AtemZeit

Wenn Kinder schlecht Luft bekommen

Von Corinna Willführ

Der Verein „AtemZeit“ im Wölfersheimer Ortsteil Wohnbach bietet intensivmedizinische Betreuung für Kinder mit Atemwegserkrankungen und ihre Eltern an. Das Bild zeigt das Maskottchen des Vereins.

Die Eltern sind den Kindern nahe

Vom Außengelände des Kindergartens in Wohnbach ist das Lachen der Jungen und Mädchen beim Spielen zu hören. Nebenan, im Haus der Kuhgasse 6, schläft Noah. Im Bett seiner Mutter. Die Frankfurterin und ihr Sohn haben in den Räumen des Vereins „AtemZeit“ ein Domizil auf Zeit. Denn Noah, der in Wirklichkeit anders heißt, braucht eine intensiv medizinische Betreuung. Bei seiner Geburt in der 22. Schwangerschaftswoche wog er nur 330 Gramm. Die ersten Monate seines Lebens verbrachte der Junge auf der Intensivstation der Uniklinik in Frankfurt. Seit Februar lebt er mit seiner Mutter und oft auch an den Wochenenden mit seinem Vater in der Einrichtung des „PflegeNestes“ mit Sitz in Gießen. Das „PflegeNest“ bietet Intensivpflegedienste für Kinder und Jugendliche an.

Das Besondere im Haus des Vereins „AtemZeit“: Mindestens ein Elternteil ist – auch über Wochen – in unmittelbarer Nähe des Kindes und Part der 24-Stunden-Behandlungspflege. „Wir sind die erste Einrichtung in Hessen, die mit diesem Konzept arbeitet“, sagt Nina Jäger. Die 38-jährige Krankenschwester, die mehr als 16 Jahre in der Pflege von Erwachsenen an der Uni-Klinik Gießen gearbeitet hat, leitet das Haus „AtemZeit“ im Wölfersheimer Ortsteil Wohnbach. „Wenn Sie sehen, wie ein Kind wie Noah sich so entwickelt, dann stellen Sie sich nicht mehr die Frage, warum man eine solche Aufgabe übernimmt.“ Denn die Beatmungsmaschine, an die Noah angeschlossen war, steht zwar noch in dem Zimmer mit seinem multifunktionalen Bettchen gegenüber von „Mamas“, aber er benötigt sie nicht mehr. Der Junge kann alleine atmen – auch wenn er noch Sauerstoffzufuhr benötigt.

Nina Jäger, Vorsitzende des Vereins „AtemZeit“ und Leiterin des Hauses in der Wohnbacher Kuhgasse, ist froh, dass Noah das Beatmungsgerät an seinem Bettchen nicht mehr benötigt. (Fotos: Willführ)

Vom Säubling bis 18-Jährigen

Sechs bis neun Kinder kann die „AtemZeit“ – auch für längere Zeit in dem nach ihren Anforderungen errichteten Neubau mit einem Elternteil – aufnehmen. Dabei reicht die Altersspanne ihrer Patienten und Patientinnen vom Säugling bis zum 18-Jährigen. Zuvörderst sind es Kinder mit schweren Atemwegsstörungen und/oder neurologischen Erkrankungen, „die beispielsweise mit Krampfanfällen einhergehen“, erläutert Nina Jäger. Die Kosten für ihre medizinische und pflegerische Betreuung übernehmen die Krankenkassen. Der Unkostenbeitrag der Eltern geht an den Verein „AtemZeit“ und kommt über diesen wieder den Kindern zugute.

„Wir verfolgen hier einen ganzheitlichen Ansatz. Viele Eltern sind überfordert, wenn sie ein Kind haben, das intensivmedizinisch betreut werden muss. Gerade bei Säuglingen und Kleinkindern haben sie Angst, etwas falsch zu machen. Das geht doch schon Paaren so, die gesunden Nachwuchs haben.“ So ist es denn das Ziel von Nina Jäger und dem zurzeit zwölfköpfigen Team von „AtemZeit“ neben der medizinisch-pflegerischen Versorgung die Mütter und Väter so anzuleiten, dass sie mit ihren Kindern „ein normales Leben führen können“. Dazu gehören beispielsweise Besuche beim Kinderarzt. Bei Professor Dr. Arno Fuchshuber in Bad Nauheim oder bei Dr. Johanna Grenzebach in Lich, die als Kinderärzte erste Ansprechpartner im Haus sind. Aber auch ihre Kollegen, die in der Nähe der Familien sind. „Es gilt darüber hinaus den Müttern und Vätern die Besorgnis zu nehmen, mit ihren Kindern einen Spaziergang machen zu können oder ihre Großeltern zu besuchen.“ Denn die Jungen und Mädchen sollen „Kind sein können“ – auch wenn ein Ausflug „anders“ vorbereitet werden muss: mit einem aufgeladenen Akku für das Beatmungsgerät, allen erforderlichen Medikamenten.

Ohne feste Regeln für weitgehende Selbstbestimmung

Zum Ende des Jahres möchte das Haus „AtemZeit“ Kindern und Jugendlichen auch stationär als Intensivpflegedienst zur Verfügung stehen – dann auch mit pädagogischem Personal. „Bislang haben wir keine festen Regeln zum Tagesablauf aufgestellt“, sagt Nina Jäger. Wir erproben für jede einzelne Familie, wie es mit der Betreuung am besten klappt. Eines, räumt die Einrichtungsleiterin ein, habe man schon erkannt und verbessert: dass die Küche im Parterre in einem offenen Raum für das Frühstück oder einen Kaffeetisch geeignet ist, weniger für ein großes Mittagessen. Eltern, die selbst kochen möchten, werden deshalb in Kürze im ersten Stock eine weitere Küche finden. Sie soll dann auch dafür geeignet sein, Gerichte nach persönlichem Gusto zuzubereiten.

Manches sei noch in der Erprobungsphase räumt die Einrichtungsleiterin ein. Das aber bewusst. „Denn wir möchten den Menschen, die zu uns kommen, keinen reglementierten Tagesplan vorgeben, sondern dass sie ihren Aufenthalt hier mit ihrem Kind so weit wie möglich individuell gestalten können. Feste Termine allerdings mit der Krankengymnastin oder der Logopädin, die in die Kuhgasse 6 kommen, müssen eingehalten werden.

Das Lachen von nebenan ist weiter zu hören – Noah ist davon nicht aufgewacht. „Wenn Sie ihn erleben könnten, wie er lacht, wie fröhlich er ist. Das ist einfach wunderbar“, so Nina Jäger. Noah soll weiterschlafen, um gesund zu werden – und wenn es der Verein „AtemZeit“ mit Unterstützung der Kinderärzte und seinen Eltern schafft, wenn er Vier ist, auch mal mit anderen Jungen und Mädchen auf einem Außengelände eines Kindergartens spielen.

Das PflegeNest mit Sitz in Gießen bietet Kindern und jungen Erwachsenen in Hessen eine häusliche Intensivpflege an. Im Haus „AtemZeit“ betreuen ausschließlich examinierte Fachkräfte „mit Weiterbildung in der Anästhesie und Intensivmedizin oder mit Fortbildung zur Pflegefachkraft zur außerklinischen Beatmung“ (Angaben von PflegeNest) Kinder und Jugendliche, „die aufgrund einer Behinderung oder Erkrankung eine intensivmedizinische Versorgung benötigen, beatmet werden müssen oder von einer Beatmung bedroht sind.“ Zu dieser zählen das Monitoring, die Überwachung der Beatmungsgeräte, der Wechsel von Tracheakanülen ebenso wie die Sauerstoffversorgung, Inhalation und die Grundpflege im Bereich von Ernährung, Körperpflege und Mobilität. Die Einrichtung arbeitet nach dem Pflegemodell Krohwinkel. Das Modell trägt den Namen von Monika Kr ohwinkel, Professorin für Pflege an der Fachhochschule Darmstadt. Sein Ziel ist die Erhaltung beziehungsweise die Entwicklung der Unabhängigkeit des Menschen. So soll eine zunächst durch ein Defizit bestimmte Pflege in eine „tätigkeitsorientierte und fördernde“ Problembewältigung übergehen.

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