Luftretter am Boden

Hier kostet die Trübnis richtig viel Geld

Von Klaus Nissen

Die Luftretter der Johanniter  in Reichelsheim müssen wegen der schlechten Sicht im Winter immer länger am Boden bleiben. Das  kostet viel Geld und erschwert den Transport schwerkranker Menschen.

Luftretter am Boden

Freitag vor  Weihnachten,  kurz vor zwölf.  Es müsste ein heller Mittag sein, kurz nach der längsten Nacht des Jahres. Doch Klaus Gehrmann steht am Hangar und schaut missmutig in den grauen Himmel. „So ein Wetter hatten wir den letzten 20 Jahren noch nicht“, schimpft der Seniorchef der Firma Heli-Flight. „Nur in zwei der letzten sieben Wochen konnten wir überhaupt mal starten!“ Wenig Wind und feuchte, milde Luft lassen es nebeln. Klaus Gehrmann streckt einen Arm aus: „Die Hügel da drüben sind höchstens hundert Fuß hoch – und trotzdem schon in den Wolken.“ Bei derart schlechter Sicht kann Christoph Mittelhessen nicht aufsteigen. Der mächtige rote Rettungshubschrauber steht im Hangar. Das ist schlecht für die auf den Transport wartenden Intensiv-Patienten. Schlecht für die Piloten, Notärzte und Notfallsanitäter, schlecht für die Bilanzen der der Johanniter und des Heli-Eigentümers Klaus Gehrmann.

Daniel Rowan hat als Rettungssanitäter bei den Johannitern angefangen. Seit Oktober ist der 34-jährige Frankfurter Stationsleiter im Luftrettungszentrum am Reichelsheimer Flughafen. Foto: Nissen

Nebenan, im nagelneuen zweistöckigen Hauptquartier der Johanniter-Luftrettung, sitzt der Notarzt Dieter Klein (Name geändert) im geräumigen „Wohnzimmer“ der Einsatzbereitschaft auf dem Sofa. Der am Klinikum Aschaffenburg arbeitende Mediziner ist extra aus Nordbayern angereist, um bei den Luftrettern zu hospitieren. Doch nun kann Christoph wegen der trüben Luft nicht fliegen – und das für Instrumentenflug ausgerüstete Krankentransport-Flugzeug –  eine Piper Chayenne – ist schon kurz vor Kleins Eintreffen in die Luft gegangen. Nun beugt sich der in roter Einsatzkluft steckende Notarzt über sein Tablet und überlegt, wie er den Rest des Tages gestaltet.

In Reichelsheim brummt es mächtig

Die Tristesse am Flughafen zwischen Reichelsheim und Florstadt ist an diesem Freitag zwar deutlich spürbar, aber sie wird nicht von langer Dauer sein. Insgesamt brummt es hier mächtig. Die Johanniter haben sich 19 Jahre nach ihrem ersten Start in Reichelsheim so fest etabliert, dass sie im vorigen April die große neue Einsatzzentrale am Flughafen-Eingang in Betrieb nahmen. Die Fassade des Obergeschosses leuchtet intensiv rot, darauf prangt in „Lebensgröße“ die Silhouette des Airbus-Helikopters Christoph Mittelhessen. Die Luftretter haben vor und nach den Nebeltagen immer mehr zu tun. Inzwischen liege man bei 800 Einsätzen pro Jahr, sagt der Stationsleiter Daniel Rowan.

Daniel Rowan schiebt die Hangar-Tür für den Fotografen auf. Christoph Mittelhessen kann wegen der tief hängenden Wolken momentan nicht fliegen. Foto: Nissen

Der Hauptgrund sei die zunehmende Spezialisierung der größeren Krankenhäuser. Die Leitstelle in Gießen könne gar nicht alle Flug-Aufträge annehmen, die bei ihr angefragt würden. Weil nicht mehr alle Kliniken alles behandeln, müssten mehr schwer erkrankte Patienten in weiter entfernte Spezialkliniken gebracht werden. „Und da ist der Lufttransport die schonendste Methode“, sagt Daniel Rowan. Die vierstelligen Kosten so einer Flugstunde sind dabei nicht so relevant.

Immer wieder mal müsse man zum Beispiel Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet zum Weaning in die Bavaria-Klinik Kreischa bei Dresden fliegen, erzählt Rowan. Da lernen Menschen nach länger dauernder künstlicher Beatmung, wie sie wieder selbst genug Sauerstoff aufnehmen können. Während des Fluges werden sie noch voll beatmet.

Rettungsaktion für Verkehrsopfer

Christoph Mittelhessen ist vor allem für solche Transporte in der Luft, berichtet der 34-jährige Stationsleiter. Etwa ein Drittel der Einsätze bestehe aber noch aus „Primärflügen“ – also aus Rettungsaktionen für die Opfer von Verkehrsunfällen oder anderen medizinischer Notfälle im Umkreis von etwa 75 Kilometern. Binnen weniger Minuten bringt der Pilot den Notarzt und den Hems (Helicopter Medical Service Technician, also Luftrettungs-Sanitäter) zum Ziel. Auch Daniel Rowan steigt regelmäßig ins Fluggerät. Der ausgebildete Notfallsanitäter absolviert pro Woche drei Dienste – schon, um immer in der Praxis zu bleiben. Die Johanniter-Luftrettungsbasen in Gießen und Reichelsheim haben nur drei Festangestellte. Die Christoph-Piloten arbeiten bei Heli-Flight. Und das medizinische Personal wird in festem Wochenrhythmus von Krankenhäusern in Frankfurt, Hanau, Offenbach und Aschaffenburg gestellt. Die immer wieder notwendige Aus- und Fortbildung dieser Teilzeit-Luftretter findet in den nagelneuen Schulungsräumen am Reichelsheimer Flughafen statt.

Im Frühjahr 2017 ging das neue Luftrettungszentrum der Johanniter am Flughafen Reichelsheim im Wetteraukreis in Betrieb. Foto: Nissen

Daniel Rowan hat schon im 2003 bei den Johannitern angefangen. Seit vier Jahren ist der Notfallsanitäter auch bei der Luftrettung aktiv. Was ist da anders als bei Hilfs-Einsätzen mit dem Rettungswagen? „Mit dem Auto sind wir meistens die ersten, die am Unfallort eintreffen. Da muss ich erst einmal strukturieren und entscheiden, wer zuerst meine Hilfe braucht. Aber an der Unfallstelle erwartet jeder, dass man ihm zuerst hilft. Das bringt enormen Stress mit sich.“ Wenn man als Luftretter einschwebt, sei die Erste Hilfe meistens schon erledigt, und man könne sich auf den Transport und die Betreuung der Patienten in der fliegenden Intensivstation konzentrieren.

Feurwehr stellt Lichtmasten auf

Niemand kann allerdings fest damit rechnen, dass er im Notfall schnell zur nächsten Klinik geflogen wird. Zwar gibt es nördlich des Mains gleich drei Basen: die Johanniter in Gießen und Reichelsheim und die Luftretter vom Frankfurter Unfallkrankenhaus. Doch wenn alle drei im Einsatz sind, können nur Rettungswagen kommen. Zwischen 21 und neun Uhr ist außerdem die Reichelsheimer Station geschlossen. Bei Nebel hilft das ohnehin alles nicht. In mindestens 500 Fuß (knapp 200 Metern) Höhe muss klare Sicht sein. Und nachts landet Christoph nur dort, wo fester Untergrund und eine beleuchtete Umgebung ist. „Damit wir Hindernisse erkennen können“, sagt Daniel Rowan. Bei nächtlichen Unfällen werde meistens die Feuerwehr gebeten, Lichtmasten aufzustellen. „Das kriegen die Jungs ruckzuck hin“, erzählt der Luftretter.

Auch wenn es in den nächsten Tage weiter trüb bleibt, harrt stets ein Team im Luftrettungszentrum aus. An 365 Tagen im Jahr kann es kurzfristig starten. Daniel Rowan hat sich selber für den zweiten Weihnachtsfeiertag und für Neujahr in den Dienstplan geschrieben. Im Moment sei der Stress ja gut auszuhalten. Der Rest der Feiertage gehört seiner Frau und der dreijährigen Tochter daheim in Frankfurt. Es sei denn, das Smartphone flackert mal wieder blau, und irgendetwas Dringendes drängt sich vor.

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