Allan Murrin über ein schlimmes Gesetz
von Jörg-Peter Schmidt
Der aufwühlende Roman „Coast Road“, den der Autor Alan Murrin jetzt in Gießen vorstellte, ist voller Wut geschrieben. Der 1984 in Donegal geborene Schriftsteller schildert, was noch 1994 die urkonservativ kirchlich geprägte Situation mit den Menschen in Irland machte. Es gab in diesem landschaftlich so schönem Land noch immer kein Scheidungsrecht.Mittelalterliche Zustände
Die Ehescheidungsverbote wurden per Referendum von der Bevölkerung erst am 25. November 1995 mit äußerst knapper Mehrheit abgeschafft. Liberalisiert wurde ein Gesetz, das mittelalterlichen Zuständen ähnelte.
Alan Murrin beschreibt die Folgen des unsäglichen Gesetzes anhand der Schicksale dreier Frauen und ihrer Familien in dem Küstenstädtchen Ardglas – wie erwähnt im Jahr 1994. Der Schriftsteller las in der Veranstaltung des Literarischen Zentrums Gießen (LZG) im gut besuchten Hermann-Levi-Saal des Gießener Rathauses aus drei Kapiteln der bei dtv erschienenen Erzählung auf Englisch, bevor Roman Kurtz (Stadttheater Gießen) diese Auszüge auf Deutsch vortrug. Moderator war Prof. Ivo Steininger (Fremdsprachenforscher an der Justus-Liebig-Universität Gießen), der die englischen Beiträge auf Deutsch zusammenfasste.

Um was es in dem Roman geht
Da das Generalkonsulat von Irland zu den Mitveranstaltern der Lesung gehörte, war auch der Stellvertretende Generalkonsul Aaron Reen unter den Gästen. Er berichtete über das kulturelle Leben in seinem Land, bevor die Zuhörerinnen und Zuhörer dann abwechselnd auf Englisch und Deutsch von dem Publizisten, dem Moderator und dem Vorleser erfuhren, um was in dem Debütroman geht:
Die Dichterin Colette Crowley kehrt unerwartet und weitgehend nicht willkommen nach Ardglas zurück, was zu Getuschel führt. Denn die Poetin hatte Ehemann und Kinder verlassen und zog nach Dublin. Der zurückgelassene Ehemann sorgt dafür, dass Colette der Zugang zu ihren Kindern versagt bleibt. Diese traurige Situation und auch die Tatsache, dass sie ihre Familie zurückgelassen hat, treibt die Schriftstellerin zur Verzweiflung. Sie trinkt zu viel und stellt so manche Sachen an, die sie lieber bleiben lassen sollte.
Und so entsteht immer mehr Getratsche, von denen vieles unwahr ist, über die attraktive Colette. Aber in einer Zeit, in der die altertümlichen Moralvorstellungen der katholischen Kirche wie ein Schatten über Irland liegen, können falsche Behauptungen schlimme Folgen für das jeweilige Opfer haben. Man fühlt sich an die düstere Zeichnung mit dem Titel „Das Gerücht“ von A. Paul Weber erinnert: Ein lindwurmartiges, gespenstisches Wesen (das Gerücht) geistert durch eine Straße, in der die Menschen gierig lauernd nach mehr oder minder wahren Nachrichten aus ihren Fenstern lugen.
Gefangene des Gesetzes
Außer Colette stehen noch zwei weitere Frauen im Mittelpunkt des Geschehens: Izzy Keaveney, die die Launen ihres Ehemanns (einem Kommunalpolitiker) ertragen muss und da gibt es noch Dolores, die ein Kind nach dem anderen bekommt. Ihr Mann ist ein Vielfach-Fremdgeher. Alle drei Frauen sind Gefangene des Gesetzes, dass erst Monate später liberalisiert wird und dann sowohl Männern als auch Frauen – wenn auch mit Einschränkungen – frische Luft verschaffte: Aber so ganz heile war die Welt in Irland noch immer nicht: Vier Jahre mussten sich die jeweiligen Paare gedulden, bis die Scheidung durch war. Diese Wartezeit wurde 2019 auf zwei Jahre verkürzt.
Und es wird viel getrunken
Alan Murrin hat in seinem Buch noch einen weiteren Schwerpunkt eingebaut: Es geht um den hohen Alkoholkonsum in Ardglas – einem Filter, um das behäbige, schläfrige Leben in der Stadt zu verdrängen. Zur Sperrstunde macht der Wirt das Lokal offiziell zu, im Pub wird allerdings bis zum Morgengrauen weiter getrunken.
„Coast Road“ ist ein fesselnder Roman, so düster er auch ist. Es gibt immer wieder Steigerungen in der Handlung, sehr viel Tragik, Trauriges, Furchtbares – zwischendurch auch Licht und Wärme. Die drei Frauen, die die Handlung prägen, leiden, beweisen dennoch eine gewisse Stärke. Es gibt in dem Roman ein besonderes Kapitel, das man mehrmals lesen will, so überwältigend ist es geschrieben: Eine der Frauen wächst über sich hinaus, um einem Jugendlichen in großer Not zu helfen. Sie hat in sich eine ungeheure seelische Kraft gesammelt, die im entscheidenden Moment regelrecht positiv explodiert. Mehr sei nicht verraten.
Übrigens: Zu Recht wurde von den Veranstaltern aus nur drei Kapiteln vorgelesen, die nicht den weiteren Inhalt der Geschichte vorwegnehmen. Denn schon der Anfang von „Coast Road“, der dem Publikum vorenthalten wurde, weist auf ein späteres Geschehen hin…
Es gab sehr langen Applaus am Ende der Lesung, die das LZG in Zusammenarbeit mit dem Institut für Anglistik der JLU Gießen, dem Generalkonsulat von Irland in Frankfurt/Main und dem Kulturamt der Stadt Gießen veranstaltete. Mit Spannung darf man auf weitere Bücher von diesem begabten jungen Autor hoffen.
„Coast Road“ von Alan Murrin ist bei dtv München erschienen und kostet 24 Euro. Den Roman gibt es auch als Hörbuch.
Titelbild: Der Hafen von Dublin, (Foto: Wikipedia, Rennet Stowe)