Die Newsreader

Die Redaktion als Schlangennest

Von Michael Schlag

Die australische Serie „Die Newsreader“ spielt in den wilden Achtzigern in der Nachrichtenredaktion „News at Six“. Die Weltereignisse überschlagen sich und Nachrichtensprecherin Helen Norville versucht ihre Stellung als Starmoderatorin zu verteidigen. „Es ist schon eine Freude, den Profis in der Nachrichtenredaktion bei der Arbeit zuzusehen“, lobt Landbote-Autor Michael Schlag die Serie.

Eine irre stressige Live-Sendung

Was für ein Schlangennest. Wenn ein Kollege Dir einen Job überlässt, den Du so gerne machen wolltest, schauen dir alle beim Absturz zu. Wenn Dein Chef Dich lobt, Dir eine Beförderung und mehr Geld anbietet, dann braucht er Dich nur, um einen anderen abzusägen. Willst du selbst weiterkommen, dann stelle Deine Forderung zwei Minuten vor Sendebeginn mit der Drohung zu kündigen – und lasse es Dir schriftlich geben, soviel Zeit muss sein. Sei stets bereit, Deinen Informanten für die Quote über die Klinge springen zu lassen und streiche das Wort Ehrlichkeit aus Deinem Repertoire. Und beachte die Feinheiten des Umgangs miteinander. Verhandlung beim Mittagessen in einem feinen Restaurant. Bestelle das Drei-Gänge-Menü, steh auf, bevor es kommt und lass dein Gegenüber mit der Rechnung sitzen. News at Six heißt die TV-Sendung und mitten in dem Schlangennest ein Küken, das Reporter werden will.

Der Newsreder-Chef und sein Anchorman. (Bildrechte: ARTE F / © Ben King)

Das alles spielt im ersten Halbjahr 1986 in Melbourne und wer in der Zeit selbst als Journalist begann, erinnert sich noch an alles: Die Explosion beim Start der Raumfähre Challenger, das erste Auftreten von AIDS, die Diskriminierung der Kranken und natürlich die Katastrophe von Tschernobyl. Es ist schon eine Freude, den Profis in der Nachrichtenredaktion bei der Arbeit zuzusehen, wenn bei einer irre stressigen Live-Sendung jeder sein Allerbestes für den anderen gibt und sich am Ende alle in den Armen liegen: Heute waren wir wieder unschlagbar. Und es sind ja auch tolle Kollegen – viele aus der eigenen Laufbahn nur zu gut bekannt. Der cholerische Chefredakteur, der beim kleinsten Anlass einen Reporter rausschmeißt, nur um ihn vor Redaktionsschluss wieder einzustellen. Der Chef vom Dienst, dem es irgendwie gelingt, bei den ganzen Rivalitäten täglich die Fäden zusammenzuhalten und pünktlich auf Sendung zu sein. Die Faktencheckerin, die vom Chef massiv gedrängt wird, eine Meldung zu bestätigen; als der Skandal dann perfekt ist, lässt er sie natürlich sofort fallen.

Bombiger Journalismus

Das alles 1986: Kein Internet, kein Mobilfunk, Recherche nur per Telefon, aus dem Zeitungsarchiv und mit persönlicher Begegnung. Kein Bildtransfer über das Netz, die Bänder werden noch durch den Feierabendverkehr zum Studio gefahren, die Zuschauer sitzen vor dem Röhrenfernseher. Und dieser herrliche Zynismus, mit dem sich unsere Branche so gerne krönt. Als der Anchorman nach einem Herzinfarkt wieder auf Sendung zur aggressiven Höchstform aufläuft, haut sich sein Chef brüllend auf die Schenkel: „Der Herzinfarkt hat ihm gut getan“ – um ihn kurz darauf trotzdem zu feuern.

Ein Glücksfall: Eine Bombe explodiert während der Live-Sendung.

Und was für Glücksfälle es doch gibt: Während ein Reporterkollege meint, dass sich am Set sowieso nichts mehr tut und nach Hause fährt, passiert fünf Minuten später in der Straße gegenüber ein terroristischer Bombenanschlag – unser Küken hat das Equipment samt Mannschaft sendefertig dabei und besteht die ganze Sache mit Bravour. Und während er zur Hauptsendezeit live auf Sendung spricht, explodiert im Hintergrund eine zweite Bombe. Schöner kann’s ja gar nicht werden, denn hier will jeder nur eins: Newsreader sein.

Die Newsreader, 6 Folgen, Zu sehen bis zum 9. Mai 2023 in der Arte-Mediathek https://www.arte.tv/de/videos/RC-023234/die-newsreader/

Titebild: Hier ist einer zuviel. Die Nachrichtenredaktion „News at Six“ ist ein Schlangennest.

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