Was tun mit alten Windmasten?
Von Klaus Nissen
Zwanzig Jahre lang gibt es einen festen Strompreis für jede Kilowattstunde eines Windrades oder einer Photovoltaikanlage. So will es das im Jahr 2020 beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Für die ältesten Rotoren endet diese Zeit in acht Monaten. Was dann? Was passiert mit den Masten? Sind die Betreiber in den letzten 20 Jahren zu Millionären geworden? Diethardt Stamm von der Betzenröder Windenergie GbRmbH gibt Rechenschaft – und erläutert seine Pläne.Verschrotten ist nicht die einzige Lösung
Schon seit 1998 ragen drei technische Altertümer bei Schotten-Betzenrod in den Vogelsberger Himmel. Sobald ein Lüftchen schneller als drei Kilometer in der Stunde weht, setzen sich die betagten Rotoren in Gang. Sie rauschen nicht besonders laut. Wenn sich die Windrichtung ein wenig ändert, hört man ein Ächzen. Diethardt Stamm kennt die Ursache: „Das ist der Zahnkranz, wenn sich die schwere Gondel in den Wind dreht.“ Kein Geräusch, das den pensionierten Lehrer und Geschäftsführer der Betzenröder Windenergie beunruhigen muss.
Ihn plagen andere Sorgen. Zum Jahresende, also in acht Monaten, endet die garantierte Einspeisevergütung für den Ökostrom aus den alten Windmasten. Stamm und seine 62 Teilhaber besitzen zwei der drei alten Anlagen auf der 460 Meter hoch liegenden Wiese nördlich von Betzenrod. Zwanzig Jahre bekamen sie 9,3 Cent für jede Kilowattstunde. Ab 1. Januar ist höchstens der Marktpreis drin, also drei bis fünf Cent. Die Betriebskosten für Wartung und Reparaturen liegen aber bei vier Cent je Kilowattstunde. Stamm legt seine Stirn in Falten. „Das heißt: Die beiden Rotoren weiter laufen zu lassen, rechnet sich nicht. Wenn sich nichts tut, dann lassen wir sie im Januar noch ein paar Wochen drehen – und dann ist Schluß!“ Ein ähnliches Schicksal wird laut Stamm immer mehr Windmasten drohen, die nach 20 Betriebsjahren aus der EEG-Förderung fallen. „Jetzt ist die Windkraft bald am A…“, klagt der frühere Vize-Direktor der Technikerschule in Butzbach. Der Staat mache sie unrentabel. Im vorigen Jahr seien nur noch drei neue Anlagen in Hessen gebaut worden.
Der Wind flaute ab und stahl die Rendite
Sind die Betreiber nach 20 Jahren denn wenigstens reich geworden? Diethardt Stamm schüttelt den Kopf. „ Am Anfang hab ich gedacht, es gibt eine gute Rendite.“ Die Werte des schon 1994 errichteten ersten Rotors einer anderen Firma bei Betzenrod beflügelten Hoffnungen auf eine hohe Windausbeute. Doch ab dem Jahr 2000 flauten die Winde über diesem Standort ab. Die beiden neueren Anlagen produzierten etwa zehn Prozent weniger Strom als sie sollten. Vielleicht liegt es am Klimawandel.
Die Millionen für den Bau des 800-Kilowatt-Fuhrländer-Generators und der 1,1 Megawatt starken Enercon-Gondel steuerten die aus Wetterau und Vogelsberg stammenden Teilhaber zu zehn Prozent aus ihren Privatvermögen bei. Die restlichen 90 Prozent liehen sie von der Sparkasse. Die beiden Rotoren liefern pro Jahr zusammen etwa 1,5 Millionen Kilowattstunden Strom, rechnet Diethardt Stamm vor. Das bringt knapp 140 000 Euro in die Firmenkasse. Davon bezahlte man die Getriebe-Erneuerungen, reguläre Wartungen und die Schäden aus Blitzeinschlägen. Ein Blitz habe den Rechner der Fuhrländer-Anlage komplett zerlegt, erinnert sich Stamm. Die restlichen Einnahmen gingen für Zins und Tilgung des Sparkassen-Darlehens drauf. Erst 2015 war es abbezahlt. Seitdem arbeiten die Rotoren die Einlagen der Teilhaber ab. Die bekommen wohl bis Jahresende ihr Geld zurück, schätzt Stamm. Falls die Masten dann zerlegt werden müssten, werde der Erlös aus dem Verkauf des Stahlschrotts die Kosten des Rückbaus abdecken – und das wäre es dann. „Wir haben zwar nichts verdient, aber für die Ökologie hat es sich gelohnt“, findet der Geschäftsführer. Die beiden Anlagen produzierten in 20 Jahren gut 30 Millionen Kilowattstunden Ökostrom. „Es macht eigentlich keinen Sinn, jetzt etwas abzuschalten, das noch funktioniert.“ Es müsse eine Alternative zur Verschrottung geben.
An manchen Standorten kann man alte Windmasten durch effektivere Anlagen ersetzen. Doch in Betzenrod scheitert das „Repowern“ an der Nähe zu den Wohnhäusern von Betzenrod. Der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ließ sich laut Stamm nicht erweichen, den vorgeschriebenen Tausend-Meter-Abstand an dieser Stelle leicht zu unterschreiten. Obwohl es im Dorf keinerlei Beschwerden über die Windanlagen gebe.
Nicht viel realistischer als das Repowern schätzt Stamm die Chance auf höhere Strompreise durch die geplante Co2-Steuer ein. Die könnte den Ökostrom aus alten Windanlagen wieder rentabel machen, wenn die künftige Kohlendioxid-Steuer nicht zehn, sondern 25 Euro pro Tonne abschöpft. Doch Stamm kann sich nicht darauf verlassen.
Die Mühle kann Wasserstoff für Lastwagen produzieren
Die dritte Zukunftsvision für seine Masten verfolgt Stamm umso energischer. Er will mit ihnen Wasserstoff produzieren. Als staatlich gefördertes Pilotprojekt für eine klimaneutrale Stromproduktion könnte die Anlage bei Betzenrod gut 70 Prozent der Bau- und Betriebskosten aus Forschungsmitteln abdecken. Die auf dem Feld der Öko-Energien forschende Technische Hochschule Mittelhessen sei sehr interessiert, sagt Stamm. Konkret würden ein oder zwei Stahlcontainer an den Fuß der Masten gestellt. Darin stecken Elektrolyseure – Maschinen, die mit dem Windstrom gewöhnliches Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Der energiereiche Wasserstoff soll auf 300 bar verdichtet in Druckbehälter fließen, die anschließend mit Lastwagen nach Fulda gebracht werden. Dort wolle ein Investor eine Wasserstoff-Tankstelle für moderne Lastwagen bauen, berichtet Stamm. Möglich wäre auch, mit dem Wasserstoff von Betzenrod die neuen Brennstoffzellen-Züge zu betanken. Sie verkehren künftig auf der Taunusbahn zwischen Friedrichsdorf und Grävenwiesbach und vielleicht auch zwischen Friedrichsdorf und Friedberg.
Bald wird sich zeigen, ob bei Betzenrod wirklich die erste von vielen kleinen Wasserstoff-Fabriken unter den alten Rotoren entsteht. Die Technik selbst sei in größerem Maßstab schon erprobt, so Stamm. Zum Beispiel am Südrand von Mainz, wo ein großer Elektrolyseur seit Jahren mit überschüssigem und deshalb sehr billigem Windstrom Wasserstoff produziert und in die Gasleitung speist. Weil die meisten Windräder aber fernab vom Gasnetz stehen, hält Diethardt Stamm die Wasserstoff-Abfüllung in transportierbare Druckbehälter für die beste Lösung. „Die Stromleitung zur Ovag könnten wir dann kappen.“