Textilhandel

Traudel Ruths lernt Krisen trotzen

Von Jutta Himmighofen-Strack

Seit 55 Jahren arbeitet Traudel Ruths im Textilhandel. Mit ihrem Modehaus in Friedberg hat sie so mancher Krise getrotzt und ist zuversichtlich, auch die Corona-Pandemie zu überstehen.

Am 1. April 2021 beging Traudel Ruths ihr Dienstjubiläum – 55 Jahre in einem Modehaus zu arbeiten, ist heute eher selten geworden. Ihre Geschichte zeigt, was sich in dieser langen Zeit für sie persönlich, im Textilhandel, aber auch in Friedberg verändert hat.

Die Leidenschaft des Präsentierens

1966: Traudel Bastiné, gerade 15 Jahre alt geworden, behütet aufgewachsen in Ockstadt, steht vor der Entscheidung, ob sie eine Lehre im Büro oder Verkauf machen will. „Ich hatte keine konkrete Vorstellung, wir waren ja damals nicht so wie die Jugend heute, eher noch sehr kindlich“, erzählt sie. Also ging es mit Oma an der Hand ins Friedberger Modehaus Ruths, das gerade einen Umbau hinter sich hatte und im neuen Glanz erstrahlte. Nach einem kurzen Vorstellungsgespräch hatte sie den Ausbildungsvertrag für drei Jahre in der Tasche.

Traudel Ruths arbeitet seit 55 Jahren im Friedberger Textilhandel.

Am 1. April ging es los und sie merkte sehr schnell, das ist ihr Ding. Nicht nur der Verkauf, sondern vielmehr die Präsentation der Produkte. „Damals legte man keinen Wert darauf, alles wurde einfach gestapelt, erinnert sich Traudel Ruths. Den Begriff POS (Point of Sale) kannte noch niemand. Doch bei einem Besuch in einem großen Modehaus in Bern gingen ihr die Augen auf. „Ich war fasziniert, wie hier die Textilien präsentiert wurden und zögerte nicht lange, das auch in Friedberg umzusetzen: “Ware nach Farben, Mustern oder nach Themen zu sortieren, statt zu stapeln, zu fächern, das gab es so in Friedbergs Modehäusern noch nicht. „Ich war ja noch „Lehrmädche“, so hieß das früher, aber man ließ mich einfach machen“, wundert sich heute noch die Seniorchefin.

Diese Leidenschaft des Präsentierens hat Traudel Ruths nie verloren. Diese nicht und nicht die Freude daran neue Ware einzukaufen. Früher gemeinsam mit ihrem 2010 verstorbenen Mann Wilfried, heute mit ihren Söhnen Jochen und Roman. „Wir sind immer als Ruths-Familie unterwegs, dazu gehört auch meine ehemalige Schwiegertochter Verena Steinhauer und Mitarbeiter der jeweiligen Abteilungen“. „So unterschiedlich wir alle sind, beim Einkauf der neuen Saisonware ticken wir erstaunlich gleich. Letztlich geht es nicht um unseren individuellen Geschmack, sondern um den unserer Kunden. Da lässt man sich schon mal gerne überzeugen, wenn die Farbe so überhaupt nicht dem eigenen Geschmack entspricht“, sagt Traudel Ruths.

Es gab immer mal wieder schwierige Zeiten

Zurück zu ihren Anfangstagen im Modehaus: Beim Vorstellungsgespräch punktete sie gleich zwei Mal. Beim Seniorchef Peter Ruths und bei seinem Sohn Wilfried. „Da war sofort eine große Sympathie zwischen uns und im Laufe der Zeit wurde mehr daraus. Fünf Jahre nach dem Eintritt ins Modehaus Ruths wurde geheiratet und der Einzug in die Familie vollzogen.

In den vergangenen 55 Jahren gab es keine Woche, in der Traudel Ruths nicht in ihrem Haus auf der Kaiserstraße und später auch in der Filiale in Bad Nauheim war. Auch die Geburten ihrer Söhne 1972 und 1975 konnten daran nichts ändern. „Da hatte ich auch einen fortschrittlichen Mann, der wollte, dass ich nicht zu sehr aus dem Alltagsgeschäft rauskomme. Und wir hatten ja auch die Familie als Unterstützung“. Seit 1966 hat sich die Mitarbeiterzahl verdoppelt, die Fläche hat sich deutlich vergrößert, mehrere große Umbauten wurden gestemmt und mit Roman, Jochen, Peter und Eike Ruths führt die nächste Generation das Unternehmen.

Heute erlebt Traudel Ruths, die immer noch täglich im Geschäft steht, eine Krise, die mit keiner der vorangegangenen vergleichbar ist: die Pandemie. „Wir hatten immer mal schwierige Zeiten. Die Konkurrenz war damals groß in Friedberg, renommierte große Häuser wie Nobel und Speh in 1- A Lagen forderten uns immer wieder aufs Neue heraus. Hier unseren Platz zu finden, stets einen Schritt voraus zu sein, das kostete schon viel Kraft. Es war damals sehr schwierig für uns, neue Wunsch-Lieferanten zu finden. Entweder weil sie schon auf der Kaiserstraße vertreten waren oder weil Lieferanten uns nicht beliefern wollten. Da gab es schon teilweise eine große Arroganz in den boomenden Jahren im Handel. Das bedeutete, immer wieder einstecken, besser sein, weitermachen. Doch genau damit haben wir uns auch ein gutes Fundament geschaffen. So schlimm Corona gerade für den Handel ist und natürlich auch für uns, Existenzängste habe ich keine. Wir sind gut aufgestellt, haben viele treue Kunden, sehr gute Mitarbeiter und wir haben über die vielen Jahre gelernt: als Familie sind wir stark.“

Das sei keine Selbstverständlichkeit. Sie habe immer wieder erleben müssen, wie sich im Kollegenkreis familiengeführte Unternehmen zerstritten haben. „Ein Familienunternehmen zu führen, ist eine große Herausforderung“, weiß Traudl Ruths. Es brauche viel Toleranz, die Einsicht die unterschiedlichen Stärken zu sehen und zu schätzen. Das sei nicht immer einfach, aber immer lohnenswert. Ihr größter Wunsch ist deshalb, dass auch die nächsten Generationen Mode Ruths weiterführen. „Aber nur, wenn sie wirklich wollen und mit der gleichen Freude unser Haus jeden Tag betreten, wie ich es nach wie vor tue.“

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