Flüchtlingshilfe

Weniger Ehrenamt, mehr Projekte

Von Klaus Nissen

Nur noch acht bis zehn Asylbewerber kommen derzeit jede Woche in die Wetterau. Die Unterbringung und Betreuung der mehr als 2000 Geflüchteten im Kreis wird ab 2019 neu geregelt, kündigte die Sozialdezernentin Stefanie Becker-Bösch beim Plenum der Wetterauer Flüchtlingshelfer an. Die Unterstützer nannten dabei auch aktuelle Probleme – und Projekte, die die Integration beschleunigen. Es geht vor allem um Jobs für Leute wie Rostam Fazeli, der mit seiner Familie vor dem Terror der Taliban aus Afghanistan nach Wöllstadt floh.

Neues aus der Wetterauer Flüchtlingshilfe

In 250 Wohnungen, Häusern und Heimen haben die Wetterauer Kommunen aktuell die seit 2015 eingereisten Flüchtlinge untergebracht. Bis Jahresende 2018 wird laut der Ersten Kreisbeigeordneten Stefanie Becker-Bösch klar sein, ob und wie der Kreis von den Städten und Gemeinden diese Immobilien übernimmt. Wenn es so kommt, werde auch eine Kostensatzung erstellt, sagte die sozialdemokratische Politikerin im Plenarsaal des Friedberger Kreishauses. So werde es möglich, dass Geflüchtete, die inzwischen arbeiten oder Geld vom Jobcenter bekommen, eine Miete für ihreWohnungen zahlen müssen. Der Kreistag hatte Becker-Bösch diesen Prüfauftrag gegeben. Inzwischen ist die Betreuung der Geflüchteten durch Sozialarbeiter neu vergeben. Den Zuschlag bekam „RegionaleDienstleistungen Wetterau“ (rdw) – ein Betrieb des Friedberger Vereins„Trockendock“. Zum 1. Januar 2019 übernimmt rdw für mindestens zwei Jahre die  Flüchtlingsbetreuung  vom Essener Unternehmen „European Homecare“ in 16 Wetterauer Kommunen. Die jetzigen Sozialarbeiter könnten laut rdw-Manager Stefan Kunz in ihren Funktionen bleiben, wenn sie sich beim neuen Arbeitgeber bewerben. Einige  Kommunen haben eigene Sozialarbeiter für diese Aufgabe: Altenstadt, Florstadt, Gedern, Kefenrod, Rosbach, Ober-Mörlen und Butzbach.

In der Friedberger Ausländerbehörde sollen die Wartezeiten künftig kürzer werden. Foto: Nissen

Die Probleme in der Friedberger Ausländerbehörde haben sich laut Becker-Bösch verringert. Wer früh morgens dort zu seinem Termin erscheint, könne jetzt damit rechnen, dass er nicht am Nachmittag unverrichteter Dinge nach Hause geschickt wird. Allerdings gebe es bei der Terminvergabe noch drei bis vier Monate Wartezeit. Die Ausländerbehörde ist für rund 30000 Wetterauer ohne deutschen Pass zuständig – vom französischen Banker bis zum Kriegsflüchtling aus Afghanistan. Becker-Bösch hospitierte im Oktober 2018 eine Woche lang bei der Ausländerbehörde im früheren Sparkassen-Hochhaus in Friedberg. Sie sagte: „Wir haben da sehr engagierte Mitarbeiter, die gewillt sind, die Ausländerbehörde als Entree des Wetteraukreises zugestalten.“  Die vom Kreistag genehmigten7,5 Planstellen habe sie aber noch nicht einsetzen können, weil es am Büroraum mangele. Becker-Bösch kündigte für die  Wartezone zusätzliche Info-Bildschirme und deutlichere akustische Signale an,  damit die Besucher leichter zu ihren Sachbearbeitern finden. t

Viele Geflüchtete sind traumatisiert

 Beim Plenum sprachen Flüchtlingshelfer Probleme an. Viele ihrer Schützlinge seien traumatisiert nach Deutschland gekommen, würden aber nicht behandelt. Es gebe familiäre Gewalt. Und schwer sei der Einblick in manche Familienstruktur, so Manuel Neumann von Frauen-Arbeit-Bildung: „Oft entscheidet der Dorfälteste in Eritrea, ob ein junger Mann hier den Job annimmt oder nicht.“ Per Smartphone bestimmten die Ältesten auch über Hochzeiten und Scheidungen.

Viele ehrenamtliche Helfer sind frustriert, dass sie immer weniger werden – obwohl die Geflüchteten nach wie vor Hilfe nötig hätten. In Ortenberg sei die Helfergruppe von gut 20 auf etwa fünf Köpfe geschrumpft, so Dagmar Künzel. Die Patenschaft nur für eine Person oder eine Familie sei zum „absoluten Luxus geworden“, meinte Johannes Hartmann von der Wetterauer Flüchtlingshilfe-AG.

Fortschritte machen augenscheinlich Gruppen-Angebote für Zugereiste. In Ortenberg trifft man sich dienstags ab 18 Uhr für zwei Stunden im „Your Place“ gegenüber der Volksbank. Dort lassen sich laut Künzel auch Einheimische helfen, wenn sie Probleme im Umgang mit Behörden haben. In Büdingen organisiert die Ehrenamts-Agentur zahlreiche Treffs und Workshops für Einheimische und Geflüchtete. Die Büdinger Geschichtswerkstatt  veröffentlichte im Dezember 2018 einen Erzählband mit dem Titel „Neue Nachbarn – wie Integration funktionieren kann“.

Gut funktionieren Schwimmkurse

Gut funktionieren nach Auskunft der Praktiker Schwimmkurse für Frauen, Spiele-Nachmittage, Fahrrad-Werkstätten,Baumpflanz-Aktionen und andere gemeinschaftliche Arbeitseinsätze. Die Flüchtlinge selbst müsse man zu Organisatoren dieser Angebote machen, riet Alexandra Böckel von der Gießener Freiwilligenagentur. Die Helfer sollten die Geflüchteten ermuntern, in Vereine und Kurse zu gehen – „damit sie sich der deutschen Sprache aussetzen“. Joachim Gutermuth von der Florstädter Bürgerhilfe wandte ein: „Es gibt auch Jungs, die einfach nicht mitmachen. Die lernen nicht Deutsch und verweigern sich“. Die Konsequenz daraus nannte eine Flüchtlingshelferin aus Bad Nauheim: „Wir müssen uns auf die Menschen konzentrieren, die mitmachen“.

Karin Frech (2. von rechts), die Geschäftsführerin von „Frauen Arbeit Bildung“ stellte im Juli 2018 die Kreativwerkstatt für Geflüchtete an der Büdinger Bahnhofstraße vor. Die bis zu sechsmonatigen Kurse dort und in ähnlichen Einrichtungen seien keine Beschäftigungstherapie, so der Wetterauer Jobcenter-Chef Bernhard Wiedemann (rechts). Man sehe so, was die Geflüchteten gut und weniger gut könne. Das erhöhe die Vermittlungscheancen auf dem Arbeitsmarkt. In der Mitte die SPD.Politikerinnen Lisa Gnadl und Bettina Müller. Foto: muellerbettina.com.

Für diese Leute gibt es Angebote. Der kreiseigene „Integrationpoint Wetterau“ organisiert 2019 zum Beispiel sechs Deutschkurse für Frauen mit Kindern. Auch Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus können da vier Monate lang vormittags die Sprache lernen. Drei dieser Kurse sollen in Büdingen stattfinden. Neu ist auch das Programm „Wetterauer Wege in die Sozialwirtschaft“. Mit staatlichen Zuschüssen „coachen“ Experten von rdw und Frauen-Arbeit-Bildung ab 2019 zunächst 32 Geflüchtete. Sie bekommen fünf Monate lang Sprachunterricht und Praktika mit dem Ziel, Arbeit in gefragten Berufen wie Alten- und Kinderbetreuung, in Großküchen, Reinigungsdiensten oder beiHandwerkern zu finden. Der Etat reicht für 130 Betreuungen. Voraussetzung ist,dass die Teilnehmer mindestens das Sprachniveau B1 nachweisen können.

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