Online-Journalismus

Warum der Merkurist sterben musste

Von Klaus Nissen

Wie ist guter Lokaljournalismus zu finanzieren? Diese Frage wird angesichts schwindender Auflagen der Lokalzeitungen immer drängender. Der Neue Landbote funktioniert nur, weil die Autorinnen und Autoren unbezahlt und freiwillig interessante Themen recherchieren und veröffentlichen. Wenn uns das einmal keinen Spaß mehr macht, ist es aus. Schon jetzt hat es den Merkurist erwischt. Das von der Reichweite her sehr erfolgreiche Online-Lokalmedium für Mainz und Wiesbaden wurde eingestellt.

Online-Journalismus braucht zahlende Leser

Kurz vor neun Uhr früh trudelte am Freitag, dem 13. die tägliche guten-Morgen-Mail des Merkurist im Postfach ein. Sie kündigte die Themen des neuen Tages an: In Mainz verstärkt die Stadt die Kontrollen der Biotonnen. Die Wiesbaden-Ausgabe der Online-Zeitung wollte sich der Frage widmen, wann endlich die A66 bei Erbenheim sechsspurig ausgebaut würde. Doch die Antwort bleibt der Merkurist schuldig. Um 9.14 Uhr verkündete die Geschäftsführerin Sarah Heil ihrem Publikum das Aus. Keine neuen Nachrichten mehr. Auch die gut 30-köpfige Belegschaft traf diese Botschaft offenbar plötzlich, ohne Vorwarnung.

So sah die Antwort des Merkurist-Publikums auf einen Themenvorschlag aus. Wer den Button anklickte, löste damit eine Recherche zum Thema aus. Niemand konnte beim Merkurist also behaupten, dass die journalistischen Inhalte die Leserschaft nicht interessieren.

Was ist da passiert? Mit großem Interesse verfolgte der Neue Landbote die Entwicklung des journalistischen Startups in Mainz seit seiner Gründung im Jahre 2015. Im Oktober 2016 portraitierten wir die Gruppe junger Journalistinnen und Journalisten und ihr Konzept. Denn sie schafften es tatsächlich, lokaljournalistische Recherchen zu finanzieren und eine große Leserschaft zu finden. Das sei vielleicht die Blaupause für einen qualitätsvollen lokalen und regionalen Journalismus der Zukunft, hofften damals alle. Schnell entstanden auch in Wiesbaden und in Frankfurt Lokalredaktionen.

Der Merkurist fand seine Themen in den „Snips“ der Bevölkerung. Wer sich beispielsweise fragte, warum eine bestimmte Straßenbaustelle so lange besteht, fotografierte sie mit dem Smartphone und schickte sie mit der entsprechenden Frage an die Redaktion. Die stellte diesen „Snip“ online. Und wenn genug andere Nutzer die Frage ebenfalls als relevant markierten, machten sich die Rechercheure auf die Suche nach Antworten.

Manuel Conrad gründete zusammen mit Freunden in Mainz ein journalistisches Startup, das in den besten Zeiten drei Redaktionen mit bezahltem Personal unterhielt. Foto: Nissen

Das klappte offenbar sehr gut. Zuletzt wurden die Merkurist-Seiten nach dessen Angaben pro Monat rund 1,2 Millionen Mal besucht. Die Zahl der Leserinnen und Leser schätzten die Merkuristen auf 470.000. Lokale Themen interessieren die Leute. Zumal sie für die Lektüre nichts bezahlen mussten.

Das Geld für die Redaktion und die Verwaltung verdiente der Merkurist mit Anzeigen. Für jeden einzelnen Artikel riefen die Anzeigenverkäufer den nach Thema und Ort passenden Inserenten an. Ihr Verkaufsargument: Man könne nachweisen, wie viele Menschen sich die Textpassage ansehen, in die die Online-Anzeige eingebettet ist. Das ist mühsam, aber es funktioniert, versicherte vor vier Jahren der Startup-Gründer und Betriebswirt Manuel Conrad. Wer für den Merkurist arbeitete, bekam dafür Geld – wenngleich längst nicht den Tariflohn für Redakteurinnen und Redakteure. Einnahmen generierte der Merkurist auch mit extra gekennzeichnetn, bezahlten Werbe-Artikeln für Unternehmen oder ihre Produkte und Dienstleistungen.

Das Geschäftsmodell lockte Verleger an

Das journalistische Geschäftsmodell des Merkurist fand bundesweit Interesse. So kam es, dass neben den Unternehmern Jan Zirn und Jörg Krick am Ende auch die solvente Verlagsgruppe Rhein-Main (VRM) zu den Anteilseignern des Onlinemediums gehörte. Die VRM gibt unter anderem den Wiesbadener Kurier, den Gießener Anzeiger und diverse hessische Lokalzeitungen heraus.

Dennoch zogen die Eigentümer am Freitag, den 13. November 2020 den Stecker. Die Frankfurt-Ausgabe wurde schon zum Jahresende 2019 eingestellt. Die leitende Redakteurin Sarah Heil schreibt zum Abschied, das Corona-Virus habe das Ende des Mediums gebracht. „Viele Werbekunden waren selbst sehr gebeutelt und konnten nicht im gewohnten Maße mit ihren Werbebudgets agieren – manche, wie die Veranstaltungsbranche, hatten auch einfach nichts zu bewerben. Für ein Portal, das für seine Leser immer kostenlos war und das sich daher über Werbeanzeigen finanziert, war das ein schwerer Schlag. Im Sommer ging es bei den Werbeanzeigen wieder etwas bergauf, wir waren motiviert und voller Zuversicht, dass 2020 doch noch ein gutes Jahr wird und wir neue Umsätze mit tollen Werbepartnern generieren können. Mit dem ‚lockdown light‘ (…) brachen Umsätze ein, und die Prognosen wurden immer schwärzer.“

Wenn die Wirtschaft lahmt, ist auch der Journalismus am Ende

Schließlich kamen die Eigentümer zur Einsicht, dass „der Ausblick auf einen nachhaltig profitablen Geschäftsbetrieb bei Merkurist nicht mehr haltbar war.“ Der Belegschaft bleibt nur noch der Gang zur Arbeitsagentur und das Schreiben von Bewerbungen um andere Jobs.

Für uns, das Team des Neuen Landboten, ist das Ende des Merkurist ein Hinweis darauf, dass man mit den Erlösen aus Anzeigen allein keinen qualitätsvollen Lokaljournalismus auf Dauer hinbekommt. Wir haben von Anfang an auf bezahlte Anzeigen verzichtet. Die Arbeitsstunden des Redaktionsteams sind in der Regel nicht bezahlt. Die über das Laterpay-System eingeholten freiwilligen Beträge der Landbote-Leserinnen und -leser finanzieren vor allem die technische Infrastruktur für den Betrieb der Webseite www.landbote.info.

Lokaljournalismus muss gemeinnützig werden

Daraus folgt: Nur solange wir es uns leisten könnten und auch motiviert sind, berichtet der Neue Landbote noch über interessante Vorgänge im Rhein-Main-Gebiet, in Mittel- und Obessen. Auf Dauer brauchen aber auch wir Geld für unsere Arbeit und das Engagement jüngerer Journalistinnen und Journalisten. Das kommt durch das Betätigen der Laterpay-Taste oder besser noch durch einen Monatsabo in selbst gewählter Höhe herein. Es liegt an Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ob der Landbote eines Tages endet wie der Merkurist. Oder ob wir eines Tages nahezu alles beschreiben, was in der Region neu ist, schief läuft oder einfach interessant ist.

Bundesweit und auf Dauer wird ein „echter“ Lokaljournalismus nur dann bestehen, wenn die Nutzerinnen und Nutzer die Informationen wertschätzen und dafür bezahlen. Hilfreich wäre dabei, wenn der Gesetzgeber einen nicht interessengetriebenen Lokal- und Regionaljournalismus als gemeinnützig einstuft. Dann könnten die Leserinnen und Leser mit steuerabzugsfähigen Spenden den Rechercheuren einen würdigen Stundenlohn bescheren.

Der Landbote-Artikel über den Merkurist vom Oktober 2016 steht hier: https://landbote.info/?s=Merkurist

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