Interview

Warum blocken Sie Rewe, Herr Neumann?

Werner Neumann ist ein Mann mit Einfluss. Der Vorsitzende des Wetterauer Bundes für Umwelt-und Naturschutz (BUND) setzt im Namen der über 2000 Mitglieder häufig Forderungen in Sachen Umweltschutz, Verkehr und Energienutzung durch. Bei Großprojekten, die ihnen nicht gefallen, können Neumann und seine Leute ungemütlich werden. Das zeigen mehrere Baustopps in Wetterau und Main-Kinzig. Was treibt den Mann an? Klaus Nissen sprach mit Werner Neumann über Elektroautos, Windstrom von der Ostsee und die Klagen gegen Bauten für Amazon und Rewe.

Der Kopf der Wetterauer Umwelt-Lobby

Werner Neumann (Jahrgang 1953) wuchs in Frankfurt auf und bekam dort ab 1972 als Physikstudent noch die politische Aufbruchsstimmung der 68er mit. 1986 promovierte er mit einer Arbeit über atomare Teilchenbeschleunigung. Im selben Jahr gründete Neumann mit anderen das Umweltlabor „ARGUK“ in Oberursel, das heute noch besteht. Die Katastrophe von Tschernobyl brachte ein großes öffentliches Interesse für Neumanns Expertise auf dem Gebiet der Radioaktivität.




Werner Neumann vor dem Haus, das er mit seiner Ehefrau in Altenstadt bewohnt. Es ist vor lauter Grün von der Straße aus kaum zu erkennen. Fotos: Klaus Nissen

Später erarbeitete Neumann ein Energiekonzept für die Stadt Offenbach und wechselte 1990 zum frisch gegründeten Energiereferat der Stadt Frankfurt, das er von 1992 bis zur Pensionierung leitete.

Nach seinem Umzug nach Altenstadt anno 1991 setzte sich der parteilose Werner Neumann gemeinsam mit der „Stromsparinitiative Altenstadt“ erfolgreich für eine Erdverkabelung der neuen Hochspannungstrasse von Büdingen zur Waldsiedlung ein. Anfang 1992 entstand die BUND-Ortsgruppe, die Neumann bis heute leitet. Er trieb im neuen Jahrtausend die Ausbildung von Arbeitslosen zu „Stromsparcheckern“ voran, die später durch die Caritas in mehr als 150 Städten und Landkreisen aktiv wurden.

Mit dem BUND engagiert er sich unter anderem für den Ausbau der Niddertalbahn und für die Stromgewinnung aus erneuerbaren Quellen. Neumann ist auch Vorsitzender des über 2200 Mitglieder und Förderer zählenden BUND-Kreisverbandes und Schatzmeister des Landesverbandes Hessen. Für die Umweltvereinigung führt er aktuell Prozesse gegen den Bau von Logistikzentren in Wölfersheim, Grund-Schwalheim und Hammersbach.

Schon seit 2004 leitet Werner Neumann den bundesweiten Arbeitskreis Energie des BUND. Er ist damit Nachfolger von Klaus Traube (1928 – 2016), der sich von einem Manager der Atomindustrie zu einer Speerspitze der Anti-Atom-Bewegung entwickelt hatte und deshalb zeitweise rechtswidrig vom Verfassungsschutz bespitzelt wurde.

Und hier das Interview:

Herr Dr. Neumann, was für einen Wagen fahren Sie?

Einen Renault Kangoo der ersten Elektro-Generation. Der hat im Winter 80, im Sommer bis 120 Kilometer Reichweite. Das reicht immer, um bis zum nächsten Bahnhof zu kommen. Außerdem kann ich damit die Leiter für die Apfelernte transportieren.

Woher bekommen Sie den Strom?

Vom Dach. Ich habe einen Speicher im Keller. Jetzt im Winter reicht der natürlich nicht aus, um auch noch das Auto zu betanken. Dafür speise ich im sommer Überschüsse ein und beziehe im Winter Windstrom von „Naturstrom“.

Werner Neumann findet eine von der CDU und FDP geforderte Rückkehr zur Atomtechnik irrwitzig. „Sie ist viel zu teuer, zu kompliziert und zu gefährlich. Die Kraftwerke sind anfällig für Terror-Attacken. Und für die radioaktiven Abfälle gibt es immer noch kein Endlager. Auch nicht bei der Kernfusion.“

Und womit heizen Sie?

Mit Holzpellets, seit über zehn Jahren. Warum fragen Sie?

Weil der große Immanuel Kant einst sinngemäß meinte: Wenn ich die Welt verbessern will, sollte damit damit bei mir selber anfangen.

Da ist was dran. Wir können als BUND ja nicht die Wärmewende propagieren und unsere eigenen Wohnzimmer mit alten Ölbrennern beheizen. Ich mache immer das, was gut geht und sich rechnet, damit andere es nachmachen können.

Aber Umweltschutz ist teuer. Nicht jeder kann sich eine gedämmte Fassade, ein 40 000 Euro teures Elektroauto und eine Regenwasserzisterne leisten.

Na, mein Auto war schon gebraucht und entsprechend günstiger zu haben. Umweltschutz geht auch, wenn ich wenig Geld habe. Die Fotovoltaik-Mudule sind viel günstiger geworden. Und Stromsparen ist ohnehin das Günstigste. Die Investitionen rechnen sich ja in fünf bis zehn Jahren. Daher habe ich mit der Caritas auch den Stromsparcheck für Haushalte mit wenig Geld erfunden.

Apropos Strom. Die CDU spricht sich im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms für die Kernkraftnutzung aus. Finden Sie das gut?

Natürlich nicht. Klaus Traube, der in den Sechzigerjahren den Schnellen Brüter konstruiert hatte, wurde später ja nicht grundlos zu einem Kritiker der Atomtechnik. Sie ist viel zu teuer, zu kompliziert und zu gefährlich. Die Kraftwerke sind anfällig für Terror-Attacken. Und für die radioaktiven Abfälle gibt es immer noch kein Endlager. Auch nicht bei der Kernfusion

„Die Windkraftnutzung ist auf dem Taunuskamm sehr effektiv. Und sie bringt nur sehr geringe Einschränkungen für die Natur.“

Warum fordern Politiker von CDU und FDP dann immer wieder die Rückkehr zur Atomenergie?

Es gibt da Mitglieder, die einen Trennungsschmerz haben. Und die immer noch nicht begriffen haben, wie viele unlösbare Probleme die Kernkraftnutzung mit sich bringt.

Das Mahnen und Klagen scheint beim BUND, für den Sie sich engagieren, ja in der DNA zu liegen. Nicht einmal der neue Windpark „Arcadis Ost 1“ in der Ostsee findet bei Ihnen Gnade, an dem sich die heimische OVAG beteiligt. Dabei kann er alle 350 000 OVAG-Kunden mit Windstrom versorgen.

Aber nur theoretisch. Denn es gibt noch lange nicht die Leitungen, die diesen Strom in die Wetterau transportieren könnten und eine hundert Meter breite Bauschneidse quer durch ganz Hessen brauchen. Die Ovag zahlt diese milliardenschweren Leitungen nicht, sondern der Stromkunde. Das ist letztlich teuerer, als den Strom vor Ort zu erzeugen. Gut ist es, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger zusammenschließen, um regional gemeinsam Energie zu erzeugen und zu verbrauchen. Etwa mit Wärmepumpen und den Solarfeldern und Dachanlagen vor Ort. Ich muss gesetzlich die Möglichkeit bekommen, meinen überschüssigen Solarstrom einfach selber an den Nachbarn verkaufen zu können.

Hilfreich wäre doch der Windpark auf dem Winterstein. Da sollen fast 20 Masten für mehr als hundert Millionen Euro gebaut werden. Mit Bürgerbeteiligung.

Der BUND steht voll dahinter. Wir sind mit über 30 Organisationen im Winterstein-Bündnis aktiv. Die Windkraftnutzung ist auf dem Taunuskamm sehr effektiv. Und sie bringt nur sehr geringe Einschränkungen für die Natur. Ärgerlich ist aber, dass die Kommunen, der Bundes- un der Hessenforst verschiedene Erbauer und Betreiber für die Windmühlen auf ihrer Gemarkung vorsehen. Die Rosbacher wollen die Firma Abo-Wind an Bord holen, die der Stadt eine viel höhere Jahrespacht als die OVAG anbietet. In jedem Fall muss es eine Bürgerbeteiligung geben.

Friedberg lässt die Windpark-Erbauer warten

Die Stadt Friedberg hat sich noch nicht festgelegt.

Dort zögert man die Entscheidung hinaus. Man wartete auf Gutachten, dann kam die Sommerpause, nun soll die Meinung des neuen Bürgermeisters abgewartet werden. Es muss jetzt endlich mal entschieden werden. An jedem Tag Verzögerung verliert die Stadt Einnahmen aus Pachtzahlungen. Zehn kommunale Windmühlen auf dem Winterstein könnten über Pacht, Stromeinnahmen und Fördermittel 50 000 Euro am Tag einbringen und übers Jahr 80 000 Tonnen an CO2 vermeiden, die sonst Umweltschäden in Höhe von 50 000 Euro am Tag verursacht hätten. Die Windstrom-Einnahmen köpnnten gut für die Planung von Wärmenetzen verwendet werden.

Auch die Kreisverwaltung müsste in Sachen Klimawende mehr unternehmen, steht im letzten Jahresbericht des BUND Wetterau. Was meinen Sie damit?

Wir hatten der schwarz-roten Koalition nach der Kreistagswahl vorgeschlagen, zehn Klimaschutzmanager einzustellen, die den Kommunen, Privatleuten und Unternehmen bei Förderanträgen und der Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen helfen. Die Gehaltskosten würden zu 90 Prozent von Land und Bund erstattet. Da kam die Antwort: Klimaschutz auf Kreisebene – dazu fällt uns nicht viel ein. Es sei ja eine Aufgabe der Kommunen. Das stimmt zwar. Trotzdem müsste sich der Kreis mehr engagieren. Beispielsweise die Energieberatung und die Wärmeplanung flächendeckend koordinieren. Oder den Stromsparcheck auf Kreisebene einführen wie 50 andere Landkreise auch. Der richtige Drive ist da leider nicht drin.

Werner Neumann zur von der neuen schwarz-roten Koalition gewünschten Verbreiterung der A5 auf zehn Fahrspuren: „Überlegt, was Ihr Euch damit einheimst. Zusätzliche Fahrbahnen bringen zusätzliche Treibhausgas-Emissionen. Selbst dann, wenn man alle 40 Millionen Autos in Deutschland durch Elektro-Fahrzeuge ersetzen würde, stünden die im Stau. Wir brauchen keine breitere Autobahn, sondern ein besseres Angebot an Bussen und Zügen. „

Die Kreisverwaltung erneuert doch viele Schulen. Und achtet dabei auf Wärmeschutzfenster und intelligente Heizungs-Thermostate.

Gut und schön. Aber sie müsste auch der Jugend mehr Angebote zur Umweltbildung machen. Unser Umweltbildungsexperte Gerd Joachim kann ja nicht überall mit seinen Kursen vor Ort sein. Es gibt jetzt eine Pädagogengruppe im Kreis, die sich engagieren will. Die Verwaltung sollte das Angebot mehr nutzen.

Der Wetterauer BUND treibt also an. Andererseits blockiert er recht erfolgreich Großprojekte, die im Kreis Arbeitsplätze und viel Umsatz bringen könnten. Ihre Klagen vor Verwaltungsgerichten blockieren das Rewe-Logistikzentrum bei Wölfersheim, die Amazon-Niederlassung in Grund-Schwalheim und den Hager-Elektrogroßhandel in Hammersbach. Warum?

Wir sind ja nicht grundsätzlich gegen neue Logistik-Projekte. Aber die sollen da entstehen. wo sie weniger Schaden anrichten. Die Bauherren sollten lieber vorher mit uns über Alternativen reden, bevor sie loslegen. Schon die Römer und die Steinzeit-Bauern wussten, dass bei Wölfersheim der beste Ackerboden liegt, den es gibt. Und in Grund-Schwalheim ist völlig klar, dass dort ein großes Gebäude den Kranich-Landeplatz und das benachbarte Vogelschutzgebiet beeinträchtigt. Aber nein – der Wetteraukreis hat alles durchgewunken. Trotz unserer Hinweise auf erhebliche Probleme im Naturschutz.

Wie steht der BUND zum Autobahn-Ausbau? Bundesverkehrsminister Wissing will die A5 zwischen Frankfurt und Friedberg von sechs auf zehn Spuren verbreitern. Der grüne Hessische Wirtschaftsminister Al-Wazir hat das zwar abgelehnt, aber der ist ab Januar nicht mehr im Amt. Und die CDU will nach wie vor eine zehnspurige Autobahn.

Wir werden ihr sagen: Überlegt, was Ihr Euch damit einheimst. Zusätzliche Fahrbahnen bringen zusätzliche Treibhausgas-Emissionen. Selbst dann, wenn man alle 40 Millionen Autos in Deutschland durch Elektro-Fahrzeuge ersetzen würde, stünden die im Stau. Wir brauchen keine breitere Autobahn, sondern ein besseres Angebot an Bussen und Zügen. Wir brauchen auch keine Umgehungsstraße für Altenstadt. Sie soll mitten durchs Auengebiet führen.

Gegen die Umfahrung von Altenstadt

Wird die denn immer noch geplant?

Leider ja. Es gibt aktuell Vermessungsarbeiten. Dabei ist es ein Projekt von vorvorgestern. Die CDU-Politiker Oswin Veith und Peter Tauber haben dafür gesorgt, dass die Umfahrung in den Bundesverkehrswegeplan kommt. Sie behaupteten, die Straße würde nur elf Millionen Euro kosten. Aber die Umgehung von Büches hat schon 30 Millionen gekostet. Um den Schwerlastverkehr aus der Ortsdurchfahrt von Altenstadt herauszuholen, sollte man lieber eine kleine Autobahn-Auffahrt am Ende der Waldsiedlung bauen.

Würden Sie ehrlich das aussprechen, was keinem Parteienvertreter über die Lippen kommt?

Was meinen Sie damit?

Die einfache Wahrheit, dass in Zukunft nicht mehr jeder ein eigenes Auto fahren kann. Weil wir damit unseren Planeten zerstören.

Ich finde es besser, nicht gleich mit Verboten zu kommen. Lieber erst einmal Angebote machen. Wenn wir zuerst gute Radwege bauen, gute und bezahlbare Zubringerdienste von den Dörfern in die Städte organisieren, einen engen Takt auf den Zug- und Buslinien haben – dann fällt der Verzicht aufs eigene Auto nicht mehr so schwer. Mit Car-Sharing und On Demand-Bussen.

In der Rosbacher Rewe-Zentrale wird ein Logistikzentrum bei Wölfersheim geplant. Dieses Großprojekt blockiert der BUND seit Jahren.

Wagen wir einen Ausblick auf das Jahr 2024: Da werden die Verwaltungsgerichte wahrscheinlich die Projekte von Rewe in Wölfersheim, Amazon in Grund-Schwalheim und der Dietz AG in Hammersbach für rechtens erklären. Nur mit großem Zeitverzug und großen Geldverlusten für die Investoren.

Das glaube ich nicht. Die gesetzlichen Umweltschutz-Vorgaben kann man nicht einfach ignorieren. Diese umweltschädlichen Bauvorhaben werden noch lange ruhen oder vor Gericht scheitern. Auch sonst bin ich eher zuversichtlich. Die Menschen werden einsehen, dass von einem starken Umweltschutz ihr eigenes Überleben abhängt. Und es gibt Fortschritte. Denken Sie an die Niddertalbahn, die endlich elektrifiziert wird und einen Halbstundentakt bekommt. Da hat sich jahrzehntelanger Einsatz gelohnt, nicht nur durch mich.

2 Gedanken zu „Interview“

  1. Liebe Redaktion,

    ich danke für das Interview mit Werner Neumann und das Portät über ihn. Bei der Lektüre erinnerte ich mich sofort an einen anderen Menschen, der wie Neumann viele Jahrzehnte unermüdlich und furchtlos und vor allem mit großem Sachverstand für eine bessere Welt mit einer intakten Natur kämpfte. Ich denke an den SPD-Politiker und Wissenschaftler Hermann Scheer. Er starb leider 2010 viel zu früh. Er legte den Grundstein für das EEGesetz und weltweit für viele Initiativen für eine Welt ohne den hemmungslosen Verbrauch von Kohle, Gas und Öl. Schade, dass er nicht mehr erleben kann, dass sich endlich die Chance für ein Windkraftpark auf dem Winterstein öffnet. Scheer erkannte in der kostenfreien Nutzung der Sonne und des Windes die einzige Möglichkeit einer Energiewende. Er wurde dafür mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

    Scheer erblickte am 29. April 1944 im kleinen Taunusdorf Wehrheim das Licht einer damals aus den Fugen geratenen Welt.
    Die Wehrheimer SPD plant, ihn an diesem Tag, seinem 80. Geburtstag, in besonderer Weise zu ehren.

    Peter Gwiasda

  2. Liebe Redaktion,

    ich danke für das Interview mit Werner Neumann und das Portät über ihn. Bei der Lektüre erinnerte ich mich sofort an einen anderen Menschen, der wie Neumann viele Jahrzehnte unermüdlich und furchtlos und vor allem mit großem Sachverstand für eine bessere Welt mit einer intakten Natur kämpfte. Ich denke an den SPD-Politiker und Wissenschaftler Hermann Scheer. Er starb leider 2010 viel zu früh. Er legte den Grundstein für das EEGesetz und weltweit für viele Initiativen für eine Welt ohne den hemmungslosen Verbrauch von Kohle, Gas und Öl. Schade, dass er nicht mehr erleben kann, dass sich endlich die Chance für einen Windkraftpark auf dem Winterstein öffnet. Scheer erkannte in der kostenfreien Nutzung der Sonne und des Windes die einzige Möglichkeit einer Energiewende. Er wurde dafür mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

    Scheer erblickte am 29. April 1944 im kleinen Taunusdorf Wehrheim das Licht einer damals aus den Fugen geratenen Welt.
    Die Wehrheimer SPD plant, ihn an diesem Tag, seinem 80. Geburtstag, in besonderer Weise zu ehren.

    Peter Gwiasda

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert