Peter Kurzeck

Vom Dorf und auch dort fremd

von Jörg-Peter Schmidt

Die Zeit der Entbehrungen nach dem Zweiten Weltkrieg in Gießen und Umgebung in Oberhessen hat Peter Kurzeck in seinem jetzt erschienenen weiteren Nachlassband unter dem Titel „Und wo mein Haus?“ bewegend geschildert. Herausgeber Rudi Deuble stellte den Roman im Burghaus in Staufenberg (Kreis Gießen) vor.

Burghaus als passender Ort

In die kleine Gemeinde Staufenberg war der spätere weithin bekannte und populäre Autor im Alter von drei Jahren mit seiner Schwester und der Mutter gezogen, nachdem die Familie 1946 aus Tachau (Böhmen) vertrieben worden war. Das Staufenberger Burghaus war auch der passende Ort, über den vom Verlag Schöffling & Co. herausgegebenen Roman auf Einladung der Peter-Kurzeck-Gesellschaft unter der Leitung von Prof. Dr. Marcel Baumgartner (Vorsitzender der Gesellschaft) zu sprechen.

Im Staufenberger Burghaus bei der Vorstellung des Nachlassromans:  Prof. Dr. Marcel Baumgartner (Vorsitzender der Kurzeck-Gesellschaft, links) und der Herausgeber Rudi Deuble. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

Literarisches Denkmal gesetzt

Zuvor war ein Workshop: Er beschäftigte sich mit dem Schriftsteller, der von 1943 bis 2013 lebte, und seinem Werk,  für das es so viele Auszeichnungen gab (beispielsweise den Alfred-Döblin-Preis und den Preis der Literarturhäuser).  Im Rahmen dieser zweitägigen Zusammenkunft von Literaturfreunden, von denen einige den Autor viele Jahre gekannt hatten, erfolgte noch ein Spaziergang in Gießen zu den Orten, über die der Schriftsteller in Romanen und Hörbüchern berichtet hat. Er hat Oberhessen (ebenso wie seinen weiteren Lebensstationen Frankfurt/Main und Uzès in Frankreich) ein literarisches Denkmal gesetzt (sowohl den Menschen als auch der Natur dieser Gegenden).   

Wie es zu dem Buchtitel kam

Daran knüpft auch die neue Nachlasserzählung an,  deren Titel „Und wo mein Haus“ auf dem ersten Vers der tschechischen Nationalhymne  – Kde domov můj („Wo ist meine Heimat?“) – basiert, wie Rudi Deuble im Burghaus erläuterte. Ursprünglich sollten die verschiedenen Kapitel alle im Roman „Vorabend“  enthalten sein, der noch zu Lebzeiten  Kurzecks erschien.  Aber der Verfasser hatte dann verschiedene Stellen für ein anderes geplantes Buch zurückgelegt, aus dem dann  „Und wo mein Haus“  entstanden ist.

Von der Arroganz gegenüber „Zugezogenen“

In dieser Chronik von Erinnerungen zieht sich wie ein Roter Faden die Beschreibung  einer gewissen seelischen Qual, unter der „Zugezogene“ ebenso litt wie viele andere Menschen, die das gleiche Schicksal wie er erlitten (ein Phänomen, das es auch heute noch gibt): Es geht um die  dumpfbackige, verfluchte Einstellung viele „Alteingesessener“, die Menschen, deren Familien nicht seit gefühlten 34 Generationen im Ort leben, als Bürger zweiter Klasse anzusehen. Und dann gab und gibt es die Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen und Vertriebenen. Und eine gewisse Arroganz von Städtern gegenüber den Menschen vom Land.  Unter anderem auf Seite 21 im Roman beschreibt Kurzeck das Gefühl der Erniedrigung für den „Tölpel vom Land“, als er als Kind aus dem Zug aussteigt: „Vom Dorf ein paar Jahre in die Stadt ins Gymnasium. Fahrschüler heißt es. Vom Dorf und auch dort fremd.“

Der Gießener Bahnhof.  Der Autor fuhr bereits als Kind oft mit dem Zug dorthin oder von dort ab, wie er in seinen Aufzeichnungen erwähnt. Rings um den Bahnhof fand nach dem Zweiten Weltkrieg der sogenannte „Schwarzmarkt“  statt. (Foto: Wikipedia, Hydro)
Um Wasser bei den Hausleuten bitten

Schon in der nächsten Zeile formuliert der Schriftsteller allerdings, wie er sich trotzig (vielleicht verzweifelt) Mut gemacht hat: „Vom Dorf und arm, aber als Kind, sagte ich, wenn man will, ist man König. Geht leicht.“

Einige Seiten später erfolgt die Schilderung der Armut in den Jahren vor dem Wirtschaftswunder.  So viele  Menschen – ob es die „Alteingesessenen oder die „Dazugekommenen“  waren – haben sie durchlebt (wie auch die Opfer des Terrors der Nationalsozialisten). Peter Kurzeck erlebte als Kind mit seiner Schwester, der Mutter und dem aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Vater, der (wohl wegen einer anderen Frau) nicht lange blieb, Entbehrungen. Die Familie wohnte in Staufenberg in bescheidenen Verhältnissen:

„Haben als Flüchtlinge in unserem einzigen Flüchtlingszimmer kein Waschbecken, kein Spülbecken, nicht einmal einen eigenen Wasseranschluss. Das Wasser muss man sich jeden Tag bei den  Hausleuten ausbitten…Immerhin gute Hausleute. Ein Glücksfall. Freundlich und hilfsbereit… Aber gerade weil die Hausleute so gut sind, darf man sie nicht zu oft um etwas bitten.“

Viele Gießener mussten in Ruinen leben

Es folgen die Beschreibungen, wie spärlich das Lampenlicht in diesen Jahren war und wie die Mutter Stofftaschen nähte: „aus alten Kartoffelsäcken.“   Mit der Mutter ging es mit dem Zug nach Gießen, wo bereits in Bahnhofsnähe der Standort des Schwarzmarkts begann und wo man an den Ruinen vorbeilief.  „In den Ruinen die Keller oft noch bewohnt. Ofenrohre. Ein Schornstein aus Blech, hastige kleine Rauchwolken. Da wird mit wenig Holz Essen gekocht.“

So mache „Übriggebliebene“ arbeiteten in US-Army

Einen zentralen Platz in dem Nachlasswerk nehmen die Erfahrungen ein, als Peter Kurzeck in der Personalabteilung für die deutschen Zivilangestellten des US-Army-Depots  in Gießen arbeitete, wo er es bis zum Personalchef brachte. Er berichtet von den „Displaced Persons“, die in den Labor Service Companies arbeiteten, wie man auch von Rudi Deuble im Nachwort erfährt: „Es  handelte sich um „Übriggebliebene“ von Hunderttausenden, die unmittelbar nach dem Krieg in Gießen von der US-Army  in Durchgangslagern versorgt wurden, um dann in ihre Herkunftsländer zurückgeführt zu werden. Vor allem unter ehemaligen  Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus Osteuropa  gab es viele, die in Behelfslagern blieben und in den von der US-Army aufgestellten Labor Service Companies (Zivilen Arbeitseinheiten) Beschäftigung fanden.“  Kurzeck skizziert die Heimatlosigkeit  dieser Menschen. Sie bildeten noch in den sechziger Jahren eine Minderheit, in die sich  der gebürtige Sudetendeutsche gut hineinversetzen konnte.

Irgendwo richtig dazugehören

Auch in diesem Nachlassroman wird die Sehnsucht  Peter Kurzeck deutlich, irgendwo und irgendwie vollständig dazuzugehören. Sicherlich war ihm dieses Gefühl vergönnt, als er mit  seiner Freundin Sibylle  und der gemeinsamem Tochter Carina zusammenlebte – ein Glück zu Dritt, das leider nicht von endgültiger Dauer war, obwohl er auch noch nach der Trennung immer wieder die Tochter zum Kindergarten brachte.

Sicherlich einen Moment so richtig glücklich war Peter Kurzeck, als er 2011 – verdientermaßen –  zum Staufenberger Ehrenbürger ernannt wurde. Und dies, obwohl er doch kein „Gebürtiger“ war…

Der Roman ist bei Schöffling & Co erschienen und  kostet 24 Euro. Bestellnummer: 978-3895616938

Titelbild: Peter Kurzeck am Schreibtisch 1968 bei der US-Army. (Foto: Kurzeck-Archiv)

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