Helden wider Willen
Von Elfriede Maresch
Frankfurts jährlicher „Gedenkstunde zur Erinnerung an die Frauen und Männer des deutschen Widerstandes und zur Erinnerung an die Ereignisse des 20. Juli 1944“ in der Paulskirche ist nie ausschließlich auf die Oppositionellen dieses Datums fixiert. Bewusst soll die Erinnerung an Widerstand aus unterschiedlicher Motivation wachgehalten werden. So ging es diesmal um die Swing-Jugend, eine Richtung der oppositionellen Jugendsubkulturen, die es selbst im DrittenReich gab.Eine interessante Themenwahl: deutlich wurde zum einen der repressive Druck des Dritten Reiches bis hinein in die private Lebensführung von jungen Leuten, zum anderen das Phänomen der Musik als Gegenwelt, als Raum für Individualität, als „Chance des vorpolitischen Widerstandes“. Zudem ergab sich eine kleine Hommage an Emil Mangelsdorff, Frankfurts großen Jazz-Saxofonisten, in seiner Jugend als Teil der Swing-Szene den Repressionen der Nazis ausgesetzt.
Brennendes Interesse am Jazz
Mit dem Jazz Standard „Exactly like you“ spielten Thilo Wagner (Klavier) und Jean Philipp Waldle (Kontrabass) die Gedenkstunde ein. Vergeblicher Widerstand des 20. Juli? In seinem Grußwort erinnerte Oberbürgermeister Peter Feldmann an die rund 200 nach dem Attentat Verfolgten und Getöteten und hob ihren Mut, ihre Entschlossenheit hervor – Vorbilder im Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Menschenrechtsverletzungen. Er konnte Zeitzeugen, Vertreter der Stadtpolitik, der Bundeswehr, der Kirchen und der jüdischen Gemeinden willkommen heißen.
„Die Swing-Jugend: Helden wider Willen“ hatte der Musikwissenschaftler Dr. Jürgen Schwab als Titel seines Vortrags gewählt. Karierte, weite Anzüge, Mäntel, Regenschirme, Pomade im Haar, brennendes Interesse am Jazz mit dem Idol Benny Goodman war das Markenzeichen der Jugendcliquen, die sich während des Dritten Reiches vor allem in Hamburg, Berlin und Frankfurt bildeten. Die Mädchen schminkten sich, rauchten sogar, stimmten mit dem Ideal der „künftigen deutschen Mutter“ so gar nicht überein. Jugendliche aus Mittelschichtfamilien waren ebenso bei der Swing-Jugend wie solche aus der Arbeiterschaft. Zunächst sei es ihnen um kulturelle Selbstbestimmung, um Lust an Musik und Tanz, um Abgrenzung zum ungeliebten Drill in HJ und BDM gegangen, meinte der Musikwissenschaftler und stellte sehr lebendig das „Harlem am Main“ und seine Protagonisten dar. Aber das „Undeutsche“ ihrer Musik, die vielen Anglizismen in der Umgangssprache, die lässige Lebensfreude im Gegensatz zur geforderten Strammheit missfiel den NS-Machthabern, Swing galt als degeneriert und „entartet“, Repressionen gegen die Swing-Kids begannen. Insbesondere während des 2. Weltkriegs wurden Hunderte von Swing-Anhängern misshandelt oder in KZs gesteckt, wo sie oft lebenslange Gesundheitsschäden davon trugen. Schwab nannte als Beispiel Emil Mangelsdorff, mit dem er übrigens schon zusammen gespielt hat: Der 1925 in Frankfurt Geborene spielte erst Akkordeon, dann Klarinette und trat neben dem Studium am Hoch´schen Konservatorium auch illegal in der Frankfurter Hotclub Combo auf. Mehrfach wurde er von der Gestapo verhört und schikaniert, schließlich an die Ostfront geschickt. Zwar überlebte er durch pures Glück, erlitt aber Jahre schwerer Zwangsarbeit in russischer Kriegsgefangenschaft und konnte erst 1949 nach Frankfurt zurückkehren. Lebenslang blieb er dem Jazz treu, öffnete sich neuen Richtungen wie Dixieland und Bebop, spielte in namhaften Jazz-Ensembles, unterrichtete und wurde hochkarätig ausgezeichnet, auch mit der Frankfurter Johanna Kirchner-Medaille .
Gedichte und Musik
Die Gedichte, die Professor Edgar M. Böhlke, Schauspieler und lange Zeit Dozent der Theaterwissenschaften, dann vortrug, waren zugleich ein Gruß an den verstorbenen Freund Emil Mangelsdorff. 1974 hatte der Musiker mit dem Schauspieler Kontakt aufgenommen. Eine große Bank hatte sich an Mangelsdorff mit der Bitte um ein Jazz-Lyrikprogramm als Kulturangebot für die Mitarbeiter gewandt. So erfolgreich war das, was in der Zusammenarbeit des Mangelsdorff-Quartetts mit Böhlke entstand, dass die Künstler sich später vom Bankauftrag lösten und mit dem Programm quer durch die Republik tourten. Zuletzt trat das Duo 2019 im Vogelsberg auf. Böhlke las Märchen Oscar Wildes, der über 90-jährige Mangelsdorff vertiefte mit seinem Saxofonspiel eindrucksvoll die Texte.
Böhlke begann mit dem Gedicht Hans Erich Nossacks „Zur Nacht“, wo die Metaphern „Schlaf und Trägheit“ für den ausgebliebenen Widerstand standen. Das Wegducken nützte nichts, die Repressionen des Systems trafen jeden: „… diese Nacht werde ich nicht schlafen, selber schreien…“ Böhlke ist nicht nur Schauspieler, sondern auch leidenschaftliche Spurensucher in der Literatur vieler Länder und Epochen. In der Anthologie „Der Fiedler vom Ghetto“, in der einstigen DDrR herausgeben, fand er beeindruckende jiddische Gedichte, vom Herausgeber Hubert Witt ein wenig ans Deutsche angenähert. Dramatisch sprach Böhlke Mordechai Gebirtigs Ballade „Unser Städel brennt“, erschütternder noch das leisere „Gehabt hab ich ein Heim,ein kleines Stückel Raum…“ des selben Dichters. „Ein bissel Wirtschaft wie für arme Leut“, aber dennoch der Ort der Lieder, der Freunde. Dann plötzlich Krieg, Fremdherrschaft: „Mit Feindschaft, Hass und Tod, so kamen sie – für sie wars nur ein Spiel. “ Die Überlebenden aber sind “ gejagt mit Frau und Kind wie Vögel ohne Nest“, ihre Heimat ist für immer zerstört. „An die Kommenden“ richtete sich das Gedicht von Schmuel Jankev Imber. Mit dem „Friedenslied“ von Pablo Neruda, von Bertolt Brecht bearbeitet, beschloss Böhlke seine Rezitation. Die Zuhörer hatten sich der dichten Atmosphäre seines Sprechens nicht entziehen können. Mit „Blues forever“ setzten Wagner und Waldle den Schlussakzent. Dennoch durfte auch an nach dieser Gedenkstunden das Niederlegen von Blumen am Mahnmal im Außenbereich mit der kleinen Ansprache von Rolf Heinemann (Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora in der BRD) nicht fehlen.
Titelbild: Gedenken an KZ-Orte und die Opfer, die dort litten: am Mahnmal legte auch Edgar Böhlke eine Rose nieder