Wolfgang borchert

Zum 100.

Von Corinna Willführ

Er gilt als Stimme der Generation, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von den Nazis noch von der Schulbank in den Krieg geschickt wurde. Wolfgang Borchert wurde zum überzeugten Pazifisten, dessen Mahnung „Da gibt es nur eins: Sag Nein“ zum Standardtext zahlloser Friedenskundgebungen wurde. Am 20. Mai 2021 wäre Borchert 100 Jahre alt geworden. Landbote-Autorin Corinna Willführ erinnert an den Schriftsteller:
Wolfgang_Borchert, 1941. (Foto: Wikipedia/Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky – httpsgalerie.sub.uni-hamburg.deitemsshow306, CC BY-SA 4.0, httpscommons.wikimedia.orgwin)

Abitur 1976. Für die mündliche Deutsch-Prüfung muss ein Schriftsteller angegeben werden. Die Wahl fällt sofort auf Wolfgang Borchert. Doch der Deutschlehrer lehnt ab. „Den haben Sie wohl ausgesucht, damit Sie nicht viel lesen müssen.“ Das Werk des Autors umfasse schließlich „nur“ ein Theaterstück, einige Kurzgeschichten und Gedichte und sei damit als Thema für eine Reifeprüfung nicht geeignet. Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ über den Kriegsheimkehrer Beckmann gilt als eines der wichtigsten Nachkriegsdramen und wurde in 40 Sprachen übersetzt. Seine Erzählungen „Das Brot“, „Nachts schlafen die Ratten doch“ oder „Hundeblume“ brachten ihm den Titel „Neubegründer der deutschen Kurzgeschichte“ ein. Sein Manifest „Dann gibt es nur eins: Sag Nein“ ist unverändert aktuell. Wolfgang Borchert starb am 20. November 1947 im Alter von 26 Jahren. Am 20. Mai 2021 wäre er 100 Jahre alt geworden.

Das Drama eines einzigen Abends

„Hier kommt ein Mann nach Deutschland“: Er ist abgemagert, trägt einen abgerissenen Soldatenmantel, er hinkt, seine Augen stecken hinter einer grotesken Gasmaskenbrille. Der Mann heißt Beckmann, hat keinen Vornamen, ist einfach nur Beckmann. Er war lange von Zuhause fort, tausend Tage in Gefangenschaft. Wolfgang Borchert siedelt sein Drama „Draußen vor der Tür“ an einem einzigen Abend an, drei Jahre nach der Schlacht von Stalingrad. Sein Protagonist ist des Lebens müde, versucht sich in der Elbe zu ertränken. Doch es ist noch nicht Zeit für seinen Tod. Er kehrt zu seiner Frau heim, doch die hat einen anderen. Er trifft auf den Oberst, dem ihm einst das Kommando über elf Soldaten übertrug, von denen keiner überlebt hat. Beckmann will ihm die Verantwortung zurückgeben und erntet Spott. Er spricht um eine Anstellung bei einem Kabarettdirektor vor. Doch wer will schon eine so traurige Gestalt auf der Bühne sehen. Eine junge Frau erbarmt sich seiner, gibt ihm Obdach und einen Mantel. Ein Augenblick der Hoffnung: Bis der Einbeinige vor ihm steht, ein Kriegsheimkehrer, einer wie er, der Mantel, Heim und Frau zurückfordert.

Wolfgang Borchert, Jahrgang 1921, fügte seinem Stück „Draußen vor der Tür“, das er schon schwer erkrankt in wenigen Tagen 1947 schrieb, den Untertitel „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ hinzu. Er irrte. Bis heute gab es allein auf deutschen Bühnen mehr als 200 Inszenierungen des Werks, das als eines der wichtigsten Nachkriegsdramen gilt. Noch bevor es auf die Bühne kam, hatte es im Februar 1947 als Hörspiel mit Hans Quest in der Sprechrolle des Beckmann eine ungeheure Resonanz. Tausende Briefe trafen nach der Erstausstrahlung beim Nordwestdeutschen Rundfunk (Vorgänger des NDR) ein. Während die einen – die Mehrzahl – von der „Wahrheit“ des Stücks überwältigt waren, lehnten andere es als „blasphemisch“ ab. Eine „Zweiteilung“, die auch in späteren Jahrzehnten die Rezensenten des Buchs und der Theaterinszenierungen beschäftigte. Uraufgeführt wurde „Draußen vor der Tür am 21. November 1947 in den Hamburger Kammerspielen. Borchert hat sie nicht mehr erlebt. Er war einen Tag zuvor im Spital St. Clara in Basel an einer unheilbaren Lebererkrankung gestorben.

Als 20-Jähriger an der Ostfront

Als „Stimme einer ganzen Generation“ wird Wolfgang Borchert gerne bezeichnet. Der Generation der zu Kriegsende Mitte 20-jährigen, die oft von der Schulbank an die Front geschickt worden und, so sie denn überhaupt überlebt hatten, an Körper, Geist und Seele versehrt zurückgekehrt waren. In eine Welt, der sie sich entfremdet hatten und die sich von ihnen entfremdet hatte. Wolfgang Borchert wusste, wovon er schrieb.

Als Sohn eines Lehrers und einer Schauspielerin wächst er als Einzelkind im Hamburger Stadtteil Eppendorf. Er geht aufs Gymnasium, verlässt dieses jedoch ohne Abitur und beginnt auf Drängen des Vaters eine Lehre als Buchhändler. Nach dem Besuch einer „Hamlet“-Aufführung steht für ihn fest: Er will Schauspieler werden. Er schließt die Schule ohne Abitur ab, macht auf Drängen des Vaters eine Buchhändler-Lehre und geht dann doch die Schauspielprüfung an der Landesbühne Osthannover. 1941 wird er eingezogen, kommt als 20-Jähriger an die Ostfront, wo er Wehrmachts-Unteroffizier in der Nähe von Kaliningrad wird. Von einem Schuss an der Hand verletzt, kommt er ins Lazarett. Dort wird ihm unterstellt, sich die Verwundung selbst beigebracht zu haben. Er wird wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt, kann der Todesstrafe entgehen und kommt erneut an die Front. Im Frühjahr 1945 wird er von französischen Truppen in der Nähe von Frankfurt in Haft genommen. Borchert gelingt die Flucht und er kann sich in seine Heimatstadt Hamburg durchschlagen.

„Hundeblume“, die Erzählung von hundert Tagen in Einzelhaft; „Nachts schlafen die Ratten doch“, die Geschichte des kleinen Buben, der auf seinen Bruder aufpasst, der getötet unter Trümmern liegt, „Das Brot“, der Text von der Frau und dem Mann, die sich die Wahrheit über den Mangel aus Rücksicht nicht eingestehen, begründen in der Literaturgeschichte seine Bedeutung als „Neubegründer der deutschen Kurzgeschichte.“ Wenige Wochen vor seinem Tod verfasst Wolfgang Borchert sein Manifest „Da gibt es nur eins: Sag Nein“. Ob Dichter in der Stube, Forscher im Laboratorium, Richter im Talar: An sie alle appelliert der „tragische Held der Trümmerliteratur“ sich gegen Krieg zu stellen – nicht zuletzt richtet er seine Aufforderung „an die Mütter der ganzen Welt“. Ein Auszug aus dem Manifest ist auf einer Tafel im Hamburger Stadtteil Eppendorf zu lesen, Wolfgang Borcherts letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof in seiner Heimatstadt.

Titelbild: Plakat der Uraufführung von „Draußen vor der Tür“ in Hamburg.

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