Hokus-Pokus: Klimaneutral!

Die Klimaluftschlösser der Ampel

Von Dietrich Jörn Weder

Es gibt Tage und Stunden – so am 24. Januar 2022, um 18 Uhr – an denen Wind und Sonne nicht einmal ein Zehntel zur Stromerzeugung beitragen. Es herrscht Windstille unter einem grauen Himmel, Dunkelflaute im Branchenjargon genannt. Wenn gemäß der Absicht der Ampel „idealerweise“ schon 2030 alle Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden, bleibt nur noch das fossile Erdgas, um den im Jahresverlauf immer wieder aufreißenden, wetterbedingten Mangel alternativer Energie wettzumachen. Eine einseitige, kaum akzeptable Abhängigkeit von einem Energieträger, den wir jetzt schon – vor der Inbetriebnahme von Northstream2 – zu mehr als der Hälfte aus Russland beziehen. Wer ist da von wem abhängig? Über dieses angebliche deutsche Druckmittel im Ukraine-Konflikt kann Putin nur lächeln.

Grün verkleidete Egoisten

Um die in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts wegfallende Kohle zu ersetzen, müssten neue Gaskraftwerke mit der Leistung von mindestens 23 Atomkraftwerken zugebaut werden. Das dafür nötige Gasvolumen werden sich unsere Lieferanten sicher gut bezahlen lassen. Im Jahresverlauf 2021 hat sich der Großhandelspreis für Erdgas von 20 auf 220 Euro je Megawattstunde verelffacht. Private Gaskunden stöhnen bereits über eine Verdopplung ihrer Heizkosten in diesem Winter.

Schwankender Beitrag von Sonne (Gelb) und Wind (Blau) zur Erzeugung (rote Linie) in den vergangenen zwölf Monaten. (Quelle: Energiewirtschaftliches Institut Köln)

Die von den Regierenden für 2030 angestrebte, utopisch anmutende Verdoppelung des Beitrags der Erneuerbaren zur Stromerzeugung auf dann 80 Prozent ändert an den beschriebenen wetterbedingten Versorgungslücken nicht einen Deut. Um soviel mehr kohlendioxidfreien Strom zu gewinnen müssten unzählige Windräder sturmgeschwind zugebaut werden. Doch jedem neuen Rotorturm stellt sich ein grün verkleideter Bitte-nicht-bei-mir-Egoist entgegen, der sich auf einen Rotmilan, eine Haselmaus oder die Ästhetik der Landschaft beruft.

Der Ampelvertrag ist voller bis 2030 erhoffter Luftsprünge: 200 Gigawatt installierte Photovoltaik – viermal mehr als heute, 30 Gigawatt Windkraft auf See –auch viermal mehr als heute, aber bitte wie? Keine einzige seewindgetriebene Mühle kam 2021 an Netz. Und ebenfalls in weniger als zehn Jahren soll – Hokus-Pokus – die Hälfte der Wärme in unseren Räumen aus klimaneutralen Quellen kommen.

Der Ehrgeiz der regierenden Klimaretter verlangt für fast alle Vorhaben Unmengen kohlendioxidfreien Strom. 15 von jetzt 45 Millionen, Personenwagen sollen 2030 vollelektrisch fahren. Und das wäre eine vielleicht sogar erreichbare Sache, auf die man sich konzentrieren sollte. Abgasfreie Luft und geminderter Lärm in unseren Straßen bekämen wir dazugeschenkt.

Den Pelz waschen und dabei nass werden

2045 klimaneutral wirtschaften, dann auch mit dem im Koalitionsvertrag vielbesungenen, aber fürchterlich ineffizienten „grünen Wasserstoff“ – das ist mit ein wenig Beschleunigung auf den schon eingeschlagenen Wegen zu nicht zu haben. Neben Wind und Sonne müssen noch andere erneuerbare Energiequellen her, wie eben tiefe Geothermie, die Kraft der Gezeiten oder etwas jetzt noch nicht sichtbares ganz Neues.

Die regierenden Klimaschutz-Möchtegern-Riesen täten gut daran, ein paar große Kohlekraftwerke weiter laufen zu lassen, das Verbrennungsgas (Kohlendioxid) abzuschöpfen und unterirdisch zu verstauen, englisch kurz CCS, eine Technik, die die Welt ohnehin lernen muss. Den Mut dafür müssten sie aber erst aufbringen. Den Atomstrom, den sie bei uns auslaufen lassen, könnten sie im Notfall aus dem benachbarten Ausland beziehen.

Die seit dem Klimarahmenvertrag von Rio durch Nichtstun verlorene Zeit aber machen sie bis 2030 nicht wett. In den vier Jahren ihres Mandats kann sich die Ampel mit gutem Handwerk allenfalls einen Gesellenbrief für fortgeschrittenen Klimaschutz verdienen. Wer aber die Latte so hoch legt, dass er sie selbst mit großer Anstrengung nicht überspringen kann, handelt sich neben dem Schaden auch Spott ein.

– Aber gerne lasse ich mich durch einen anderen Ausgang widerlegen.

Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. wachposten

Titelbild: Bildquelle: Wikipedia/Markus Schweiß – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1258445

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