Rätselhaftes Leben
Von Bruno Rieb
Wer hatte den tödlichen Unfall mit wem, wer mit wem die Affäre? Was ist das für ein seltsamer Raum, in dem sich die Toten bei einem kuriosen Experiment begegnen. Das anspruchsvolle Laientheater Kleine Bühne Gambach schickt sein Publikum mit seinem neuen Stück „Streiflicht“ auf eine rätselhafte Tour zum Sinn des Lebens.Ins Paradies oder wohin?
Die Toten sind in dem Raum auf einer endlosen, ungezählte Lichtjahre weiten Reise zu einem fernen Planeten, auf dem sie ein neues Leben aufbauen sollen. Unter dem strengen Regiment einer Projektleiterin blicken sie dabei auf ihre Vergangenheit zurück, in der sich ihre Wege katastrophal kreuzten.
Krimineller, Mutter, Soldat und Karrierefrau schauen sich ihr Leben an und können sich rückwirkend anders entscheiden. Es gibt eine Tür, die sich denen öffnet, die sich für ein anderes – besseres? – Leben entschieden haben. Wohin führt die Tür? Ins Paradies?
Zwei können gehen, der Soldat, der aus der Hölle kam und neue Hoffnung schöpft, und die Mutter, die sich nicht mehr dressieren lassen will. Wohin sie nun kommen, wollen sie von der Alten wissen, die das Projekt begleitet. Das liege an ihnen, sagt die. Die lebenserfahrene Dame hat auf jede Frage eine weise Antwort. „Die Welt, in der ich lebte, meine Herkunft, meine Erziehung, meine Umwelt. Ich weiß es nicht, das sind so viele Dinge, die mein Leben bestimmt haben, auf die ich keinen Einfluss hatte“, klagt die verzweifelte Mutter. „Warum übergibst du allen möglichen Umständen und Personen die Verfügungsgewalt über dein Leben?“, fragt die Alte. Oder der Soldat sagt „Ich habe über den Lauf meines Lebens nicht bestimmen können“. Die Alte sagt: „Wer dann, wenn nicht du?“
Viel Stoff zum Nachdenken
Regisseur Johannes Schütz, der das Stück auch geschrieben hat, geht der Frage nach, was ein erfülltes Leben ausmacht. Mit kargem Bühnenbild schafft er eine eindringliche Atmosphäre. Die Schauspieler liegen und sitzen auf Feldbetten, die Tür aus dem Raum ist nur durch einen roten Lichterrahmen markiert, dazu ein paar Stühle und Lämpchen. Die Terminals, auf denen die Probanden ihr Leben betrachten und beeinflussen können, sind simple leere Bilderrahmen.
Streckenweise ist das Stück mehr Hör- als Schauspiel. Die aufgezeichneten Stimmen der Schauspieler erzählen deren Schicksal, während die Darsteller auf den Feldbetten liegen und schlafen. Es sind spannende, gut erzählte Lebenswege. Obwohl – oder weil? – auf der Bühne nichts geschieht, wirken diese Traumsequenzen stark. Die sechs Akteure des Stücks – Hauptdarsteller gibt es nicht – verleihen ihren Figuren eine starke Authentizität.
„Streiflicht“ ist Lichtjahre entfernt von herkömmlichen Laienspiel-Komödien. Bei denen wisse er schon nach zehn Minuten, wie sie ausgehen, sagt Schütz. Bei seinem Stück können die Besucher noch lange rätseln, ob der Autor es so oder ganz anders gemeint hat. Rätselhaft, so ist es eben, das Leben.