Hospiz

Keine Wohnung für die letzten Tage

Von Klaus Nissen

Ein Haus für Menschen in der letzten Lebensphase ist seit Jahren für den Wetteraukreis geplant. Es gibt auch einen Bauträger, der das Hospiz in Bad Nauheim errichten will. Doch das Projekt zieht sich hin. Bislang gibt es nur einen Platz für die Begleitung sterbender Menschen im 308 000 Einwohner zählenden Wetteraukreis.

Nur ein Hospizplatz für 308 000 Menschen

Die Johanneskirche wurde 1899 für englische Kurgäste erbaut. Sie soll mit Anbauten als Hospiz künftig Sterbenden eine Heimat geben. Doch das wird noch dauern. Foto: Nissen

Hospize bieten Todgeweihten die letzte schöne Wohnung auf Erden – wenn es sie denn gäbe. Im Wetteraukreis wird es wohl noch jahrelang keine Einrichtung dieser Art geben. Denn der Umbau der Bad Nauheimer Johanneskirche in eine Heimstatt für sterbenskranke Menschen stockt.

Dabei wären für den Kreis mehrere Hospize dringend nötig, berichtet Thorsten Fritz. Er ist Chefarzt der Schmerz- und Palliativmedizin im Gesundheitszentrum Wetterau – der 63-jährige Mediziner weiß also, wovon er spricht. In der Europäischen Union würden 50 Hospiz-Betten auf eine Million Einwohner als notwendig angesehen, sagt Fritz. „Ich denke, nötig wären eher 80 bis 100 Plätze pro Million.“ Der Wetteraukreis mit seinen gut 308 000 Einwohnern braucht also wenigstens 15 Betten – noch besser wären 30 Hospizplätze in vielleicht zwei Einrichtungen.

In Friedberg bietet die Hospizhilfe einen Platz

Momentan gibt es aber nur einen einzigen Platz. Der knapp 180 Mitglieder zählende Verein der Hospizhilfe Wetterau begleitet an der Fichtenstraße in Friedberg ehrenamtlich und auf eigene Kosten maximal einen Menschen in der letzten Lebensphase. „Wir sind kein Krankenhaus, sondern eher der gute Nachbar“, sagt Maria Schmukat vom vereinseigenen „Fichte-Team“. In einem Hospiz „muss es familiär sein“, ist die Helferin überzeugt. Deshalb sollte so ein Haus auch nicht mehr als zehn oder zwölf Bewohner haben.

Das Gesundheitszentrum Wetterau kann in seiner Palliativstation bis zu acht unheilbar kranke medikamentös so einstellen, dass sie noch für einige Monate oder Jahre „gut“ leben können. Schon bei der Aufnahme stellt die Klinik laut Chefarzt Fritz für die Patienten Aufnahme-Anträge bei den Hospizen in Wetzlar, Gießen, Schmitten, Frankfurt und Hanau. „Aber alle Hospize rundum sind meistens voll“, sagt er. „Es wird immer schwerer.“ Es gebe nun einmal Todkranke, die daheim nicht mehr leben könnten. Die müsse man dann in Pflegeheimen unterbringen, obwohl sie in einer betreuten Wohnung – also einem Hospiz – besser aufgehoben wären. Seit dem Jahr 2003 würden die Kosten von Hospizen zu 90 und jetzt zu 95 Prozent von den Krankenkassen übernommen. Denn dieses Modell vermeide Krankenhausaufenthalte und erspare Betroffenen Transporte und Leid.

Die Johanneskirche soll einen Wohntrakt bekommen

Vor zwei Jahren verkündete der evangelische Kirchenvorstand in Bad Nauheim den Plan, die 1899 erbaute Johanneskirche in ein Hospiz umzuwandeln. Das kleine Gotteshaus mit seinen schwarzen Basaltmauern und den hölzernen Erkern liegt in einer Villengegend und wird für das Gemeindeleben nicht mehr recht gebraucht.

Für einen noch unbekannten Millionenbetrag will die in Darmstadt sitzende Gesellschaft für Diakonische Einrichtungen (GfDE) die alte Kirche mit zwei neuen Wohntrakten verbinden, berichtet der Geschäftsführer Karlheinz Hilgert. Doch schon im März 2019 meldete sich in der Nachbarschaft eine Bürgerinitiative mit Bedenken: Das Grundstück sei viel zu klein. Ein Hospiz passe nicht in die Umgebung, und dem Neubau würden alte Bäume zum Opfer fallen. Trotzdem sprach sich Bad Nauheims Bürgermeister Klaus Kreß für das Hospiz aus. Er ist bereit, auf dem städtischen Parkplatz neben der Johanneskirche einen Streifen für das Hospiz abzugeben. Die Stadt gehört auch zum 2019 gegründeten Förderverein, der jährlich rund 80 000 Euro für den Betrieb des ersten echten Wetterauer Hospizes mit seinen zwölf Wohnplätzen beisteuern will.

Geld für den Betrieb ist da – aber nicht für den Bau

Dieses Geld hat man schon für mehrere Jahre beisammen, berichtet die Wetterauer Sozialdezenentin Stephanie Becker-Bösch. Sie findet die Schaffung von Hospizen im Kreisgebiet wichtig und sammelt Spenden. Zum Beispiel habe das Neujahrsvarieté der OVAG Anfang des Jahres „erhebliche Beträge in die Kasse gespült. Das Hospizprojekt steht auf sehr soliden Füßen“, meint Becker Bösch.

Doch ausgerechnet die Kreisverwaltung bremst es nun aus. Die Untere Denkmalbehörde habe Bedenken angemeldet, sagt der angehende Bauherr Karlheinz Hilgert von der GfDE. Sie fordere, dass der südlich der Johanneskirche geplante Wohntrakt den Durchblick auf die Kirche weiter ermöglicht. Das erfordere aber Umplanungen und den Verzicht auf zwei der zwölf Pflegeplätze. In dieser Lage ist es Karlheinz Hilgert zu riskant, einen Bauantrag zu stellen. Er will der Stadt zu Beginn des Jahres 2021 ein Bebauungsplan-Verfahren für das Hospiz nahelegen. Das werde dann mindestens ein Jahr dauern. Außerdem müsse man noch mit den Krankenkassen verhandeln, die im übrigen wenig Interesse an der Finanzierung neuer Hospizplätze zeigten.

Niemand sollte also darauf wetten, die letzten Lebensmonate gut umsorgt in einem Hospiz verbringen zu können. Nicht in Bad Nauheim und erst recht nicht in Büdingen, Nidda oder Ortenberg. Dort sind solche nach Expertenmeinung dringend notwendigen Einrichtungen nicht einmal in Planung.

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