekannten
Institut an.

Der Erfinder mit seinem Sohn Karl, der Tochter Elise und seiner Gattin Margarethe. Foto: Stadt Friedrichsdorf

Nun in sicheren Vermögensverhältnissen, setzte Reis zunächst sein Testament auf und dachte dann ans Heiraten. Seine Auserwählte war die Tochter seines Vormundes Margarethe Schmidt aus Gelnhausen. Zuvor aber kaufte Reis in Friedrichsdorf das Haus Hugenottenstraße
93, in dem heute das Museum (Philipp-Reis-Haus) untergebracht ist.

Beliebt war Reis als Lehrer. Streng, aber gerecht, lautete das Urteil
seiner Schüler, die ihm den Spitznamen „Schlosser“ gaben.
Französisch lehrte er in den unteren Klassen, vor allem aber Physik,
erhielt er doch für seine Experimente sogar einen Gehaltszuschlag.

Die preußische Schulverwaltung verkannte das Genie

Als dann die Landgrafschaft Hessen-Homburg preußisch wurde
(1866), wirkte sich dies auch auf das Schulsystem aus. Unterrichten
durfte nur noch, wer ein Lehrerexamen nachweisen konnte – und das
besaß Reis ja nicht. Da halfen auch keine Eingaben seines Arbeitgebers und seiner ehemaligen Lehrer. Fortan durfte er nur noch
in den unteren Klassen unterrichten.

Den Schreiben fügte er seinen Lebenslauf bei. Und hierin
berichtete Reis von seiner genialen Erfindung: „Durch meinen
Physikunterricht dazu veranlasst, griff ich im Jahre 1860 eine schon
früher begonnene Arbeit über die Gehörwerkzeuge wieder auf und
hatte bald die Freude, meine Mühen durch Erfolg belohnt zu sehen,
indem es mir gelang, einen Apparat zu erfinden, der es ermöglicht, die
Funktion der Gehörwerkzeuge klar und anschaulich zu machen. Mit
welchem man aber auch Töne aller Art durch den galvanischen Strom
in beliebiger Entfernung reproducieren kann. – Ich nannte das
Instrument Telephon.“

Eien schematische Darstellung des ersten Telefons in der Zeitschrift „Gartenlaube“. Foto: Wikipedia

Er schnitzte das Ohr nach, wobei eine Membran das Trommelfell
simulierte und eine Metallzunge den Hammer. Verbunden war das
Ohr über einen Kupferdraht mit einer Stricknadel. Geschlossen wurde
der Stromkreis, indem Schallwellen eine Vibration der Membran
auslösten, diese dann an den Metallstift kam und so den Strom
weiterleitete. Erreichte dieser die um eine Stricknadel gewickelte
Spule, baute sich ein Magnetfeld auf und die Nadel begann leicht zu
vibrieren, wobei zarte Töne entstanden. Um diese dann lauter hörbar zu machen, stellte der befreundete Musiklehrer seine Geige als Resonanzkörper zur Verfügung.

„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“

Die Scheune hinter seinem Haus hatte Reis zur Werkstatt ausgebaut,
von dort verlief der erste Telefondraht in das Wohnhaus. Als man
das Telefon testete, sprach sein Schwager in den Geber (also das
Ohr) und Reis wiederholte fehlerfrei die Sätze, die er am Nehmer
(also der Stricknadel) verstand. Daraufhin machte man ihm den
Vorwurf, er kenne das Buch ja auswendig. Also dachte sich der
Sprecher Sätze aus, die scheinbar keinen Sinn ergeben, um es
nachprüfbar zu machen. „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.“ „Die
Sonne ist von Kupfer“ lautete ein weiterer Satz. Reis verstand: Die
Sonne ist von Zucker.

Fehlerfrei war also die Übertragung noch nicht, und der Tüftler entwickelte seine Modelle weiter, bis er endlich am 26. Oktober 1861 vor den Mitgliedern des Physikalischen Vereins das von ihm entwickelte Telefon erstmals öffentlich vorstellte.

An der Hugenottenstraße 93 in Friedrichsdorf steht noch das Wohnhaus des Telefon-Erfinders. Es ist jetzt ein Museum, in dem dienstags und donnerstags zwischen 10 und 17 Uhr an Philipp Reis und an den Zuzug der Hugenotten in die Stadt am Taunusrand erinnert wird. Foto: Wikipedia

In wissenschaftlichen Kreisen seiner Zeit wurden die Entwicklungen
von Reis als „Spielerei“ abgetan. Dennoch ließ der Tüftler die
Apparate von Mechaniker Wilhelm Albert (Frankfurt) in kleiner Serie
bauen, zog eigenhändig die Membran auf und verschickte das
Telephon samt Gebrauchsanweisung in ganz Europa und sogar nach
Amerika. Auf der Weltausstellung in London war das Gerät ebenso zu
sehen, wie auf der Homburger Gewerbeschau. Sogar dem
österreichischen Kaiser wurde das Reis-Telefon vorgeführt.

Physikern diente es als Experimentierobjekt oder wurde in wissenschaftliche Sammlungen aufgenommen. Der Erfolg blieb allerdings aus, denn Philipp Reis starb mit nur vierzig Jahren. Zuvor aber nahm er Abschied von seiner Familie und seinen Freunden.

Zu seinem alten Lehrer Garnier sagte er: „Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt, anderen muß ich es überlassen, sie weiterzuführen.“

Wilhelm Graham Bell patentierte das Telefon – und wurde reich

Und das taten sie: Bereits zwei Jahre nach dem Tod von Philipp Reis
reichte der Amerikaner Alexander Graham Bell ein Patent auf das von
ihm entwickelte Telefon ein, nur zwei Stunden bevor Elisha Gray sein
Telefon patentieren lassen wollte. Nach Bells eigenem Eingeständnis
hatte er jedoch die Arbeiten von Philipp Reis gekannt und verbessert.

Nun erinnerte man sich, um die amerikanischen Patentgebühren zu
umgehen, auch in Deutschland wieder an die Vorführungen von
Philipp Reis. Schüler, Lehrerkollegen und bekannte Wissenschaftler
setzten sich dafür ein, dass Reis der Ruhm zugestanden wurde, das
erste brauchbare Telefon entwickelt zu haben. Der englische Physiker
Silvanus Thompson verfasste die erste Biographie über den
Telefonerfinder, doch Bell ließ kurzerhand die Auflage des Buches
aufkaufen und vernichten. Denn in unzähligen Prozessen musste er
nun nachweisen, zu welchem Zeitpunkt er den Reis-Apparat gekannt
hatte.

Leider hatte man während der Gerichtsverhandlungen nur einen
Nachbau untersucht und kein Original des Friedrichsdorfers, so dass
die Testergebnisse mangelhaft ausfielen. Zudem übersetzte man das
deutsche Wort ‚Ton’ mit ‚music’ und argumentierte, Reis habe lediglich
ein Instrument gebaut, mit dem er Musik übertragen habe. So blieb
Bell das Patent erhalten und er konnte darauf sein Monopol
begründen.

Erst nach seinem Tod kam Reis zu Ehren

Reis hingegen ging es weniger um einen kommerziellen
Vorteil, sondern um eine wissenschaftliche Anerkennung seiner
Leistung. Als diese ausgeblieben war, hatte er sich – ohnehin schwer
krank – zurückgezogen. Als man ihm später anbot, seine Ergebnisse
in Fachblättern zu veröffentlichen, antwortete er, es sei zu spät.

Der Erfinder kurz vor seinem Tod durch Tuberkulose. Er wurde nur 40 Jahre alt. Foto: Stadt Friedrichsdorf

Erst posthum kam der Erfinder zu Ehren: Der Physikalische Verein
setzte seinem ehemaligen Mitglied 1878 einen Gedenkstein auf
seinem Grab, später sogar noch ein Denkmal in der Frankfurter
Wallanlage und damit ganz in der Nähe des Ortes, wo Reis erstmals
sein Telephon öffentlich vorgeführt hatte. Zwar wurde bereits 1896 ein
Denkmal-Comité gegründet, zur Ausführung kam es jedoch erst im Jahre 1919. Eingelassen in den Grundstein ist eine Metallkapsel für die Ausgabe des Jahresberichtes von 1861, in dem Reis seinen Vortrag publiziert
hatte.

Gedenkveranstaltungen in 2024


Anlässlich des 150. Todestages organisiert die Stadt Friedrichsdorf
unter dem Signet „Philipp-Reis-Jahr 2024“ zahlreiche Veranstaltungen
für Interessierte jeden Alters. So bietet etwa ein Spaziergang auf den
Spuren von Reis die Möglichkeit, mehr über Familie Reis zu erfahren.
An einem Nachmittag plaudert während einer Kostümführung „Frau
Reis“ aus dem Nähkästchen. Kinder können erkunden, wie die
Kommunikation vor Erfindung des Telefons funktionierte, während
sich die Workshops „Handlettering und Alte Handschriften“ an
Erwachsene richten. Die Feuerwehr hat ihren Tag der offenen Tür
heuer unter das Motto „Notruf – der Draht zur schnellen Hilfe!“ gestellt.

Dass der Fernsprecher auch als Tatwaffe missbraucht wird, erläutert
ein Kriminalhauptkommissar. Kein Wunder also, wenn kein Krimi ohne
Telefon auskommt, wie das Beispiel einer Krimilesung bezeugt. Sogar
in die Kunst hat es Einzug gehalten, wovon ein Vortrag berichtet.
Und wer eine eigene Telefongeschichte zu erzählen weiß, ist
aufgefordert, sie aufzuschreiben und an das Stadtarchiv Friedrichsdorf
zu schicken. Mehr Infos unter museen@friedrichsdorf.de. Die Termine
werden jeweils gesondert angekündigt.

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