Michael Schroeder

„Halbmondzeit“ vergisst man nicht

Von Corinna Willführ

Michael Schroeder ist seit vielen Jahren in der Literaturszene als einfühlsamer Übersetzer griechischer Lyrik bekannt. Nun ist im Berliner Elfenbein-Verlag das literarische Debüt des Historikers erschienen: „Halbmondzeit“ – eine Erzählung von 54 Seiten, in der Erinnerung, Erfahrung und Ermahnung zu einem Text verschmelzen. Im Interview erzählt er, wie es zu dem Buch kam.

Sehr zart und ohne falsche Scham

Schroeder übertrug Verse der antiken Sappho wie Poeme des Dichters Konstantinos Kavafis ins Deutsche. Zudem war er viele Jahre als Lektor für Suhrkamp tätig und ist heute im Ruhestand noch ein gefragter Heraldiker, ebenso wie als Stadtarchivar und Autor zu Themen der Geschichte seines Wohnorts Ortenberg.

„Gleichsam dem Mittelmeer entstiegen, ohne falsche Scham und sehr zart“, schrieb der Büchner-Preisträger Karl Krolow über Michael Schroeders Übersetzungen von Konstantin Kavafis. Zwei Zeilen, die auch über der Erzählung „Halbmondzeit“ stehen könnten. Wären da nicht die Ereignisse der vergangenen Jahre: die Demonstrationen im Gezi-Park am Takzim-Platz in Instanbul, die Verhüllungen der Mosaike in der Hagia Sophia, die Flüchtlinge aus Syrien und Nordafrika, die es nicht bis an die europäische Küste geschafft haben. Michael Schroeder, heute 69, hat viele Länder im Okzident wie Orient bereist. Für manche Erlebnisse hat er nach vielen Jahren mit „Halbmondzeit“ Worte und Sätze gefunden. Die sich – und das ist dem Text eben anzulesen wie anzuhören – nur aus der profunden Kenntnis der Übersetzungen etwa auch von Homer entwickelt haben. Ihnen wohnt eine Melodie inne – von Traurigkeit, Sehnsucht und Liebe.

Ingo Držečnik, in dessen Berliner Verlag Elfenbein „Halbmondzeit“ erschienen ist, haben „bereits die ersten beiden Seiten“ überzeugt. Vor allem die Sprache. Aber auch wie der Autor auf den Seiten „mit Geschichte und Gegenwart spielt“. Die Bilder, die Michael Schroeder in seiner Erzählung aufrufe, seien wie die Schilderung der dramatischen Augenblicke zur aktuellen Situation von Flüchtenden, kurze Szenenbilder, die vom Leben berichten. Auch von erotischen Erlebnissen. Die es gab und geben wird. Existentielle Momente, von denen niemand weiß, wie sie sich in der „Halbmondzeit“ verändern werden. Dazu tun kann allerdings jeder etwas: mit Offenheit für das vermeintlich Fremde und Zuneigung zu einer Überzeugung, die für Michael Schroeder nicht zuletzt in der Nächstenliebe verankert ist.

Fragen an Michael Schroeder

Corinna Willführ: Herr Schroeder, Sie sind im Literaturbetrieb als Übersetzer griechischer Lyrik bekannt. Nun haben Sie mit „Halbmondzeit“ ein erstes Prosawerk vorgelegt. Wie kam es dazu?

Michael Schroeder: „Die Idee zu diesem Buch entstand vor vielen Jahren bei einem Aufenthalt in Istanbul und dem Besuch der Hagia Sofia – einem Bauwerk, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Aus der schwindelnden Höhe der Kuppel herab betrachteten einst geflügelte Engelsköpfe der Seraphim und Cherubim den sich klein und unbedeutend fühlenden Betrachter. Diese Engelsköpfe sind heute verhängt oder übermalt. 2009 wurde inmitten seiner gewaltigen Flügel ein verzaubernder Engelskopf wiederentdeckt, der zum Reisebegleiter des Erzählers wird.“

Wie haben Sie den Titel ausgewählt?

Michael Schroeder. (Fotos: Willführ)

„Der Titel stand von Anfang an fest. Gemeint war aber nie der Anbruch einer neuen Epoche, der des Halbmondes, sondern gemeint war und ist eine Entwicklungsphase, die Möglichkeiten aufweist: Der Halbmond kann sich zunehmend zum Vollmond runden oder wiederabnehmend zum Halbmond werden. Alles ist offen, vieles ist möglich.“

Der Erzähler von „Halbmondzeit“ ist ein Mann, unbestimmten Alters, einfach nur „Er“. Dieser „Er“ – begibt sich mit einem „dunklen Gefährten“ – einem Engel – auf eine Zeitreise durch Okzident und Orient, durch Vergangenheit und Gegenwart. Welche Ideen, welche Gefühle begleiten die beiden?

„Der „Er“ nimmt beim Hinaufschauen in die riesige Kuppel der Hagia Sofia Kontakt auf zu einem dunkelhäutigen Engel, worauf der Engel „ihn“ zu einer Reise in die Regionen des Mittelmeers und der Levante einlädt. Unsere archaischen Bilder der Länder des Mittelmeeres sind zwar gegenwärtig, doch bergen Meere und Wüsten Gefahren und Untergang. Was die beiden Reisenden erleben, erzählt von einer bitteren und grausamen Gegenwart.“

Im Klappentext ist zu lesen, die Begegnung und die Erfahrungen der beiden führten zu einer „verinnerlichten Erkundung von langem Vergessenen, um sich letztlich zu einer Reise ins Innere der Liebe zu wandeln.“ Worin sehen Sie diese?

„Der gemeinsame Flug über das Meer weckt beim „Er“ – dem Erzähler – Erinnerungen an seine Begegnungen mit Menschen, die man als das Aufscheinen oder die Gegenwart der Liebe bezeichnen muss. Dabei sind Zeit und Raum aufgehoben, etwa wenn „Er“ sich „an etwas erinnert, das in der Zukunft lag“, was eigentlich unmöglich ist.“

Michael Schroeder „Halbmondzeit“, Elfenbein Verlag, Berlin, 54 Seiten, kann über alle Buchhandlungen bestellt werden. ISBN: 978-3-96160-089-2

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