Leukämie

Leni hat ein Schicksalsjahr überstanden

Von Klaus Nissen

Der Kampf gegen die Leukämie hat der Familie Guck aus Ranstadt alles abverlangt. Kurz nach ihrem zweiten Geburtstag erkrankte ihre Tochter Leni Sophia an Leukämie. Die „Zweimal war sie ganz am Abgrund“, sagt ihr Vater Hajo Guck. Doch die Leukämie-Therapie der Ärzte von der Gießener Kinder-Krebsstation Peiper schlug schließlich an. Und heute noch sind die Eltern bewegt davon, dass sich am 31. März 2019 tausende Menschen an der Stammzell-Typisierungsaktion für Leni beteiligten. Ihre Erfahrungen mit der Krankheit bringen Tatjana und Hajo Guck zu klaren Ansichten, was die Krankenhaus-Finanzierung und den Sinn von Blut- und Organspenden angeht.

Gegen Leukämie hilft auch Spendenbereitschaft

Es ist lebendig im Haus der Familie auf der Hassia-Höhe. Im Wohnzimmer spielen Leni und ihre ältere Schwester Mia. Leni plappert fröhlich. Auf ihrem Kopf kräuselt sich der erste Flaum.  „Diese Haare gehen auch nicht mehr weg“, sagt ihre Mutter Tatjana Guck. Lenis Haare sollen so lang wachsen, dass sie Zöpfe daraus flechten kann. Im März 2020 werden die beiden Katheter aus Brust und Bauchdecke gezogen, durch die Leni noch ihre Medikamente erhält. Ab März kann sie dann auch die Kita in Dauernheim besuchen.  „Dann kommt das normale Leben.“ Wenn sich alles gut entwickelt, gilt das Mädchen in etwa drei Jahren als geheilt.

Im März 2019 war Tatjana und Hajo Guck deutlich anzumerken, dass das Schicksal ihrer kleinen Leni auf der Kippe stand. Fotos: Klaus Nissen

Seit 16 Monaten lebt die Familie im Ausnahmezustand. Am Morgen des 18. September 2018  wachte die zweijährige Leni mit Schmerzen auf. Die Mutter fuhr mit ihr zur Kinderärztin. Am selben Abend landeten sie in der Krebs-Station der Gießener Uniklinik. Leni hat das Philadelphia-Syndrom – eine genetisch bedingte Form der Leukämie. Etliche Wochen verbrachte das Kind in der Station Peiper. Die Chemotherapie mit zahlreichen, jeweils zweistündigen Infusionen erstreckte sich über sechs Monate. Wenn Leni zwischendurch daheim war, fuhren die Eltern bei jeder Komplikation mit ihr Hals über Kopf nach Gießen. Die Medikamente machten Leni anfällig für Infektionen – gleich zu Beginn der Krankheit wurden die Teppiche und Zimmerpflanzen aus dem Haus in Ranstadt verbannt; alle Flächen mussten täglich so steril wie möglich gemacht werden.

Inzwischen fährt Leni nur noch montags, mittwochs und freitags in die Uniklinik, um ein Blutbild machen zu lassen. „Seit November sind wir in der Erhaltungsphase“, berichtet Tatjana Guck. Ihre Tochter braucht keine Bluttransfusionen mehr. Sie bekommt noch eine ganze Weile lang starke Medikamente, die als Nebenwirkung den  Kalium-Spiegel im Blut beeinträchtigen können. Die Mutter hat gelernt, mit einem Medikament schnell darauf zu reagieren. Nur noch vier Lumbalpunktionen stehen der Dreijährigen bevor. Da wird mit einer großen Nadel Nervenwasser aus dem Rücken gezogen, um nachzuschauen, ob Tumorzellen nachweisbar sind. Zum Glück wurden im Gehirn nie Krebszellen festgestellt. Die Eltern sind sehr erleichtert, dass Leni deshalb die geplante Bestrahlung des Kopfes erspart bleibt. Sie hätte im späteren Leben zu Lern- und Konzentrationsstörungen führen können.

Die auf dem Schoß ihrer Mutter sitzende Leni ihre zeigt Mutperlen-Kette. Sie ist in den letzten Monaten noch schwerer und länger geworden. Jede Perle steht für eine Zumutung: Infusion, Blutübertragung, Chemotherapie oder eine Narkose. Die Eltern hoffen sehr, dass die Kette nicht mehr viel länger wird.

Auch die komplette Abtötung des Knochenmarks und das Implantieren gespendeter blutbildender Zellen blieb dem kleinen Mädchen erspart. Das war im vorigen März noch nicht absehbar, als viele Freunde, Vereine, die Gemeinde und Firmen aus Ranstadt und Umgebung eine Stammzell-Typisierung für Leni organisierten. Man suchte mögliche Spender. Am 31. März 2019 kamen so viele ins Bürgerhaus, dass die Feuerwehr den Verkehr regeln musste. Fast 1400 Menschen ließen da über eine Speichelprobe ihren Stammzelltyp bestimmen. Weitere 2000 Menschen bestellten per Internet ein Set zur Proben-Entnahme. Zur Finanzierung der Stammzell-Bestimmung flossen rund 30 000 Euro als Spenden an die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (www.dkms.de). Die Datensätze aus Ranstadt stehen nun zur Verfügung, um Leukämie-Kranken das Leben zu retten.

Aus anderen Typisierungsaktionen haben sich inzwischen zwei mögliche Zell-Spender für Leni gefunden, sagt ihr Vater Hajo Guck. Falls es ihr einmal schlechter gehen sollte, könnten sie ihr helfen. Die Angst vor einem Rückfall sei immer da, gesteht die Mutter. „Wir haben einfach zu viele Rückfälle auf der Station Peiper gesehen.“ Es ist schon ein Fortschritt, dass man dort nach eigenen Angaben vier von fünf Kindern das Leben retten kann. Trotzdem muss dort ein sechsköpfiges Palliativteam arbeiten.

Die Onkologie braucht mehr Geld – und Blutspender

Die Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Gießener Uniklinik an der Feulgenstraße wurde unfreiwillig zum zweiten Zuhause der Familie. Sowohl andere krebskranke Kinder und ihre Eltern als auch Pflegerinnen und Ärzte lernten die Gucks intensiv kennen. „Auf dem Personal lastet unheimlich viel Verantwortung“, meint Tatjana Guck. Und seitdem die Station an der Marburger Uniklinik geschlossen wurde, müssten in Gießen noch mehr Kinder betreut werden. Das medizinische und pflegerische Team müsse Überstunden leisten, die nur schwer abzufeiern seien. Hajo Guck sagt: „Was die Leute da an Bezahlung kriegen, ist ein Witz.“ Lenis Vater hält es für ein Unding, dass die Unikliniken Gießen und Marburg privatisiert wurden. So sei auch die Onkologie zu einer „Firma geworden, die Geld generieren muss.“ Das belaste das Personal über die Maßen.

Erschrocken waren die Eltern auch, als die Uniklinik im Sommer zu Blutspenden aufrief. Die Bestände der Blutbank an der Langhansstraße schrumpften bedenklich. Dabei hing Lenis Überleben zeitweise von Bluttransfusionen ab. Hajo Guck sagt: „Wir lernten, wie wichtig es ist, dass sich genug Blutspender finden.“ Und es sei wichtig und zumutbar, dass jeder Mensch als Organspender in Betracht kommt, wenn er nicht ausdrücklich widerspricht. Schon vor Lenis Erkrankung hatten die Eltern Organspender-Ausweise in ihren Brieftaschen. Dieses Thema müsste im Biologie- und Religionsunterricht der Schulen angesprochen werden, findet Tatjana Guck. Im Moment sind solche Dinge auf der Hassia-Höhe aber nicht das vorherrschende Thema. Die Familie hat Ende 2019 gemeinsam mit den Großeltern Weihnachten gefeiert. Der geschmückte und erleuchtete Christbaum stand draußen, auf dem Rasen. Am Silvester-Abend kamen einige Freunde der Familie ins Haus. Auch das war vor einem Jahr noch undenkbar.

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