Der Acker soll weichen – wie in Borsdorf
Von Klaus Nissen
Wer auf dem Lande Logistikhallen bauen will, bekommt es mit empörten Bauern, Kirchenleuten und Umweltschützern zu tun. Zukunftsweisender sind interkommunale Gewerbegebiete mit parkähnlichem Charakter, meinen die Planer in Nidda. Sie böten der jungen Bevölkerung die Chance, nicht abwandern zu müssen.Ab 2024 sollen die Bagger anrollen
Ein halbes Jahr lang bremste Corona das Projekt – doch nun soll er zügig voran kommen: der Bau eines „grünen“ Gewerbeparks für ganz Oberhessen zwischen den Niddaer Stadtteilen Borsdorf und Harb. Es werde keine Logistikhallen und auch keine „Monster-Bauten mit vielen Geschossen“ auf dem Gelände geben, versprach Bürgermeister Hans-Peter Seum bei einem Treffen mit den Ortsbeiräten. Auch der Projektsteuerer Otfried Herling bemühte sich intensiv um das Wohlwollen der Anwohnerinnen und Anwohner. Doch einige von ihnen stellten kritische Fragen.
So ganz haben die Planer die Herzen der Bevölkerung noch nicht erreicht. Schön wäre doch eine Visualisierung gewesen, sagte ein Zuhörer nach der Präsentation im großen Saal des Bürgerhauses. Ein Bild, das zeigt, wie der IGPO (Interkommunaler Gewerbepark Oberhessen) aussehen würde. Das gibt es aber noch nicht. Dafür eine Menge Planer-Poesie. Der Park werde ein „Impulszentrum im peripheren Raum“, stand groß auf einem der projizierten Bilder. Die künftige Nutzung des Ackers brauche „eine qualitative Bestimmnung (…) in Korrespondenz mit dem umgebenden Gesamtraum.“
Bis zu 2000 Arbeitsplätze sind erwünscht
Einiges ist aber schon klar. Neben Nidda wollen sich Hungen, Ortenberg, Gedern, Schotten und Echzell am Gewerbepark beteiligen. Er soll zunächst 19 Hektar groß werden, vom Winkel zwischen der B457 und B455 in Harb Richtung Borsdorf. Bis zu 2000 Arbeitsplätze könne man dort ansiedeln, sagte Bürgermeister Seum. Wenn der Park irgendwann voll belegt sei, könne man später westlich in Richtung Borsdorf und nach Norden noch einige Hektar angliedern.
Auf keinen Fall soll der Gewerbepark Logistikhallen wie bei Hammersbach, Lich, Wölfersheim oder Grund-Schwalheim bekommen. Auch monströse Hochbauten wollen die Planer nicht. Eher ein parkähnliches Gelände mit Wasserflächen und Fußwegen, an denen Digital-Dienstleister und Kreative hochwertige Büros beziehen. In Absichtserklärungen haben laut Seum die Uni Gießen, die Technische Hochschule Mittelhessen und die Hochschule Darmstadt die wissenschaftliche Begleitung des Projekts angekündigt. Wärme und Strom sollen in den Gebäuden aus Sonnenenergie kommen. Vielleicht entsteht dort auch eine Wasserstoff-Tankstelle – Genaues steht noch nicht fest, berichteten Hans-Peter Seum und Otfried Herling dem etwa 50-köpfigen Publikum. Seum: „Wir untersuchen gerade, welche Firmen passen.“ Eine Anfrage gebe es schon. Man entwickle eine Vision für die Zukunft. „Wir wollen unseren jungen Leuten etwas bieten.“ Damit sie nicht in die Metropolen abwandern und die Wohnhäuser rundum nicht an Wert verlieren.
Gemeinden von Echzell bis Schotten wollen mitmachen
Frühestens im Jahre 2024 rücken die Bagger zum Bau der Versorgungsleitungen an, schätzt Projektmanager Herling. Er leitete vor seiner Pensionierung viele Jahre lang das Bauamt der Stadt Butzbach. Da steuerte er die Entwicklung des Areals am Landgrafenschloss, des Magna-Parks bei Kirch-Göns, diverse Dorferneuerungen. Und nun nutzt Herling seine Erfahrungen und Kontakte, um mit der Wirtschaftsförderung Wetterau und den Oberhessen-Kommunen den gemeinsamen Gewerbepark voran zu bringen.
Inzwischen stehen die Werte der 28 Ackerflächen fest, berichtete Herling. Im September laufen die Verhandlungen mit den 22 Eigentümern weiter. Die Stadt will sie mit Geld oder anderen Flächen entschädigen. Im November soll klar sein, welche Kommunen wirklich mitmachen und ob sie einen Zweckverband für den Betrieb des Parks gründen. Für die Planung will Otfried Herling dann beim Land Hessen Fördergeld beantragen – pro Kommune gibt es 25 000 Euro. Im vierten Quartal wird ein erster Entwurf des Bebauungsplans vorgelegt, über dessen Details dann die Bürger, Organisationen und Kommunen in mehreren Runden beraten.
Die Zufahrt wird vorerst nicht geplant
Parallel dazu läuft eine neue Verkehrszählung im Raum Borsdorf und Harb. Den Gewerbepark sieht Seum als ein Druckmittel für den seit 40 Jahren diskutierten Bau der neuen Straße um Borsdorf herum. Denn bisher steht sie nur als „weiterer Bedarf“ im Bundesverkehrswegeplan. Die von der Stadt finanzierte Machbarkeitsstudie empfiehlt eine 1,4 Kilometer lange Trasse südlich um Borsdorf herum, mit mit einer Bahnunterführung in der Nähe des Park-and Ride-Platzes. Otfried Herling berichtete, man rede gerade mit Vertretern von Land, Bundesstraßenbauverwaltung und der Bahn über den beschleunigten Straßenbau. Das Ziel sei, möglichst bald ein Planfeststellungsverfahren zu starten. Denn es wäre ja gut, wenn die Straße fertig ist, bevor zusätzlicher Verkehr den Gewerbepark ansteuert.
Etlichen Menschen Saale des Bürgerhauses war am 29. Juli 2021 anzusehen, dass ihnen die Chose noch nicht geheuer ist. Eine Frau aus Borsdorf sagte besorgt, die neue B455 würde wohl vor ihrem Schlafzimmerfenster verlaufen – ob es schon Lärmgutachten gebe. Ein anderer Borsdorfer beklagte, dass die Anwohner der jetzigen Ortsdurchfahrt schon seit Jahrzehnten von täglich tausenden Autofahrern heimgesucht würden. Und von Motorradfahrern, die auf dem Weg zum Vogelsberg lautstark Gas geben. Man brauche Blitzer. Jetzt.
Anwohner befürchten zusätzlichen Verkehr
Eine neue Straße für Borsdorf – gut und schön. Aber die Harber leiden ebenfalls schon jetzt unter den vielen durchfahrenden Autos, wandte ihre Ortsvorsteherin Gabriele Heume-Schmidt ein. „Wie soll das gehen, wenn noch mehr Verkehr durch die Straßen fließt?“ Auf der B457 dürfen die Raser gleich Ortsschild auf Tempo 100 gehen, klagte der Ortsbeirat Peter Kahle. Obwohl dort die schwer einsehbaren Zufahrten zu Grundstücken liegen.
Der neue Gewerbepark solle doch bitte nicht gleich am Harber Ortsrand liegen, wandte Kahle ebenfalls ein. Sondern lieber erst hundert Meter weiter östlich beginnen. Auch andere Zuhörer ließen die Sorge erkennen, dass der Gewerbepark ihre Heimat allzusehr verändern würde. Was denn die nebenan sitzende Baufirma Lupp auf ihren eigenen Grundstücken im Park plane, fragte einer. Ein anderer vermerkte, dass die Jagdgenossenschaft die Äcker ja nicht mehr bejagen könne, wenn dort ein Gewerbepark entsteht.
Ein neuer Kindergarten wäre im Gewerbepark sinnvoll, regte Gabriele Heume Schmidt schließlich an. Das sei eine gute Idee, lobte Bürgermeister Seum. Alle seien eingeladen, ihre Ideen zum Gewerbepark beizusteuern. Nach der Veranstaltung sagte die Borsdorfer Ortsvorsteherin Stefanie Dilling: Die Menschen neigten dazu, zuerst die Risiken einer kommenden Veränderung zu sehen. Es sei aber auch sinnvoll, die Chancen eines solchen Projekts zu bedenken.