Erinnerung auch in Gießen
Anlässlich des anstehenden Jahrestages der Novemberpogrome 1938 findet in Gießen eine Reihe von Veranstaltungen statt, die sich den vielfältigen Facetten der Erinnerung und der Gegenwart widmet. Der Gießener Runde Tisch gegen Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens hat eine Übersicht zu den einzelnen Terminen erstellt, die unter www.giessen.de/gedenken-pogromnacht zu finden ist.Würdigung der Opfer
Wie die Pressestelle der Stadt Gießen berichtet, beleuchtet ein Teil der Veranstaltungen die historischen Ereignisse und trägt zur Erinnerung an die Opfer bei, etwa die offizielle städtische Gedenkstunde am Abend des 9. Novembers, die Wiederenthüllung der Gedenktafel für die niedergebrannte Synagoge in der Steinstraße am 10. November, eine Stadtführung auf den Spuren jüdischer Bürgerinnen und Bürger am 3. November oder eine Lesung aus dem Buch „Der Junge mit der Mundharmonika: Aus dem Ghetto Theresienstadt mit dem Zug in die Freiheit“ im Jokus am 13. November.
Problem des Antisemitismus
Andere Veranstaltungen setzen sich mit dem aktuellen Problem des Antisemitismus auseinander, sollen Aufklärungsarbeit leisten und den gesellschaftlichen Dialog fördern. So wird am Nachmittag des 8. Novembers die Ausstellung „Ja, DAS ist Antisemitismus! Jüdische Erfahrungen in Hessen“ im Atrium des Rathauses eröffnet, wo sie anschließend bis zum 9. Januar im neuen Jahr zu sehen sein wird. Zudem finden Informationsveranstaltungen des Jugendbildungswerks und der DEXT-Fachstelle zu den Themen „Die Israel-Boykottbewegung: Alter Hass in neuem Gewand“ (23. Oktober) und „Antisemitismus als Herausforderung für die ehrenamtliche Arbeit im Sport“ (20. November) statt.
Pflege jüdischer Kultur durch Konzerte
Eine dritte Gruppe von Veranstaltungen widmet sich der Sichtbarmachung und Pflege jüdischer Kultur durch Konzerte, die das reiche musikalische Erbe feiern. Über „Amol is gewen a jidele“ mit Hans und Daniel Bollinger am 12. November bis zum Konzert „Di Velt iz a Teater“ mit dem Ensemble „Die Rozhinkes“ am 1. Dezember. Außerdem wird am 24. November das „Requiem für einen polnischen Jungen“ von Dietrich Lohff im benachbarten Lich aufgeführt.
Forderung „Nie wieder!“‘“
Für Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, der auch Vorsitzender des Gießener Runden Tischs gegen Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens ist, zeigt das vielfältige Veranstaltungsprogramm, dass es in Gießen gelinge, Erinnerungskultur mit der Thematisierung aktueller Herausforderungen zu verbinden: „Gerade in der aktuellen Lage kann man nicht allein aus der Erinnerung an die Novemberpogrome 1938 heraus mahnen, ohne sich gleichzeitig damit zu beschäftigen, was die geschichtlich begründete Forderung ‚Nie wieder!‘ für die Gegenwart bedeutet. In Anbetracht des aktuell aus verschiedenen Richtungen geschürten Antisemitismus sollen die Veranstaltungen in den kommenden Wochen erinnern, aber auch aufklären und klare Stellung beziehen. Das scheint mir im Moment besonders wichtig. Deswegen würde ich mich über reges Interesse an den verschiedenen Veranstaltungen freuen“, so der Oberbürgermeister.
Veranstaltungen im Einzelnen
Sonntag, 3. November 2024, 14 Uhr, Treffpunkt am Jugend- und Kulturzentrum Jokus, Ostanlage 25A, 35390 Gießen (Anmeldung bitte an dext@giessen.de)
Die Führung zeigt das historische Leben von Juden und Jüdinnen in Gießen. Nachdem zu Beginn kurz das „Wallpförter Quartier“ und die damals dort befindliche Synagoge in der Zozelsgasse beleuchtet wird, werden im Anschluss einzelne ehemalige Geschäfte von Juden und Jüdinnen und die Lebensgeschichten ihrer Besitzer schlaglichtartig betrachtet. Der Stadtgang führt über die Marktstraße, die Neustadt und die Bahnhofsstraße – im Fokus stehen dabei das auslaufende 19. Jahrhundert und der Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre.
Ausstellungseröffnung „Ja, DAS ist Antisemitismus! Jüdische Erfahrungen in Hessen“ am
Freitag, 8. November, 15.30 Uhr, Atrium im Rathaus, Berliner Platz 1, 35390 Gießen (keine Anmeldung nötig)
Eröffnung der Ausstellung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) mit
– einer Einführung von Dr. Susanne Urban (RIAS Hessen) und mit
Grußworten von
– Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher,
– dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Gießen Dow Aviv,
– dem Vorsitzenden der AG Gießen des DIG e.V. Nicolas Asriël Obitz.
Authentische antisemitische Vorfälle, die Menschen so widerfahren sind, bilden die Grundlage für die Ausstellung und zeigen, dass Antisemitismus leider Alltag ist.
Sie haben ganz unterschiedliche Reaktionen ihrer Umwelt erlebt: Ignoranz, Gelächter, Beschwichtigung, Relativierung, aber auch Solidarität.
Die Ausstellung kann vom 11. November 2024 bis zum 9. Januar 2025 montags bis donnerstags von 7.30 bis 18Uhr und freitags bis 13 Uhr kostenlos und ohne Anmeldung besucht werden.
Versammlung zur Stunde der Erinnerung und Mahnung mit anschließender Kranzniederlegung am
Samstag, 9. November 2024, 18 Uhr, am Mahnmal für alle Opfer und Verfolgten des Naziregimes auf dem Rathausvorplatz, Berliner Platz 1, 35390 Gießen (keine Anmeldung nötig). Der Magistrat der Universitätsstadt Gießen veranstaltet gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar eine Stunde der Erinnerung und Mahnung an die verfolgten und ermordeten jüdischen Bürger/innen Gießens und die Zerstörung der Gießener Synagogen.
Beteiligt an der Gedenkstunde sind außerdem die Jüdische Gemeinde Gießen, die Evangelische und Katholische Kirche sowie Schüler/innen des Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums Gießen. Die musikalische Umrahmung erfolgt durch Marco Weisbecker und Rolf Weinreich.
Wiederenthüllung der Tafel zum Gedenken an die beim Novemberpogrom 1938
zerstörte Synagoge in der Steinstraße am
Sonntag, 10. November 2024, 11.30 Uhr, Fahrzeughalle der Feuerwehr Gießen-Mitte, Steinstraße 9, 35390 Gießen (keine Anmeldung nötig) .Während der Sanierung des Wohnbau-Gebäudes am ehemaligen Standort der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft war die Gedenktafel eingelagert. Nun, nach Abschluss der Sanierung wird die Tafel wiederangebracht. Am Programm beteiligt sind Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und Henriette Stuchtey (M.A., Kunsthistorikerin), die einen Vortrag zum Thema „Man beabsichtigt, einen wirklichen Monumentalbau zu errichten. – Die Bau- und Erinnerungsgeschichte der Synagoge in der Steinstraße“ hält.
Anschließend erfolgt der gemeinsame Gang zum ehemaligen Standort der Synagoge (Steinstraße 8) und die Wiederenthüllung der Gedenktafel mit einem Grußwort von Dow Aviv, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gießen-
Titelbild: Fotos von der Synagoge in der Südananlage vor der Zerstörung. (Fotoquelle: Stadt Gießen).