Künstler-Historie wird aufgearbeitet
von Jörg-Peter Schmidt
Bereits seit 1965 schmückt ein Relief, das von Walter Kröll (1911 – 1976) stammt, die Limesschule in Watzenborn-Steinberg. Symbolisch stellt es Merkmale des Unterrichts dar: beispielsweise Sport, Spiel und Musik. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand dieses Werk nie. Das hat sich in jüngster Zeit geändert, seitdem bekannt geworden ist, dass die Nationalsozialisten Krölls künstlerische Arbeit förderten.Es sieht so aus, dass die Historie des Oberhessen über Jahrzehnte nicht ans Licht gelangte. In früheren Katalogen der 1960er Jahre, in denen hervorragende Arbeiten Krölls abgebildet sind, wird zum Lebenslauf des einzigen Lehrbeauftragten für Malerei und Graphik an der Gießener Justus-Liebig-Universität (seit 1951) zwar erwähnt, dass er seit 1938 „erste öffentliche Wandbildaufträge“ erhielt, aber nicht, für wen diese Arbeiten entstanden.
Kröll malte Hitler idealisierend
Diese leeren Felder konnte jetzt unter anderem der Historiker Jörg-Peter Jatho füllen: 1940 malte Kröll den „Führer“, was den Nationalsozialisten so gut gefiel, dass das Adolf Hitler idealisierende Porträt in der Gießener Uni-Aula einen Platz fand.
Schule-Relief soll erhalten bleiben
Wie soll jetzt mit Walter Kröll und seinem Relief in der Limesschule umgegangen werden? Damit beschäftigte sich im Juli 2021 der Kreistag des Landkreises Gießen. Er votierte dafür, das Symbolbild in der Limesschule, die umgebaut und modernisiert wird, zu erhalten, allerdings die Möglichkeiten der Aufarbeitung der Vergangenheit des Künstlers zu prüfen. Kürzlich lud der Kreistag in die Limesschule zum öffentlichen Austausch ein. Moderiert wurde die Diskussion, die auf dem Hof der Schule direkt vor dem Relief stattfand, von dem ersten Kreisbeigeordneten und Schuldezernenten Christopher Lipp (CDU).
Auch wissenschaftliche Aufarbeitung
Zugegen waren auch Prof. Dr. Sigrid Ruby und Annabel Ruckdeschel vom Institut für Kunstgeschichte der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen. Sie beschäftigen sich Walter Kröll und seinem Werk. Prof. Ruby und später im Laufe der Diskussion Annabel Ruckdeschel fassten ihre bisherigen Ergebnisse zusammen: Kröll sei ein exemplarischer Fall eines Künstlers, dessen Laufbahn über politische Brüche hinweg geht; der nachweislich in nationalsozialistischer Zeit das Regime mit seiner Arbeit unterstützte und anschließend, in der Bundesreplik, weiterhin als Künstler aktiv, nachgefragt und anerkannt gewesen sei,
Ruby unterstrich: „Bei der wissenschaftlichen Erschließung des gesamten Feldes und Walter Krölls Arbeit/en kann es im Besonderen nicht darum gehen, ob es sich hier an der Limesschule um ‚gute Kunst‘ handelt. Vielmehr ist dieses Relief der – aus unserer Warte willkommene – Anlass, sich mit Künstlerkarrieren wie der von Kröll einmal wieder intensiver zu beschäftigen, auch um aus diesem Wissen heraus einen ‚guten‘ Umgang mit dem Kunstwerk zu ermöglichen. Mit der politischen Entscheidung, das Relief hier erst einmal zu erhalten, scheint bereits ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan.“
Seminarprojekt geplant
Das Institut für Kunstgeschichte möchte im Sommer 2022 ein Seminarprojekt veranstalten, das Kröll und andere mittelhessische Künstler, deren Karrieren über die NS-Zeit hinaus in der Bundesrepublik, evtl. auch in der DDR, weitergeführt wurden, thematisiert. Dabei könne man auch mit Künstlern, die 1943 im oberhessischen Künstlerverband zusammenkamen, aber auch jemanden wie Wilhelm Heidwolf Arnold und Ernst Eimer, die ja schon relativ gut aufgearbeitet sind, beschäftigen.
Viele Stimmen werden gehört
Prof. Dr. Sigrid Ruby und Annabel Ruckdeschel schlagen unter anderem die Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern sowie mit Schülerinnen und Schülern sowohl der Limes-Grundschule (die Leiterin der Schule, Katharina Hilberg, war bei dem Gespräch zugegen) als auch der benachbarten Adolf-Reichwein-Gesamtschule (etwa im Geschichts- und Kunstunterricht), möglicherweise unter Hinzuziehung von Expertise aus dem Institut für Kunstpädagogik an der JLU, vor. Die bei dem Gedankenaustausch Anwesenden, darunter zahlreiche Politikerinnen und Politiker des Kreises Gießen, waren sich einig, dass an der Aufarbeitung dieses sensiblen Themas viele Menschen und Institutionen mit- und zusammenarbeiten sollten. Dazu gehört beispielsweise auch die Stadt Pohlheim, worauf unter anderem die Stadtverordnetenvorsteherin in Pohlheim, Hiltrud Hofmann, Grüne) ,aufmerksam machte,
Vorurteilsfrei recherchieren
Auch weitere Anwesende sprachen sich dafür aus, dass vorurteilsfrei die Vergangenheit Krölls und der Umgang mit seinem Werk aufgearbeitet wird, ohne die Vergangenheit des Künstlers zu beschönigen. Für eine solche neutrale Aufarbeitung sind auch Harald Scherer (FDP), die früherer Leiterin der Kreisvolkshochschule, Dr. Marieanne Ebsen-Lenz und Annelie Müller, frühere FDP-Stadtverordnete in Pohlheim und einstige Referendarin an der Limesschule. In die künftigen Gespräche dürfte auch der Denkmalsbeirats einbezogen werden, dessen Vorsitzende Susanne Gerschlauer (Grüne) bei dem Termin in der Limesschule ebenfalls anwesend war.
Kröll hatte offenbar geschwiegen
Viele Fachleute werden bei der künftigen Aufarbeitung mitwirken, darunter Dieter Hoffmeister, 1. Vorsitzender des Oberhessischen Künstlerbundes (OKB) und der Historiker Jörg-Peter Jatho. Hoffmeister hat, wie er berichtete, bei Walter Kröll Kunstkurse bezogen. Von der Vergangenheit des Künstlers während des Nationalsozialismus habe Hoffmeister nichts gewusst und auch von Kröll darüber nichts erfahren. Auch Hoffmeister berichtete von den Aktivitäten des Malers im sogenannten „Dritten Reich“.
Aufarbeitung wird gründlich erfolgen
Daran knüpfte Jörg-Peter Jatho an, der bereits in einem Leserbrief die Vergangenheit Krölls geschildert hatte: 1940 präsentierte Kröll ein großes Ölbild “Fahnenträger” auf der Gaukulturausstellung im Frankfurter Städel. Er sei auch auf den folgenden unter dem Präsidium von Gauleiter Jakob Sprenger stattfindenden Gauausstellungen mit Werken vertreten gewesen, 1942 mit “Soldatenköpfen”, 1943 mit einem “tüchtigen, zeitnahen Doppelporträt … in dem frischen, helltonigen Aquarell Kameraden”. Die Beteiligten werden, so kam man überein, in aller Ruhe und sehr gründlich die Aufarbeitung des nicht einfachen Themas bewerkstelligen. Weitere Mitwirkende daran sind herzlich willkommen.
Kommentar von Jörg-Peter Schmidt:
Es ist völlig richtig, dass die weiteren Recherchen zur Vergangenheit Walter Krölls und dessen künstlerischer Arbeit nicht im Eilverfahren erfolgen, sondern völlig neutral mit fundierten Recherchen – keine einfache Aufgabe. Ein schaler Nachgeschmack wird bleiben, egal, was die Recherchen ergeben: Es scheint so, dass es sich bei dem Thema „Walter Kröll“ um eine typische Zeiterscheiung der 1950er und anfänglichen 1960er Jahre handelt: Über die Vergangenheit während der dunklen Jahre vieler bekannter Persönlichkeiten wurde geschwiegen und die Betroffenen selbst offenbarten sich nicht.
Und dass wohl jetzt erst öffentlich daran erinnert wurde, dass zum künstlerischen Werk Krölls auch ein Gemälde in der Gießener Uni-Aula hing, das Adolf Hitler verherrlichte, ist beschämend. Dabei stellt sich die Frage: Hat davon niemand in den 1950er und 1960er Jahren gewusst?
Aber noch steht die Aufarbeitungsarbeit zum Thema Walter Kröll am Anfang. Erst wenn diese beendet ist, wird sich ein völlig neutrales Bild ergeben.
Titelbild: Das Relief in der Limesschule.