Geschichte über Schein und Sein
Das Büdinger Theater Mimikri inszeniert nach vier Produktionen von Märchen der Brüder Grimm nun erstmals ein Dichtermärchen von Hans Christian Andersen. Die Wahl fiel auf „Des Kaisers neue Kleider“, eine märchenhafte Geschichte über Schein und Sein, Wahrheit und Betrug, deren Doppeldeutigkeit aktueller ist denn je.
Bekenntnis zu Freiheit und Gleichheit
Für der Theater Mimikri ist das Wesen des Märchens immer ein Bekenntnis zur Freiheit und Gleichheit aller Menschen, ein Transportmittel der Hoffnung. Mimikri bedeutet die Kunst der Verwandlung, um zu überleben. Nicht nur die darstellerischen Mittel vom fliegenden Kostüm- und Maskenwechsel, wandelbarem Bühnenbild und Schauspiel lösen den Anspruch des Begriffs „mimikri“ ein. Die Geschichte selbst, Andersens berühmte satirische Parabel, wird verwandelt.
Das Theater Mimikri hinterfragt und begründet die Verhaltensweisen jeder Person des Märchens. Der prahlerische Kaiser entpuppt sich als ein einsames unsicheres Kaiserchen. Auf einem winzigen Klavier spielend, gesteht er sich: „Nur, wenn mich neue Kleider zieren, traue ich mich zu regieren.“ An Stelle der „Betrüger“ setzt Mimikri einen Weber und eine Schneiderin, beide um ihren Lohn geprellt, da die Kleiderkasse des Kaisers leer ist. Fantasie und Witz als soziale Notwehr: In großartiger Verwandlungskunst treten sie als Modemagier aus fernen Landen auf und verkaufen dem Kaiser ihr unsichtbares Handwerk. Den Lohn dafür verlangen sie dieses Mal im Voraus. Gerne fiebern die Kinder mit Schneiderin Elsa und Weber Walter und wünschen, dass die List gelingt. Sie applaudieren aber auch dem unsicheren Kaiser und dem verzweifelten Finanzminister, der in einem tragikomischen Lied verzweifelt seine Lage darstellt. Große Sympathie bekommt die besorgte Zeremonienmeisterin, die sich auch nicht an die Wahrheit herantraut. Die witzigen Palastdiener werden nicht um ihre Meinung gefragt. Doch dem Kaiser zu Diensten zu sein, ist schwer und komisch genug, um immer wieder für kleine Lachsalven im Publikum zu sorgen.
Wahrheit und Gerechtigkeit siegen
Die Inszenierung nimmt in kindgerechter Weise die Konflikte jeder Person sehr ernst. Regisseurin Margret Fehrer und die Schauspielerinnen Christiane Burkard und Lilli Schwethelm haben sich bei der inhaltlichen Entwicklung des Stückes viele Fragen gestellt. Wer etwa bleibt bei der Wahrheit, wenn existenzielle Nachteile die Folge sind? Aber: Es wäre kein Märchen, wenn nicht Wahrheit und Gerechtigkeit siegen würden.
Und so singen Schneiderin, Weber, Kaiser und Finanzminister am Ende sich und dem Publikum die Moral von der Geschicht: „Schenkt Lügen keinen Glauben, traut euren eigenen Augen. / Auch wenn wir dann was wagen, wenn wir laut die Wahrheit sagen.“
Viele aktuelle Aspekte sind in diesem Bühnenmärchen zu finden: gieriger Textil- und Modewahnsinn, der nicht nach gerechten Löhnen der Arbeitenden fragt, innere Armut der Reichen, die zur Sucht nach Äußerlichkeiten führt…
Theater Mimikri drängt diese Aspekte dem Publikum nicht plakativ auf. Denn märchenhaft soll es sein! Und deshalb glitzert und funkelt es auf der Bühne, ist spannend, witzig, ernst und fröhlich. Es wird musiziert, geträumt, geweint und gelacht. Dafür sorgen Margret Fehrer, Christiane Burkard und Lilli Schwethelm gemeinsam mit den Schauspielern Daniel Wangler und Stefan Georg, die seit vielen Jahren zum Stammensemble gehören. das Kreativteam dieser erfolgreichen Produktion ist noch größer: Grafikerin Chris Wigge, Künstler Axel Gallun, Musiker Tom Woitscheck, die Kostümwerkstatt Offenbach und die Theaterpädagoginnen und Performerinnen Julia Fußhoeller und Gwendolin Stisser machen mit.
Theater Mimikri ist ein mobiles, freies und professionelles Theater, 1982 gegründet, im Jahr 2000 mit dem Wetterauer Kulturpreis und 2009 mit dem Kinde-und Jugendtheaterpreis der Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (Inthega) ausgezeichnet. 21.000 kleine und große Zuschauer hat das Ensemble im vergangenen Jahr bundesweit und im deutschsprachigen Ausland erreicht.Die Reise geht weiter!