Der Architekt

Theaterzauber mit hellblauen Fliesen

Von Klaus Nissen

Für den Architekten Dirk Siebel ist der Umbau des Alten Hallenbades das Projekt seines Lebens. Viele Jahre befasste er sich mit den Details des Jugendstil-Gebäudes in Friedberg. Dass es nun als modernes Theater und Konzerthaus fungieren kann, ist auch Siebel zu verdanken. Hier einige Details zu diesem einzigartigen Umbau.

Der Architekt löst auch Biberschwanz-Probleme

Was tun, wenn nach hundert Jahren die Biberschwänze vom Dach rutschen? Auf einem denkmalgeschützten Haus kann man sie nicht mal eben durch Frankfurter Pfannen ersetzen. Die Ziegel sind noch recht gut, merkte Dirk Siebel bei seinem ersten Besuch im Dachstuhl des Alten Hallenbades. Nur leider wurden viele der kleinen Ton-Pinökel brüchig, die die Ziegel an der Dachlattung halten.

Der Architekt Dirk Siebel vor dem Haus, das ihn zwölf Jahre seines Lebens fast täglich beschäftigte: das Alte Hallenbad in Friedberg. foto: Nissen

„Wir suchten die Biberschwänze nach einem Prägestempel ab“, erzählt der Architekt. „In der Hoffnung, dass die Ziegelei noch existiert und neue Dachziegel in alter Form liefern kann. Aber wir fanden keinen Hinweis auf den Lieferanten. Also deckten wir das ganze Dach ab und versetzten die besser erhaltenen Biberschwänze von der Rückseite des alten Hallenbades auf die Frontseite. Die Rückseite mussten wir dann mit modernen, ähnlich aussehenden Biberschwänzen eindecken.“

Solche Probleme sind das tägliche Brot eines Architekten, der denkmalgeschützte Häuser umbaut. Er muss Perfektionist sein und zugleich kreativ.

Der Bau kostete 153 000 Reichsmark

Erst recht, wenn das Bauwerk einen ganz anderen Nutzen bekommen soll als bisher. Einundsiebzig Jahre lang, von Pfingsten 1909 bis zur Eröffnung des Usa-Wellenbades anno 1980, lernten zigtausende Kinder und Jugendliche das Schwimmen im neun mal 19,5 Meter großen Becken. Für 153 000 Reichsmark ließ der Gießener Baurat Hans Meyer (1867 – 1949) auch 13 Wannenbäder an der Friedberger Haagstraße errichten. Zusätzlich elf Duschen und zwei „Dampfkästen“ – eine Art Sauna. „Das Alte Hallenbad war das Badezimmer der Friedberger“, sagt Dirk Siebel.

Das Alte Hallenbad in der Draufsicht. Die gelb gefärbte Treppe mit der Terrasse ist neu. Rechts daneben das ehemalige Kesselhaus, das als Lager, Büro und Besprechungsraum genutzt werden kann. Repro: Nissen

Und nun macht er aus der Badeanstalt einen Kulturtempel. Siebel, Jahrgang 1960, wuchs in Frankfurt auf, studierte in Damstadt Architektur und arbeitet seit 15 Jahren im Schwanheimer Architekturbüro MTP. Das gewann 2011 die Ausschreibung zum Umbau des Gebäudes. Seitdem arbeitet Siebel daran. „Es ist ein ganz besonderes Projekt für mich. Eine einmalige Chance“, sagt der ernste Mann mit den runden Brillengläsern.

Die Bausubstanz war gut, die Oberflächen aber „grausig“

Der Komplex zwischen der Haagstraße und der südlichen Stadtmauer des alten Friedberg war 2011 in einem erstaunlich guten Zustand. Alle Oberflächen zwar „grausig“, doch das Hallenbad hatte kaum Risse oder Wasserschäden. Obwohl es in den Sechzigern eine Brachialsanierung aushalten musste, bei der Jugendstil-Elemente hinausgeworfen, die Wände der Schwimmhalle hellblau gekachelt und viele Fenster zugemauert oder durch Glasbausteine ersetzt wurden. Den 30-jährigen Dornröschenschlaf nach der Schließung hatte das Hallenbad ebenfalls ausgehalten.

Was genau soll daraus werden? Diese Frage diskutierte Siebel seit 2011 immer wieder mit dem Vorstand der gemeinnützigen GmbH, die das Alte Hallenbad langfristig von der Stadt Friedberg gepachtet hat. Anfangs wollte der Vorstand ein Bühnenhaus mit Kulissenzug haben, erinnert sich der Architekt. So ähnlich wie das Gießener Stadttheater, bei dem der Hallenbad-Erbauer Hans Meyer bis 1907 der Bauleiter war.

Doch dann wurde klar, dass die alte Badeanstalt mehr als ein Theater wird. Ein Mehrzweckgebäude, in dessen Saal die Bühne an jeder beliebigen Stelle aufgebaut werden kann. Ein Haus, in dem auch kleinere Tagungen und private Feiern stattfinden können. Nur so ließ sich die angepeilte Investition von 4,5 Millionen Euro rechtfertigen. Allein aus dem Ticketverkauf für Kleinkunst, Konzerte und Aufführungen des hauseigenen Opernteams würde sich der Bau niemals refinanzieren. Erst recht nicht, seit die Umbaukosten auf 7,63 Millionen Euro wuchsen. Diese Summe zahlen die vielen Sponsoren und Gäste des Hauses. Zudem der Förderverein, die Stadt Friedberg, das Land Hessen, der Bund und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Dass es gelang, kann man schon als Wunder bezeichnen.

Der Umbau begann 2012. Zuerst rissen die Handwerker Anbauten aus den Sechzigerjahren ab. Alte Kohlebunker. Die Kessel der später installierten Ölheizug und den hohen Schornstein. Aus dem Kesselhaus wurde ein Backstage-Bereich für die Künstler, der auch für Veranstaltungen nutzbar ist. Eine breite Freitreppe führt zum Kesselhaus und zur Längsseite des früheren Schwimmsaales Im Saal bekam das Becken eine solide Beton-Abdeckung mit gläsernem Rand, durch den die blauen Fliesen im Untergrund sichtbar sind. Im Untergeschoss entstand zudem ein großer Trakt mit den Besuchertoiletten.

Veranstaltungen schon kurz nach Beginn des Umbaus

Der Deckel über dem Schwimmbecken war kaum abgetrocknet, als schon die ersten Musiker und Kabarettisten darauf ihre Gäste empfingen. „Wir haben immer um die Veranstaltungen drumherum gebaut. Das machte es nicht einfacher, sagt Architekt Siebel dazu. Trotzdem hält er es für eine „geniale Idee“ der Friedberger Kultur-Macher, das unfertige Haus gleich mit Veranstaltungen zu belegen. Denn so sehe die Bevölkerung, wie gut die Atmosphäre darin ist. Siebel sagt: Ich finde auch charmant, dass die Ehrenamtler den Thekendienst machen und die Förderer viel mit den Besuchern reden. Das steigert die Akzeptanz für das Alte Hallenbad.“

Fünf Bauabschnitte liegen nun hinter dem Architekten und den Förderern des Hauses. Neu ist die Gasheizung, die Lüftung, das zusätzliche Foyer mit der schicken Bartheke. Der Saal hat weitere Ausgänge bekommen, an der Südseite wurde draußen eine große Fluchttreppe gebaut. An der östlichen Schmalseite können Besucher nun in den Pausen auf der großen Terrasse flanieren und plaudern.

Der Aufzug soll nicht stören

Damit das Haus barrierefrei wird, diskutierten Architekt und Bauherren lange, wo der Aufzug installiert werden kann. Es gab die große Sorge, er könne zu laut sein und optisch den Charme des Saales zerstören. Nun wirkt der Aufzug in einer Ecke des Saales unauffällig genug, freut sich Dirk Siebel. Grundsätzlich kämpfe er hier um jedem Zentimeter. Umbauten brauchten nun mal Platz. „Als Hallenbad nahm das Haus etwa 50 Menschen gleichzeitig auf. Als Theater und Konzertsaal können es bis zu 500 werden.“

Die Besucher haben freilich jede Menge Raum. Hoch über sich sehen sie im Saal wieder die ursprünglichen halbrunden Fenster. Und die Galerie auf halber Höhe ist nicht mehr gesperrt. Das Jugendstilgeländer erwies sich dort als zu niedrig und schwach, berichtet der Architekt. Ein unauffälliges zweites Geländer sorgt nun dafür,dass die vorgeschriebene „Anprall-Last“ ausgehalten wird.

Neu ist die Licht- und Tonanlage

Quer über den Saal spannen sich Traversen mit modernen Scheinwerfern. Trotz der neuen Technik und Nutzung soll so viel wie möglich aus der Vergangenheit des Hallenbades erhalten bleiben. Deshalb durfte der Architekt die hellblauen Kacheln von 1964 nicht von den Pfeilern und den Saalwänden unter der Galerie entfernen.

Dirk Siebel gefällt das nicht. Schon wegen der Akustik. Außerdem widersprächen sie dem Konzept des Erbauers Hans Meyer. Der duldete Hellblau nur im Schwimmbecken. Darüber bräunliche Töte, die nach oben ins Lichtgelbe wechseln. Über so etwas kann Siebel lange reden. „Dass ich die Leute nerve, ist mir bewusst. Aber das gehört zu meinem Job dazu.“

Die To Do-Liste wird niemals ganz abgearbeitet sein

Ist das Alte Hallenbad mit der Eröffnungswoche im September 2024 nun fertig? Der Architekt schüttelt den Kopf. Der Sandsteinsolckel müsse ja noch hergerichtet werden. Die Außenanlagen. Es gibt noch keine Fahrradständer. Das geplante Bistro mit Außenbewirtschaftung an der östlichen Schmalseite des Theaters kann in den nächsten zehn Jahren nicht öffnen. Denn es widerspricht laut Siebel den Förderbedingungen der staatlichen Geldgeber.

Immerhin liegt unter dem neuen Voyer nun ein großer Seminarraum mit Teeküche. Der darf zum Beispiel als Sonder-Standesamt für Trauungen genutzt werden. Und im neuen Foyer soll noch ein ziegelroter Bodenbelag gegossen werden, in dem Linien die Umrisse der einst hier stehenden Wannenbäder nachzeichnen. Die To-do-Liste wird wohl nie geschlossen. „Ich sehe hier immer, was kaputt und noch nicht fertig ist“, sagt Dirk Siebel. „Aber abends spüre ich dann einen Theaterzauber, den es woanders nicht gibt.“

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