Schutzgemeinschaft fordert Moratorium
Für den Weiterbau der A49 sind am Donnerstagmorgen (1. Oktober 2020) die ersten Bäume gefallen. Die Schutzgemeinschaft Vogelsberg (SGV), die sich um das Grundwasser des Mittelgebirges sorgt, fordert ein Moratorium. Die durchgängige Schneise für die A49 durch den noch gesunden Forst könne zusammen mit den Effekten des Klimawandels dafür sorgen, dass der gesamte Wald mit seinen Feuchtbiotopen verloren geht. Die geplanten naturschutzfachliche Ausgleichsmaßnahmen könnten diese Entwicklung kaum stoppen. Im Laufe der letzten Trockenjahre seien viele Aufforstungen zu großen Teilen den zu trockenen Böden zum Opfer gefallen.Neue Erkenntnisse nicht beachtet
In den bisherigen Verfahren und in der laufenden Diskussion seien wichtige Aspekte von neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen viel zu kurz gekommen, stellt die SGV fest. Das liege auch daran, dass die aktuellen und künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf den Natur- und Wasserhaushalt Mitteleuropas erst seit wenigen Jahren intensiver untersucht werden. „Es wäre daher angemessen über irreversible Baumaßnahmen wie Waldrodungen und ähnliches ein Moratorium zu verhängen. Das Untersagen der entsprechenden Arbeiten sollte solange andauern, bis die noch offenen Fragen, die insbesondere die Störungen des Wasserhaushalts und die Schutzbedürftigkeit des noch intakten Waldökosystems betreffen, geklärt sind“, fordert die Schutzgemeinschaft.
Der Klimawandel habe den natürlichen Wasserhaushalt der Mittelgebirge viel stärker und schneller verändert als noch vor 15 Jahren angenommen wurde. Dies haben gerade im Vogelsberg besonders die letzten drei extrem warmen, trockenen und windreichen Jahre deutlich gezeigt. Aber auch schon davor seien die Tendenzen zu sehr viel trockeneren Bodenverhältnissen und zu einer wesentlich schlechteren Grundwasserneubildung feststellbar. So habe es in Mittelhessen seit 2002 kein ausgesprochenes Nassjahr mehr gegeben, während die schneereichen Winter mit ihrer Schneeschmelze immer öfter ausgefallen seien. Dazu verlängerten sich die Vegetationsperioden, in denen sich kein Grundwasser neu bilden kann, immer mehr. Solche Störungen des Wasserhaushaltes durch Extremwetter dürften, darüber sei sich die Wissenschaft einig, künftig zunehmen.
Komplettverlust des Waldes droht
Diese klimabedingten Verschlechterungen des regionalen Wasserhaushalts müssten gerade den Danneröder Forst umso heftiger treffen, als ihm durch das benachbarte Großwasserwerk Stadtallendorf zusätzlich noch erhebliche Mengen an Grundwasser entzogen werden. Dennoch mache der Laubmischwald, im Gegensatz zu Forsten in anderen Vogelsbergregionen, einen erstaunlich gesunden Eindruck. Zudem fänden sich im Wald selbst am Ende des dritten trockenen Sommers in Folge kleinteilige Feuchtbiotope. Eine wichtige Ursache dafür dürfte der Schutz vor Wasserverlust sein, den die gewachsene Waldstruktur bietet. Denn ein relativ dichter Waldrand und geschlossene Kronenbereiche hielten offensichtlich austrocknende Winde ab, die in den letzten Jahren den benachbarten offenen Böden eine extreme Trockenheit beschert haben. Diese Struktur mit ihrer sommerlichen Beschattung helfe ungemein, ein waldeigenes, feuchteres Mikroklima zu bewahren, das mit geringsten Verdunstungsverlusten die Temperaturen im Wald selbst in den heißesten Perioden im erträglichen Bereich halte.
Doch mit dieser autarken Klimaregulierung könnte im Fall einer durchgängigen Schneisenrodung, die fatale Folgen haben könnte, sehr bald Schluss sein, warnt die SGV. Denn der dann freie Durchstrom von warmen Winden würde nicht nur den unbeschatteten Boden im Trassenbereich bis in größere Tiefen austrocknen, sondern auch die schleichende Austrocknung der Böden und der Vegetation trassenparallel in den tieferen Waldbereichen verursachen. Das Verschwinden der heutigen, waldeigenen Feucht- und Nassbiotope wäre dann vorprogrammiert. Zudem würde sich die Trasse in Hitzeperioden derart aufheizen, dass die nächtliche Kaltluftentstehung, die für die Klimatisierung des gesamten Waldes wichtig ist, komplett entfallen würde. Dies und die Abnahme der Bodenfeuchte würde wiederum die Standfestigkeit der randständigen Bäume reduzieren. Zusammen mit ihrer neuen, ungeschützten Waldrandlage würden all diese Folgen von trockeneren Luft- und Bodenverhältnissen die Anfälligkeit des Waldes für Windwurf erheblich vergrößern. Dass dies eine reale Gefahr ist zeigen ehemals gesunde Laubbäume, die am Rande neuer, trockener Brachflächen stehen: sie lassen schon nach ein bis zwei Jahren Kronenverlichtungen als Vorzeichen des Absterbens erkennen. Dies spricht auch dafür, dass sich die beschriebene negative Entwicklung von der Trasse aus im wahrsten Sinne des Wortes nach und nach durch den gesamten Wald fressen könnte.
Die Ausgleichmaßnahmen helfen nicht
Durch die Effekte des Klimawandels auf den Wasserhaushalt gepaart mit einer neuen, durchgängigen Schneise durch den Danneröder Forst das Risiko des langfristigen Komplettverlustes des heutigen, in sich geschlossenen Bestandes an Bäumen und Feuchtevegetation eingegangen wird. Der bisher in den Verfahren betrachtete Baumverlust lediglich entlang der Trasse selbst wäre als Risikoeinschätzung dann viel zu kurz gegriffen, schätzt die SGV die Folgen ab.
Die Schutzgemeinschaft stellt auch fest, dass die bisher geplanten, naturschutzfachliche Ausgleichsmaßnahmen diese Entwicklung kaum stoppen könnten. Bezweifelt wird auch ein erfolgreicher Ausgleich durch das Aufforsten anderer Flächen. Denn im Laufe der letzten Trockenjahre seien viele bereits getätigte Aufforstungen zu großen Teilen den zu trockenen Böden zum Opfer gefallen, da Jungbäume zwecks Ausbildung von Wurzelwerk auf genügend Bodenwasser angewiesen sind. Auch das als Ausgleich gedachte Anlegen von neuen Feuchtbiotopen scheiterte in den letzten Jahren oftmals am Wassermangel.
Titelbild: Die Bäume für die Schneise der A49 durch den Dannenröder Forst sind weiß markiert. (Fotos: SGV)
Im Herrenwald wird bereits gerodet. Der BUND als eine der Gruppierungen von „Keine A49“ hat für DONNERSTAG, den 22. Oktober 2020 einen offiziellen Trauerzug für die sterbenden Bäume angemeldet. Er startet coronakonform um 9 UHR mit einer Trauerrede in Lehrbach auf der B62, Höhe am „Kirtorferbergsweg“. Zwischen dem Danneröder Wald und dem bereits teilzerstörten Herrenwald führt der Weg auf der B62 nach Niederklein. Dort endet der Trauermarsch gegen 11 Uhr in Höhe der „Allendorfer Straße“. Gerne können die um die Bäume Trauernden in Trauerkleidung, mit Trauerschmuck oder Instrumenten teilnehmen.