Vom Yuppie zum Protestler
Von Klaus Nissen
1949 ist Peter Hartung geboren, im Dezember 2018 starb er. Das Leben des in Norddeutschland aufgewachsenen und im Wetteraukreis gestorbenen Umweltpolitikers ist ein Stück bundesdeutscher Zeitgeschichte. Aus Anlass seines Todes am 26. Dezember 2018 folgt hier ein Porträt, das erstmals im August 1997 in der Frankfurter Rundschau erschien.Peter Hartung – Schiffsmakler wird Aktivist
Die Geschichte beginnt in Salack. Das Dörfchen bei Pecs in Südungarn wurde um 1725 von deutschen Auswanderern besiedelt. Die Männer der Familie Hartung arbeiteten da als Handwerker und Steinkohle-Kumpel. 1942 kam die Waffen-SS, zog junge Volksdeutsche ein. Der Bergmann Franz Hartung wurde Soldat. Als Lkw-Fahrer machte er den Krieg mit. Bei den Greueltaten deutscher Soldaten im Osten habe er nicht mitgemacht, schwor er nach dem Krieg seinem Sohn Peter.
1945 waren viele aus Hartungs Familie von den Russen nach Tschetschenien verschleppt. Andere in die Oberlausitz. Franz Hartung landete kriegsversehrt in Elmshorn bei Hamburg. Da heiratete er Käthe. Sohn Peter: „Die kam aus Marne, aus einer Familie Dithmarscher Dickschädel. Der Vater war Stromableser und 50 Jahre in der Gewerkschaft. Er hat seinen Kindern verboten, ,Heil Hitler‘ zu sagen. Deshalb verlor er seine Arbeit“ .
1949 kam Peter Hartung zur Welt. Mit einem jüngeren Bruder und zwei Schwestern wuchs er in Vossloch am Rantzauer Forst auf. Der Vater ernährte die Familie mühsam als Kleinrentner, Toiletten- und Kohlenmann. Er starb 1988. Mutter Käthe engagierte sich als SPD-Stadtverordnete in Elmshorn. Peter Hartung sollte zum Gymnasium, wollte aber nicht. Er las nach eigenem Bekunden „alles, was bedruckt war“ . Und träumte von der Werft. Zum Realschul-Abschluss verfasste er ein 80-Seiten-Werk über den Hafen vom Elmshorn. Bei der Hamburger Finnland-Reederei H. M. Geerkens ging er in die Lehre. Wurde Schiffsmakler: zahlte Lohn an die Seeleute aus, kümmerte sich um den Zoll und blinde Passagiere. In der „einkommenden Abteilung“ hatte der Yuppie Hartung mit Holz aus Finnland zu tun, Getreide aus La Plata, Kaffee und Tropenholz aus Westafrika.
Dann mußte er zur Marine. Verweigerte den Wehrdienst und bekam als Zivi im Elmshorner Krankenhaus einen ganz anderen Blick aufs Leben. Später wurde Hartung EDV-Organisator in der Reederei, wechselte 1977 zur Maxwell-Kaffeefabrik und bald als “ Tallimann“ und “ Cargo Tracer“ zur Slomann-Reederei. Da fahndete er weltweit nach verlorenen Frachtstücken. Hartung wurde Betriebsratsvorsitzender.
Die Stadtverordneten wurden eingemauert
Dann kam ein Bruch. 1981 kündigte er wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte von einem auf den anderen Tag. War ein Jahr arbeitslos. Und studierte dann in Hamburg Betriebswirtschaft, öffentliches und Umweltrecht, empirische Sozialforschung. Als sein politisches Schlüsselerlebnis nennt Hartung das harte Durchgreifen der Polizei gegen Anti-NPD-Demonstranten 1968 in Hamburg. Fortan fand der spätere Niddaer Freunde und politische Erfahrungen in der Protestszene. In der „Wählergemeinschaft Elmshorn“ kämpfte er gegen die Müllverbrennung in Ahrenlohe, gegen Pestizide aus einem Rosenzuchtbetrieb. Im „Arbeitskreis junger Gewerkschafter“ trug er Mitte der Siebziger Richtungskämpfe unter linken Gruppen aus. “ Wir waren die nördlichste Bastion des Sozialistischen Büros Offenbach“ , sagt Hartung. Und weil die Stadt Elmshorn nicht gegen das Brokdorfer Kraftwerk-Projekt klagte, mauerten Hartung und Freunde die Stadtverordneten im Sitzungssaal ein.
Ab 1983 gründeten sie das alternative “ Krückau-Blatt“ , agitierten für atomwaffenfreie Zonen, ein kommunales Kino, für ein sandinistisches Nicaragua und “ Jute statt Plastik“ . Gegen Gorleben und Grohnde, die Volkszählung, den Kaltenkirchener Flughafen. “ Die soziale Bewegung war um vieles lebendiger als heute“ , sagt Peter Hartung. Doch Mitte der achtziger Jahre versandeten die Gefühle der Euphorie und Gemeinschaft. Warum? Hartung meint: Die Fachleute aus der Bewegung wurden zu Experten in Planungsbüros. Andere gingen in Alternativ-Projekte. Alle gingen ihrer Wege. Der Weg von Peter Hartung und seiner Lebensgefährtin Waltraud Merz, führte nach Offenbach. Beide fanden Arbeit in der Frankfurter Vorstandsverwaltung der IG Metall. 1991 zog das Paar nach Ranstadt in die Wetterau. Dort geriet Hartung bald mit dem Management der Spanplattenfabrik Hornitex aneinander, deren Rauchwolken über viele Jahre ein Erkennungszeichen für den Industriestandort Nidda waren. In den beiden folgenden Jahrzehnte bemühte sich Peter Hartung letztlich erfolgreich, die negativen Umweltauswirkungen dieser Fabrik zu begrenzen.