Berufsbetreuer

Mehr Zeit nötig

Von Elfriede Maresch

Die Zahl der vom Gericht angeordneten rechtlichen Betreuung steigt. Die Klienten sind meist Menschen mit einem hochen Grad an Hilfsbedürftigkeit: psychisch Kranke, Suchtkranke, Demente…  Landbote-Autorin Elfriede Maresch beschreibt den durchschnittlichen Arbeitstag des rechtlichen Betreuers Eberhard Marten (Foto).  Am Freitag, 14. September 2018, lädt Marten zu einem Tag der offenen Tür in seinem Büro in Ober-Mockstadt.

Nur 3,3 Stunden pro Klient

Jeder Bürger, der fähig sei, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln, könne dies grundsätzlich als Betreuer auch für andere leisten, ohne Fachmann/frau zu sein. Das bringt der Beschluss „Reform des Betreuungsrechts – Strukturelle Änderungen an der Schnittstelle zum Sozialrecht und qualitätsorientierte Anpassung der Vergütung“ auf der 89. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 6. und 7. Juni 2018 zum Ausdruck. Der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen (BdB) weist diese Behauptung in mehreren ausführlichen Stellungnahmen zurück. Begründung: die Zahl der vom Gericht angeordneten rechtlichen Betreuungen steigt, macht inzwischen mehr als 50 Prozent aus, die Klienten sind überwiegend psychisch Kranke, Suchtkranke, an Demenz Erkrankte – kurz, Menschen mit einem hohen Grad an Hilfebedürftigkeit. Der BdB betont, dass sie qualifizierte, professionelle Betreuung brauchen. Ebenso fordert er die Erhöhung der bezahlten Zeit- und Fallpauschalen von bisher 3,3, Stunden pro Klient und Monat auf mindestens 4,1 Stunden, die auch in einer früheren Studie des Bundesjustizministeriums gefordert werden. Hier soll ein durchschnittlicher Arbeitstag des rechtlichen Betreuers Eberhard Marten geschildert werden – immer mit der Frage im Hintergrund, ob das tatsächlich ein engagierter Ehrenamtlicher neben seinen beruflichen und familiären Aufgaben erledigen könnte.

Marten kann gut organisieren

Eberhard Marten ist Diplom-Sozialarbeiter und seit 17 Jahren als selbständiger rechtlicher Betreuer tätig – ein Mann, der gut strukturieren und organisieren kann. Und doch läuft sein durchschnittlicher Arbeitstag selten nach Plan: Täglicher Arbeitsbeginn ist 8 Uhr – aber bereits um 7.15 Uhr klingelt das Telefon. „Den mach ich platt und dann geh ich nie wieder dahin“ – ein Wortschwall sprudelt Marten entgegen. An der Stimme kann der Betreuer zuordnen, dass sein Klient Herr A., ein junger, intelligenzgeminderter Mann mit Persönlichkeitsstörung, völlig außer sich ist. Langsam kommt Marten auch dahinter, dass dieser wohl gestern kurz vor Feierabend einen Streit mit einem Kollegen hatte und die Arbeit hinschmeißen will. Die familiären Beziehungen von A. sind zerrüttet, der junge Mann ist hoch verschuldet, mehrere Inkassoverfahren laufen. Es kostete Marten in der Vergangenheit etliche Gespräche und viel Geduld, bis A. bereit war, zunächst in einer Jugendwerkstatt eine Phase der Berufsfindung zu absolvieren. Von dort kam er auf einen Außenarbeitsplatz, wo er standhielt und tatsächlich von einer Firma übernommen wurde. Die Agentur für Arbeit unterstützt das Arbeitsverhältnis mit einer Minderleistungsabgabe an den Arbeitnehmer. A. hat tatsächlich schon ein halbes Jahr durchgehalten und mit Martens Unterstützung die Bedienung der Kredite begonnen. Mit der klaren Tagesstruktur, die durch die Arbeit vorgegeben ist, scheint der junge Mann letztlich besser klar zu kommen als zuvor. Soll jetzt das alte Chaos wieder anfangen? Marten wirft seinen Vormittagsplan um, fährt zu A. und anschließend in die Firma, kann in einem Gespräch mit dem Vorabeiter und dem Kollegen, mit dem es den Streit gab, für ein wenig Entspannung sorgen. „Hoffentlich hält der Frieden!“ denkt Marten und kehrt in sein Büro zurück.

„Am wichtigsten ist, dass sich zwischen Klient und rechtlichem Betreuer ein Vertrauensbeziehung aufbaut“ meint Eberhard Marten . (Fotos: Maresch)

Dort sind schon drei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter: die Nachbarin einer 82-jährigen macht sich Gedanken. Die gebrechliche Seniorin geht seit Tagen nicht mehr nach draußen, sagt nur noch durch die Tür, es gehe ihr gut, sie brauche nichts. Marten weiß, dass sie sich selbst nicht mehr versorgen kann, aber auch keine familiäre Hilfe hat. Die zweite und dritte Ansage kommen von Herrn X und seinen Vermietern Y. Sie sind zerstritten, Kündigungsdrohungen stehen im Raum. Das Mietverhältnis ist ohnehin fragwürdig: X, 65, ist Diabetiker und herzkrank, mit dem Pflegegrad 3 eingestuft, kommt alleine nicht mehr klar. Aber er klammert sich an seine völlig verwahrloste Wohnung. Das Hauptproblem: er ist alkoholabhängig, war mehrfach erfolglos im Entzug. Die Vermieter versorgen ihn recht und schlecht, auch mit Alkohol, kassieren von seiner 1000 Euro-Rente mehr als die Hälfte, ärgern sich über den Zustand der Wohnung, aber haben zu viele Vorteile aus diesem Mietverhältnis, um ihm tatsächlich zu kündigen. Marten hat wenig Möglichkeiten, dieses konflikthafte und für einen Suchtkranken schädliche Umfeld zu unterbrechen. Aber den Richtern wie den gesetzlichen Betreuern ist durch Gesetz vorgeschrieben, „nach Willen und Wohl des Betreuten“ zu handeln. Marten: „Bewusster Wille und tatsächliches Wohl unserer Klienten stehen sich oft hundertprozentig entgegen. Das macht die Schwierigkeit des Betreuerberufes aus.“

Bei der alten Dame zeichnet sich eine bessere Lösung ab. Auch sie wehrt sich vehement dagegen, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen. Glücklicherweise gehört sie zu einer autoritätshörigen Generation. Als der von Marten herbeigerufene Arzt ihr eindringlich zuredet, ist sie zur Aufnahme im Seniorenheim bereit: „Aber nur für eine Woche…“

Inkassobüros, Behörden, Rentananträge, Jobcenter…

Jetzt macht Marten sich an seine eigentliche Tagesarbeit: das Verhandeln mit Inkassobüros um günstigere Tilgungsmodi, Behördentelefonate wegen Rentenanträgen, Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, Klärung einer Wohnungsauflösung samt Entrümpelung, da ein Betreuter kürzlich in ein Pflegeheim verzogen ist, Beantworten der regelmäßigen Nachfragen des Betreuungsgerichtes, dazwischen ein Anruf eines Klienten, der mitten in einem konfliktreichen Scheidungsverfahren steckt: „Meine Ex will mich ruinieren, so viel kann ich nie im Leben zahlen!“ Marten kann nur auf die Unterhaltsregelung des Familiengerichts verweisen, er verspricht aber dem Klienten, beim Stellen eines Wohngeldantrags für die neue Wohnung behilflich zu – eine kleine finanzielle Erleichterung.

Weiter geht Martens Arbeitsroutine: Telefonat mit einer Krankasse wegen eines Kurantrags, mit dem Vermieter eines Klienten wegen eines Wohnungsschadens – da klingelt wieder das Telefon. Herr Z., schwer depressiv, ist in der Leitung: „Ich kann nicht mehr, ich mache Schluss!“ Der Mann, der schon mehrere Suizidversucher hinter sich hat, spricht mit einer kaum mehr hörbaren Stimme, voller Verzweiflung. Marten fährt, so schnell er kann zur Wohnung des Klienten. Zum Glück öffnet dieser die Tür, aber die Situation ist ernst. Seit Monaten scheinen die verordneten Psychopharmaka nicht mehr zu wirken, dazu kommt eine menschliche Enttäuschung, die er nur schwer verarbeiten kann. Die erwachsene Tochter hat einen erneuten Kontaktversuch ihres Vaters rundweg abgelehnt: „Du hast die Mutter und mich mit deiner Krankheit Jahre lang runtergezogen – ich kann nicht mehr von vorne anfangen. Lass mich in Ruhe!“ Was tun? Marten kann den Kranken zur Aufnahme in die Psychiatrie bewegen, nimmt auch Kontakt mit dem Arzt auf und schildert die aktuelle Verschlechterung des Krankheitsbildes. Aber die medizinische Versorgung ist ja nur ein Teil des Problems. Zum Glück fällt Marten ein, dass noch ein alter Freund des Kranken die Verbindung gehalten hat, unter anderem deshalb, weil sie gemeinsam Schach spielen und der Kranke dabei ein wenig von seiner Situation abgelenkt wird. Er verspricht, den Freund anzurufen und um einen baldigen Krankenbesuch zu bitten. Marten kehrt ins Büro zurück, Briefe sind noch zu schreiben, eine Inkassoabrechnung ist noch zu überprüfen – es wird ein kurzer Feierabend werden!

Unheilbare Einsamkeit

„Nicht immer kann ich alles Wünschenswerte für die Klienten bewirken“ meint Marten realistisch. Immerhin: Herr A. ist immer noch in seinem Job, wenn er auch nach wie vor Kritik, sei sie noch so berechtigt, schwer akzeptieren kann. Dass ein Kredit abgezahlt ist und er mehr Geld zur freien Verfügung hat, hat ihm Auftrieb gegeben. Die alte Dame ist im Altersheim förmlich aufgeblüht. Sie war früher kontaktfreudig und unterhaltsam und hat hier genügend Schwätzchen-Partner für alte Erinnerungen. Marten kann sich um die Antrags- und Behördenangelegenheiten des alkoholkranken Herrn X . kümmern, aber für das Konfliktverhältnis zwischen ihm und den Vermietern Y gibt es keine Lösung – so etwas muss der Betreuer aushalten. Herr Z. ist aus der Psychiatrie entlassen, wieder zu Hause und scheint mit einer neuen Medikamentenkombination etwas besser klar zu kommen. Seine Einsamkeit, seine Depressionen sind unheilbar.

Marten: „Geduld, Beharrlichkeit, Achtsamkeit für die Würde der Klienten sind das A und O in meinem Beruf. Viele meiner Klienten sind durch psychische Erkrankungen, Süchte, zerrüttete soziale Beziehungen verschlossen. Es dauert lang, bis eine Vertrauensbeziehung aufgebaut ist, gemeinsam Lösungen gefunden werden können. Selbst für kleine Änderungen zum Besseren ist die Professionalität des Betreuers, ein gutes Netzwerk mit anderen Hilfsinstitutionen nötig. Ich würde gern die Mitglieder der Justizministerkonferenz zu den Konfliktlagen dieses einen einzigen Tages mitnehmen. Und das soll jeder, jede neben der eigentlichen Berufs- und Familienarbeit leisten können?“

Tag der offenen Tür

„Die Öffentlichkeit sollte unsere Berufsaufgaben und ihre Notwendigkeit besser einschätzen können“ war die Überlegung in der Landesgruppe Hessen des Bundes der Berufsbetreuer (BdB). So lädt auch Eberhard Marten aus dem Vorstand dieser Gruppe zu einem Tag der offenen Tür am Freitag, 14. September 2018, von 10 bis 16 Uhr in sein Büro für rechtliche Betreuungen in Ranstadt-Obermockstadt, Untergasse 3.

Vertreter der Politik, des BdB und relevanter Berufsgruppen werden anwesend sein. Unterstützt wird die Veranstaltung durch die Betreuungsbehörde des Wetteraukreises und die Betreuungsvereine der Caritas, der Diakonie und den Betreuungsverein Friedberg. Vorträge informieren über die Berufsaufgaben: „Betreuung kann jeden treffen – kann auch jeder, jede Betreuung leisten?“ „Unterstützung statt Entmündigung: was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten getan?“ und „Wofür brauche ich Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung?“ Alle Interessierten sind eingeladen.

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