Kriegsende: Sogar Radfahren ist verboten
Von Klaus Nissen
Am 28. März 1945 tauchten die ersten US-Soldaten in Vilbel auf. Mit dem Gewehr im Anschlag gingen sie zwischen den Trümmerhaufen hindurch, die nach vielen Bombenangriffen die Kleinstadt nördlich von Frankfurt prägten. Am 3. April beauftragten die Amerikaner einige Vilbeler, die unter den Nazis gelitten hatten, Ordnung zu schaffen. Das taten sie mit aller Konsequenz. Hier eine Chronik des Kriegsendes in der Brunnenstadt. Die Informationen stammen aus dem Stadtarchiv, aus dem Buch „Vilbeler Geschichten“ und von Eberhard Seipp – einem engagierten Mitglied des Geschichtsvereins.Kriegsende in Bad Vilbel
2. März 1944: Der schlimmste aller Luftangriffe legt die Brunnenstadt in Trümmer. Inzwischen sind 133 Häuser zerstört. Auch der Südbahnhof. Stadtchronist Heinrich Martini zählt 52 Bombenopfer.

26. März 1945: Bürgermeister Joseph Seitz räumt das Rathaus und und flieht mit weiteren NS-Größen vor den Amerikanern. In der Stadt hört man schon Artilleriefeuer.
27. März: Am Tag vor Ankunft der Amerikaner verschwindet der Bauunternehmer Clemens Vogt aus einer Zelle der Stadtpolizei. Er hat zuvor in einem Vilbeler Lebensmittelladen Flugblätter der anrückenden Alliierten vorgezeigt. Eine Kundin rief die Polizei. Vogt wird Anfang April erschossen in der Nidda gefunden.

Mittwoch, 28 März: Amerikanische Panzer rasseln von Gronau her über die Lohstraße zum Alten Rathaus. An Hausfassaden hängen weiße Tücher. Die Amerikaner richten eine Kommandantur ein. Die Villa des Krankenhausdirektors Göbel und das Kurhaus werden requiriert. Die im Lager am Freibad internierten russischen und französischen Kriegsgefangenen kommen frei.
31. März: Der desertierte Vilbeler Flaksoldat Erich Knoll läuft abends trotz Ausgangssperre zu Verwandten in die Feldbergstraße. Er hat Glück, dass er nicht gestellt und erschossen wird.

3. April: Elf Männer treffen sich mit Billigung der US-Army im Rathaus, um das Chaos in Vilbel einzugrenzen. 1933 sind sie von den Nazis aus ihren Ämtern gejagt worden. Zum Leiter der Zivilverwaltung bestimmen sie nun den Sozialdemokraten Karl Bruder jun. Im Führungszirkel sitzen auch der Metallfacharbeiter Georg Muth und Johann Kroner, der bis 1933 Verwaltungsobersekretär im Rathaus war.
10. April: Die ersten Amtlichen Bekanntmachungen erscheinen. Sie verkünden eine Ausgangssperre zwischen 20 und 6 Uhr. Alle Autos werden beschlagnahmt. Das Benutzen von Fahrrädern wird verboten. Die Schulen sind geschlossen.

15. April: Für den Wiederaufbau ruft Karl Bruder zum Zeichnen einer Anleihe auf, die mit 2,5 Prozent verzinst werden soll. Bis Dezember 1945 kommen 61 000 Reichsmark zusammen. Zugleich muss man den Mangel verwalten: Vormittags dürfen die Vilbeler keinen Strom mehr verbrauchen. Erwachsene bekommen exakt 62,5 Gramm Käse und 100 Gramm Kaffeeersatz zugeteilt.
23. April: Die Militärregierung verkündet, dass sich niemand weiter als sechs Kilometer von seinem Wohnort entfernen darf. Nachts müssen die Fenster verdunkelt werden. Alle Angehörigen des Volkssturms, der Wehrmacht, der SS, SA und der NSDAP müssen sich melden. Sie dürfen ihre Uniformen nicht mehr tragen. Ihnen droht die Todesstrafe, wenn sie Waffen oder Munition verstecken.

25. April: Die Vilbeler Jugendlichen sollen nicht mehr „herumlungern“ und die Schuleinrichtungen verwüsten. Um 8 Uhr früh muss Klasse H3 der Hauptschule unter Aufsicht der Lehrer im Schulhaus aufräumen.
7 Mai: Karl Bruder wird als Bürgermeister vereidigt, Georg Muth als Erster und Karl Lehr als Zweiter Beigeordneter.
Verwaltung erbost über „kleinlichste Klagen“
9 Mai: Die Stadtverwaltung verpflichtet Erwachsene zur Arbeit bei den Bauern, zum Schutt-Räumen und zum Auffüllen der Bombentrichter. Sie gibt ihnen Arbeitspässe, in denen die geleisteten Stunden bescheinigt werden. NSDAP-Mitglieder müssen das doppelte Soll erfüllen. Wer das nicht macht, verliert seine Lebensmittelkarte.
15. Mai: Bürgermeister Bruder verbittet sich per Amtsblatt die „kleinlichsten Klagen über zufälliges Nichtvorhandensein von Mangelwaren“. Die Verwaltung tue, was sie könne, um die Bevölkerung zu versorgen. Zugleich ernennt sie fünf Männer zu Flurschützen: Sie sollen Gemüse- und Getreide-Diebstähle von den Äckern verhindern.

Außerdem müssen sich die Vilbeler darauf einstellen, dass ihre Wohnungen von der US-Army mit einer bis drei Stunden Vorlaufzeit beschlagnahmt werden kann. Und dass sie ausgebombte Familien aufnehmen müssen. Bis Oktober1946 treffen mehr als tausend Heimatvertriebene in Vilbel ein. Für sie wird ein neuer Stadtteil auf dem Heilsberg gebaut. Die Bevölkerung wächst von 6600 auf 11000 Köpfe im Jahr 1955.
1. April 1946: Kurt Moosdorf löst Karl Bruder als Bürgermeister ab. Der Sozialdemokrat hatte das Amt schon von 1928 bis 1933. Danach schlug er sich als Versicherungsvertreter durch. Moosdorf leitet bis 1955 den Vilbeler Wiederaufbau.