Notunterkünfte

Flüchtlinge in Zelten und Leichtbauhallen

Von Klaus Nissen

Seit 2021 sind laut Kreisverwaltung fast neunmal so viele Geflohene im Wetteraukreis aufgenommen worden als 2015 und 2016. Der Wohnraummangel wird immer dramatischer. Er zwingt die Kommunen und den Kreis zum Aufbau kaum noch menschenwürdiger Notunterkünfte.

Bald mehr als 100 Notunterkünfte im Kreis

Schon Ende Oktober 2022 warnten der Landrat und die Verwaltungschefs der 25 Wetterauer Städte und Gemeinden per offenem Brief, dass sie die vielen Geflohenen kaum noch menschenwürdig unterbringen können. Nötig sei mehr Geld und ein gerechter Verteilschlüssel auf europäischer Ebene. „Aus dem Bundeskanzleramt haben wir bis heute keine Reaktion erhalten“, sagt Jan Weckler nun.

So sieht die Überwachungskamera die neuen Schlafabteile für Geflohene in der Sporthalle von Altenstadt-Oberau. Jedem Menschen stehen dort maximal sechs Quadratmeter zu. Privatsphäre gibt es dort nicht. Foto: Wetteraukris

Beim Flüchtlingsgipfel in der vorigen Woche kam heraus, dass vorerst kein zusätzliches Geld für die Unterbringung an die Kommunen fließt. Doch es kommt ein digitales „Dashboard“, das die Verteilung der Geflohenen transparenter machen soll. Das, so Weckler, bringt „kein einziges zusätzliches Bett für die Menschen, die uns Land und Bund wöchentlich zuweisen.“ Für das erste Quartal 2023 müssen die Wetterauer jede Woche mit 61 weiteren Menschen aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien und anderen Krisenländern rechnen.

„Es wird wohl auf Zelte hinauslaufen“


Der Landrat befürchtet, dass im neuen Jahr noch mehr Geflohene kommen als 2022. Denn im Januar habe sich die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Dabei werde es immer schwieriger, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu beschaffen. Und: „Wir sehen, dass sich vor Ort immer mehr Widerstand in der Bevölkerung regt. Vor allem dann wenn Geflüchtete in der Nachbarschaft untergebracht werden sollen.“

„Es gibt kaum noch Wohnungen zum Anmieten“, sagt auch die Ranstädter Bürgermeisterin Cäcilia Reichert-Dietzel. Sie hat aktuell hundert Geflüchtete aus der Ukraine und 25 „Weltflüchtlinge“ in Obhut. Weitere werden erwartet. Auf Reichert-Dietzels Schreibtisch landete der Prospekt eines Mietcontainer-Händlers. Der würde den Ranstädtern Wohnraum für zwölf Menschen beschaffen. Kostenpunkt: 89 000 Euro pro Jahr. Ein anderer Anbieter würde ein dreistöckiges Wohnhaus mit sechs Appartements für insgesamt 24 Menschen auf die Wiese stellen. In Schlichtbauweise, für schlappe 730 000 Euro netto.

Das Bürgerhaus in Wallernhausen bei Nidda wird gerade mit Flüchtlingen belegt. Eigentlich wollen Landkreis und Kommunen vermeiden, dass solche Einrichtungen zweckentfremdet werden. Aber es gibt zu wenig andere Quartiere. Foto: Wetteraukreis.


Das ist für die Gemeinde unbezahlbar. Für 2023 „wird es wohl auf Zelte hinauslaufen“, befürchtet die stellvertretende Sprecherin der Wetterauer Bürgermeister-Vereinigung. DerLandrat sieht das ähnlich. „Wir schaffen weiterhin unter Hochdruck neue Unterkünfte“, berichtet Jan Weckler. „Parallel prüfen wir für die Stellung von Leichtbauhallen verschiedene Flächen, die uns die Kommunen gemeldet haben. Die erste Halle soll in der Kaserne in Friedberg entstehen, eine zweite in Rosbach. Weitere sollen im Laufe des Jahres folgen.“

Wohnungsbaugesellschaft soll leere Häuser renovieren


Die Ranstädter Bürgermeisterin wünscht sich eine Strategie, wie man vor Ort mehr Wohnraum schafft und die Geflüchteten besser integriert. Die Kommunen brauchten mehr Geld – in Österreich könnten sie die gesamte Gewerbesteuer behalten. Und die arbeitsfähigen Geflüchteten bekämen dort schon nach wenigen Wochen Anreize, sich Arbeit zu suchen. Bei uns dagegen erhielten Ukrainerinnen vom Jobcenter genug Geld, um nicht in der Gastronomie oder in den Kitas arbeiten zu müssen.

Der auch für Einheimische tragische Wohnraummangel wird nach dem Geschmack Cäcilia Reichert-Dietzels nicht konsequent genug bekämpft. Klar, kurzfristig brauche es weitere Gemeinschaftsunterkünfte. Doch gleichzeitig müsste endlich die Kreiswohnungsbaugesellschaft gegründet werden. Sie könnte gemeinsam die Eigentümer der vielen leerstehenden Häuser und Wohnungen in den Ortskernen ansprechen. Und die Wohnungen so renovieren, dass wieder Menschen einziehen können. „Aber davon will der Wetteraukreis ja nichts wissen“, sagt die SPD-Politikerin resignierend. „Ich weiß nicht, woran es hängt.“

Man habe doch schon intensiv bei der Bevölkerung um Bereitstellung von Wohnraum geworben, meint Landrat Weckler dazu. „Dennoch war der Erfolg überschaubar.“ Und für den Bau einfacher Wohnungen brauche es Grundstücke, die der Kreis nicht habe. Aktuell „müssen wir die vorhandenen Ressourcen dafür nutzen, sehr kurzfristig Lösungen zu schaffen.“ Also Leichtbauhallen und Containersiedlungen mit Etagenbetten.

Schlechte Stimmung in den Not-WGs

2022 kamen laut Kreisverwaltung 4898 Geflohene in die Wetterau, davon mehr als 4000 aus der Ukraine. Anfang 2023 waren 3470 Menschen aus der Ukraine in der Wetterau gemeldet. Im Kreisgebiet gibt es mittlerweile 94 Gemeinschaftsunterkünfte – vom Container bis zur ehemaligen Gewerbehalle. Darin waren am 13. Januar genau 3311 Menschen untergebracht. Die Belegungsquote lag bei 95 Prozent.
In einer Gemeinschaftsunterkunft stehen jedem Menschen nicht mehr als sechs Quadratmeter zu.

Auch diese Enge verschärft die Lage in den multikulturellen Not-Wohngemeinschaften. Der Fachdienst Migration beklagte in einer Ausschuss-Sitzung jüngst zunehmende Kindeswohlgefährdungen. Schwierig sei auch die bedarfsgerechte Untgerbringung teils schwerstkranker und traumatisierter Personen. Man registriere eine „teilweise sehr hohe Erwartungshaltung an Unterbringung (eigene Wohnung) und bei manchen Geflohenen ein „inakzeptables Verhalten Behörden, Polizei, Feuerwehr und Sozialarbeit gegenüber“. Der Betreuungs- und Beratungsbedarf der Geflohenen sei enorm.

Ehrenamtler verzweifelt gesucht

Der Einsatz weiterer ehrenamtlicher Helfer wird wird dabei immer wichtiger. Um sie zu aktivieren, planen der Landkreis und die Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe Wetterau für den 21. März eine ganztägige Flüchtlingskonferenz.

Seit dem 20. Februar 2023belegt der Wetteraukreis das Bürgerhaus in Nidda-Wallernhausen mit bis zu 29 Geflohenen. Sie wohnen fortan in einem 223 Quadratmeter großen Saal und einem 50 Quadratmeter großen Raum. In den vergangenen Wochen wurden die Betten, Spinde und Raumteiler sowie ein Küchencontainer im Außenbereich gestellt.

Weitere Notunterkünfte in Dorheim, Berstadt, Wöllstadt, Rosbach

Im Laufe des Jahres wird die Zahl der bisher 97 Gemeinschaftsunterkünfte wahrscheinlich die hundert überschreiten. Man brauche weitere Quartiere für 50 bis 100 Menschen, heißt es in einer Vorlage für die Bürgermeister-Dienstversammlung im Januar 2023. So wurde am Rande von Dorheim eine große Container-Anlage aufgebaut. In Berstadt und der Bad Nauheimer Birkenkaute ziehen Geflohene in ehemalige Gewerbehallen ein. Bald auch in eine Rosbacher Ex-Kita. In der früheren Friedberger US-Kaserne müssen 150 Menschen vorübergehend in Leichtbauhallen wohnen, weil die lange leerstehenden Kasernengebäude von Schimmel befallen sind.

In Wöllstadt entscheidet das Gemeindeparlament am 23. Februar 2023 darüber, ob der Wetteraukreis neben der schon bestehenden Container-Unterkunft für 40 Menschen am Ortsrand in Richtung Okarben ein noch größeres Containerlager bauen darf. Das bringt Vorteile für die Verwaltung der gemeindeeigenen Unterkunft, so Bürgermeister Adrian Roskoni. Die Containersiedlung soll einen Zaun, Sozialarbeiter und einen gemeinsamen Sicherheitsdienst bekommen.

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