Flüchtling aus Syrien

Neuanfang im Friseursalon

Von Corinna Willführ

Michel Al Dai (Foto) hatte in Syrien einen Friseurladen. Vor zwei Jahren floh er vor dem Bürgerkrieg in seinem Land. Seine Odyssee endete vor zwei Jahren in Wehrheim. Über ehrenamtliche Flüchtlingshelfer bekam er Kontakt zum Salon von Remigija Uka, die aus Litauen in die Hochtaunusgemeinde kam. Das war 2015. Heute macht Michel al Dai (35) eine Ausbildung in ihrem Salon – und in der Berufsschule: „Da bin ich der Opa.“

Litauerin hilft dem Syrer

Er war der Mann, der für den „perfekten Halt von Haar und Krönchen“ bei der Apfelblütenkönigin Katharina II. im Mai dieses Jahres sorgte. Da hatte Michel Al Dai noch einen Minijob im Salon von Remigiya Uka. Nun macht der dem Krieg aus seinem Heimatland entkommene Syrer eine Ausbildung. Mit 35 Jahren geht er in die Berufsschule in Oberursel – und möchte das werden, was die Frau ist, die ihm diese Chance gab: Meister seines Fachs.

Uka Remigija (rechts) stammt wie ihre Kolleginnen Ilona Gavultiene und Raimonda Seipold aus Litauen. Zum Team in ihrem Friseursalon in Wehrheim gehört jetzt auch der Syrer Michel Al Dai.

Remigija Uka erinnert sich noch gut: „Das größte Problem als ich nach Deutschland kam, war, dass ich die Sprache nicht verstand und mich nicht verständigen konnte. Das war vor mehr als zehn Jahren. In 2017 konnte die Friseurmeisterin, geboren und aufgewachsen in Litauen, das zehnjährige Bestehen ihres Salons „Hair & Style“ feiern. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Raimonda Seipold und Ilona Gavultiene, ebenfalls geboren in dem baltischen Staat, und einem neuen Auszubildenden: Michel Al Dai. Der gebürtige Syrer kam vor zwei Jahren nach Wehrheim. „Das Wichtigste ist, die Sprache zu lernen“, sagt der 35-Jährige – ein wenig schüchtern, aber in Deutsch. Manchmal sucht er noch nach den Vokabeln, korrigiert sich selbst, wenn es um die Grammatik geht. Seine Muttersprache ist Arabisch. Wer jemals versucht hat, als Erwachsener eine Fremdsprache zu lernen, wird es ähnlich sehen, wie eine Kundin: „Wie haben Sie das so schnell hinbekommen. Kompliment.“

Fleißig, zuverlässig und beliebt

Die Geschichte von Michel Al Dai in der Taunusstadt begann damit, dass Remigija Uka von der Flüchtlingshilfe Wehrheim die Anfrage bekam, ihn vielleicht auf 450-Euro-Basis beschäftigen zu können. Denn der Syrer hatte in seiner Heimatstadt Damaskus ein Friseurgeschäft – indes nicht mit einer Ausbildung. Das war im Februar 2016. „Ich habe einfach nur gedacht, das probiere ich jetzt“, erinnert sie sich. Eine Entscheidung, die die Friseurmeisterin nicht bereut hat. „Michel ist fleißig und zuverlässig.“ Bei den Kundinnen und Kunden beliebt, versteht er sich doch auf die sanfte Massage bei einer Kopfwäsche ebenso wie auf das durchaus – für einen kurzen Moment – schmerzhafte Zupfen der Augenbrauen mit einem Zwirnfaden. „Das habe ich zuerst an mir ausprobiert. An meinen Barthaaren.“ Jetzt gehört es zu einer speziellen Qualifikation.

Tut für einen Moment weh, hält aber lange: Aus seiner Heimat hat Michel Al Dai die Fertigkeit mitgebracht, Augenbrauen per Faden zu zupfen. Er sagt dazu lieber „Ich male die Augenbrauen.“ (Fotos: Corinna Willführ)

Michel Al Dai lächelt einmal mehr. „Bei mir Zuhause hieß das: Augenbrauen malen.“ Ein Zuhause, dass er verlassen hat. „Weil dort Krieg ist.“ Michel Al Dai, Sohn eines Ingenieurs und einer Krankenschwester, hat sechs Geschwister. „Eine Schwester habe ich in diesem Krieg verloren.“ Die Eltern leben nicht mehr. Mehr sagt er nicht zu seiner Vergangenheit aus der Zeit, bevor er nach Deutschland kam. Aber wenn es um seine Gegenwart geht, spricht er vor allem vom Dank an alle, die ihm geholfen haben. Dass er jetzt einen Ausbildungsplatz hat, eine eigene Wohnung. „In der Schule bin ich der Opa“, schmunzelt er. Aber einer, der sich mit seinen 35 Jahren akzeptiert fühlt, wenn er zweimal die Woche zum Berufsschulunterricht in die Hochtaunus-Schule nach Oberursel muss, „ weil ich eine tolle Lehrerin und tolle Kollegen habe. Sie fragen mich immer, ob sie zu schnell gesprochen haben oder ob ich etwas nicht verstanden habe.“

Die Frisuren sind hier ganz anders

Geht es um sein Metier als Friseur hat Michel Al Dai festgestellt, „dass der Style bei den Frisuren völlig anders ist als in meinem Heimatland.“ Michel sagt Style, nicht Stil, „in Syrien haben wir viele internationale Begriffe aus dem Englischen oder dem Französischen. Auf dem Schild für mein Geschäft stand „Coiffeur“. Der Style, also der Stil, insbesondere bei Damenhaarschnitten unterscheide sich doch sehr. Igelig kurz, gar mit Gel aufgehübscht – in seiner Heimat kaum denkbar. „Da sind lange Haare wichtig, Locken.“ Seine Lehrmeisterin ergänzt: „das Toupieren“. Beides schätzt der 35-Jährige, macht er doch besonders gerne kunstvolle Hochsteckfrisuren. Von der Bewunderung für ein üppiges Makeup ist er indes abgekommen. „Mehr Natur (Natürlichkeit Anm. der Redaktion) gefällt mir jetzt besser.“

Deutsch-, Integrations- und Orientierungskurse – Michel Al Dai hat sie erfolgreich absolviert. „Mit guten Punkten“, sagt er bescheiden. Auch in der Berufsschule läuft es gut „für den Opa“ unter den Schülern. „Er ist auch dort sehr beliebt“, sagt Remigija Uka. Und unter einem verhaltenen Lachen ihrer Kolleginnen: „Er ist noch ledig“ Da zieht eine leicht Röte über das Gesicht von Michel Al Dai: „Aber verliebt.“ Was er sich für seine Zukunft wünscht: „Meinen Meister zu machen.“ Dabei mag ihm ein Sinnspruch aus seiner Heimat helfen, der aus dem Arabischen nicht eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen ist, „Ich habe die Idee getrunken.“

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