Susanne Walther spricht über Buch-Recherche
von Jörg-Peter Schmidt
Susanne Walther hat intensiv über das Buch „Nackt unter Wölfen“ (von Bruno Apitz geschrieben und 1958 in der DDR erstmals erschienen) recherchiert und dabei hochinteressante Fakten zutage gebracht. Darüber sprach sie jetzt im Kinocenter in Gießen.Neues über den Roman und den Autor
Noch unter ihrem Mädchennamen Susanne Hantke hatte die Autorin, die heute als Lehrerin in Spandau arbeitet, 2018 eine Dokumentation mit dem Titel „Schreiben und Tilgen“ – Bruno Apitz und die Entstehung des Buchenwald-Romans ‚Nackt unter Wölfen’“ verfasst. Die Pädagogin und Schriftstellerin schilderte in der gut besuchten Veranstaltung zahlreiche wichtige Details über den Roman und seinen Verfasser, die allgemein kaum oder gar nicht bekannt waren.
Kind im KZ versteckt und gerettet
Auch Moderatorin Professorin Ulrike Weckel (Fachjournalistik Geschichte und Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Justus-Liebig-Universität) trug durch interessante Fragen an die Historikerin dazu bei, dass die gemeinsame Veranstaltung des Literarischen Zentrums Gießen (LZG), des Kinocenters und des Fördervereins Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen ein Abend mit einem hohen Informationswert wurde.

Zur Vorbereitung auf das Gespräch hatte einige Tage zuvor die Möglichkeit bestanden, im Kinocenter den nach dem Apitz-Roman gedrehten DDR-Film „Nackt unter Wölfen“ (1963) anzuschauen. Die Geschichte von Buch und Film basiert auf dem wahren Geschehen, dass ein Kind in dem KZ Buchenwald von Häftlingen versteckt und gerettet wird. Bruno Apitz war selbst Insasse in Buchenwald gewesen und hat die Erfahrungen und das Leid im KZ in seinem zuerst im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienenen Roman verarbeitet.

Sonderrolle von Kommunisten im KZ
Susanne Walther ging im Gespräch im Kinocenter ausführlich auf die Rolle im KZ Buchenwald ein, die Nationalsozialisten verschiedenen Kommunisten (auch Bruno Apitz gehörte dazu) zugestand: als Funktionsträger der Lagerverwaltung. Wie die Autorin auch als Mit-Herausgeberin der 2020 erschienenen, erweiterten Neuausgabe von „Nackt unter Wölfen“ (Aufbau-Verlag) erläutert, ergab sich diese Sonderrolle aus verschiedenen Gründen. Deutsche Kommunisten gehörten zu den ersten Häftlingen dieses Konzentrationslagers. Sie mussten ab 1937 das Lager aufbauen. Auch war man bei den Nazis der Meinung, dass deutsche Kommunisten für die Lagerverwaltung beispielsweise wegen ihrer Erfahrung bei der Organisation, Menschengruppen zu führen, geeignet sind. Die Kommunisten wiederum sahen in ihrer „privilegierten“ Funktion die Chance, selbst zu überleben, Widerstand zu leisen und Mithäftlingen (darunter Kindern) zu helfen. Die „Beziehung“ zwischen den Kommunisten und den Nazis im Lager war selbstverständlich lediglich eine reine Zweckgemeinschaft in dem Lager, in dem ansonsten Grausamkeit der Nazis herrschte.
Beispielsweise Bruno Apitz wurden gewisse Hafterleichterungen (etwa bezüglich des Essens) gewährt, zumal er Bildhauerwerke sowie andere künstlerische oder handwerkliche Arbeiten unter anderem für die SS-Lagerfunktionäre anfertigte.
Repressalien der Ulbricht-Riege
Wie die Historikerin in Gießen berichtete (und auch im Nachwort der erweiterten Ausgabe von „Nackt unter Wölfen“ schreibt), schlug nach der Buchenwald-Befreiung den ehemaligen kommunistischen Häftlingen seitens der SED-Riege um Walter Ulbricht Skepsis entgegen. Walther: Angezweifelt wurde, „dass führende Buchenwalder Kommunisten, die im Lager … Häftlingsfunktionen bekleidet hatten, innerhalb der KZ-Strukturen Widerstand geleistet hatten.“ Die SED und auch zeitweise Sowjets sprachen Verhaftungen aus. Auch Apitz schlug diese Skepsis entgegen – allerdings wurde er im Laufe der nächsten Jahre wegen seines Bucherfolgs in und außerhalb der DDR anerkannt und berühmt.
Es gab das „Buchenwald-Kind“

Gab es wirklich in Buchenwald die Möglichkeit, ein Kind vor den Nazis zu verstecken und zu retten? Aus Zeitungsberichten geht hervor: In der Tat trugen Kommunisten dazu bei, dass ein bei seiner Einlieferung (mit seinem Vater) in Buchenwald vierjähriger Junge namens Stefan Jerzy Zweig das KZ überleben konnte. Bruno Apitz traf sich 1964 mit dem Vater und dem mittlerweile 23jährigen israelischen Staatsbürger Stefan Jerzy Zweig unter Blitzlichtgewitter im Weimarer Hotel „Elephant“.
Im Laufe des Gesprächsabends im Kinocenter erfuhr man noch, dass in der erweiterten Aufbauverlag-Ausgabe von „Nackt unter Wölfen“ Passagen hereingenommen wurden, die in vorherigen Ausgaben fehlten.
Es gab langen Beifall am Ende dieser Veranstaltung, die, wie eingangs erwähnt, hochinteressante Informationen bot.
Titelbild: Der Tag der Film-Uraufführung der 1963er-Fassung von „Nackt unter Wölfen“ in Berlin im „Colloseum“ (Quelle: Wikipedia, Bundesarchiv, Bild 183-B0411-0009-003 / CC-BY-SA 3.0