Streuobstwiesen

Alte Kulturlandschaft im Fokus

Von Corinna Willführ

Die Streuobstwiesen: Über Jahrhunderte bezogen Menschen in der Region das Obst von den Bäumen, die sie – oder ihre Altvorderen – gepflanzt hatten. Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen. Auch heute noch sind die Streuobstwiesen der artenreichteste Lebensraum der Kulturlandschaft Wetterau. Doch ihr Bestand geht zurück. Mit Blick auf die Landesgartenschau 2027 in Oberhessen wächst das Interesse an dem Erhalt des seit 2021 anerkannten „immateriellen Kulturerbe Deutschlands“.

Steuobstwiese überdauert Generationen

In 2027 wird es in Hessen zum ersten Mal eine interkommunale Landesgartenschau geben. Elf Kommunen haben sich unter der Federführung des Vereins Oberhessen zusammengeschlossen, um den Großevent vorzubereiten und für mehrere Monate Touristen, Tagesbesuchern ebenso wie der einheimischen Bevölkerung zu zeigen, wie schön die Region ist. Einen Fokus haben die Organisatoren dabei auf die „wertvolle Kulturlandschaft“ gelegt, die es bereits seit Jahrhunderten zwischen Echzell und Schotten gibt: die Streuobstwiesen. Die einst von den Altvorderen mit Apfel-, Kirsch- oder Birnbaum bestückten Areale rücken insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus. So widmet sich jetzt unter anderem in dieser Woche ein einwöchiges Seminar der Volkshochschule Wetterau mit mehreren Kooperationspartnern dem Thema.

Freut sich jedes Jahr über die Ernte auf seiner Streuobstwiese: Johannes Naumann.
(Fotos: Corinna Willführ)

Zunächst nach Ortenberg: Manfred Bauer ist mit einem Anhänger zu der Abholaktion des Obst- und Gartenbauvereins Ortenberg gekommen. Vier hoch- und einen halbstämmigen Apfelbaum will der 62-Jährige plus Drahtgeflecht als Wurzelschutz gegen Wühlmäuse und Wildverbiss nach Büdingen-Wolf bringen. Auf eine Streuobstwiese, die bereits von den Großeltern angelegt wurde. Ob er noch Früchte von den Bäumen ernten kann, ficht ihn nicht an. „Ich weiß schon, dass es mindestens fünf Jahre braucht, bis man vielleicht einen Apfel sieht. Das ist aber nicht mein Anliegen.“ Eine Streuobstwiese überdauert Generationen. Mehr als 140 Jungbäume, überwiegend alte Apfelsorten, waren bei der Sammel-Bestellaktion des Obst- und Gartenbauvereins Ortenberg zu dessen 40-jährigen Bestehen geordert worden.

Schöner von Boskopp und Kaiser Wilhelm

Auch Dietmar Wäß, der jüngst den Wetterauer Naturschutzpreis erhielt, hegt nostalgische Erinnerungen, wenn es um die Bäume geht, die er am Ortsrand von Eckartsborn hegt und pflegt. Viele Dutzende sind es bereits. Zu den Neuanpflanzungen gehört aus der Sammelbestellung etwa ein „Schöner von Boskopp“ oder auch ein „Kaiser Wilhelm“. Wäß, seit über 40 Jahren im Naturschutz aktiv, weiß, wieviel Arbeit es macht und vor allem, wieviel Geduld es braucht, bis die Bäume Früchte tragen. Nicht ohne Stolz blickt er auf seine Kirschbäume: „Die haben sich prächtig entwickelt.“

Streuobstwiesen „prägen das Landschaftsbild und sind Lebensraum für viele Pflanzen und Insekten“, so Volker Ullrich, Vorsitzender des Bezirksgartenbauverbands, kürzlich bei einer Info-Veranstaltung des Freundeskreises Landesgartenschau im Schottener Stadtteil Rainrod (Vogelsbergkreis). So prachtvoll die blühenden Bäume im Frühjahr anzusehen sind: Es geht um mehr als einen schönen Anblick. Es geht um nachhaltigen Naturschutz. So engagiert sich der Wetteraukreis um diesen. Gemeinsam verfolgt er in Kooperation mit dem Nabu Wetterau und dem Naturschutzfonds Wetterau die „Vision Streuobstwiese 2040“.

Gab es in Hessen 1938 noch zwölf Millionen Bäume auf Streuobstwiesen, nahm ihre Anzahl bereits in den 1983 Jahren auf 1,3 Millionen ab. Die Gründe für den Rückgang benennt eine Info-Broschüre des Nabu. Neben Rodungen seien es vor allem die die mangelnde Pflege und das fehlende Wissen bei der Betreuung.

230.000 Obstbäume im Wetteraukreis

Dieses Defizit verringern, will eine Veranstaltung der Volkshochschule Wetterau in Kooperation mit dem Naturschutzfonds Wetterau, dem Kreis und Naturschutzverbänden. Nicht zuletzt, weil der Wetteraukreis mit seinen rund 230.000 Obstbäumen auf einer Fläche von fast 3000 Hektar zu den streuobstreichsten Landkreisen Hessens gehört. Areale, die etwa Grünspecht und Gartenrotschwanz, Siebenschläfer und Fledermäusen einen Schutzraum bieten. Schmetterlinge, Hummel, Wildbienen – auch sie sind dort anzutreffen. Und auf den Wiesen unter den Bäumen gedeihen etwa Wiesensalbei, Schlüsselblumen oder Karthäusernelke. Bei der Pflanzung und Pflege der Streuobstwiesen unterstützt der Naturschutzfonds Wetterau ebenso wie bei der Vermarktung des erzeugten Obstes.

Grundlagen und Ideen zum Erhalt des seit 2021 als Kulturerbe in Deutschland anerkannten Streuobstwiesenanbaus zwischen Bad Vilbel und Gedern, zwischen Friedberg und Hirzenhain vermittelt jetzt ein einwöchiger Lehrgang für Streuobst-Aktive. Die Veranstaltung ist für die Teilnehmer als Bildungsurlaub anerkannt. Landrat Jan Weckler: „Nun können wir einen wohl in Hessen einzigartigen Kurs anbieten.“ Mit einem Dutzend Teilnehmern ist das Angebot heuer ausgebucht. Es soll im Frühjahr 2024 wiederholt werden.


Ein Anfang ist gemacht: Auch LB-Redakteurin Corinna Willführ hat einen Baum zum Erhalt der Streuobstwiesen gepflanzt.

Federführend konnten die Organisatoren den Pomologen Steffen Kahl von der Schlaraffenburger Streuobstagentur gewinnen. Kahl gilt als Koryphäe, wenn es um alte Obstbaumsorgen geht. Darüber hinaus werden Vertreter der Unteren Naturschutzbehörde, des Naturschutzfonds Wetterau und des Nabu, „die Naturschutzaspekte der für den Wetteraukreis so bedeutenden Landschaft“ thematisieren. Als Ergänzung zur Theorie sind Praxistage auf dem Programm. Konkret: Zum Obstbaumschnitt in den Streuobstwiesen. Das theoretische Wissen, etwa auf einem Streuobstwiesengelände in Eckartsborn, in die Tat umzusetzen.

Einen in der in der vergangenen Woche neu gepflanzten „Kaiser Wilhelm“ kann die Gruppe dabei außer Acht lassen. Für seinen Erstschnitt ist er gut versorgt, mit reichlich Wasser eingeschlämmt. Wurzeln und Stamm sind zudem vor Wurzel- und Wildverbiss geschützt. Bis er erstmals Früchte trägt? „Vielleicht in sechs, sieben Jahren“, sagt Dietmar Wäß. Dann ist die Landesgartenschau Oberhessen 2027 schon Geschichte. Die Bäume, die heute und die nächsten Jahre gepflanzt werden nicht.

Titelbild: Hinweistafel unterhalb der Keltenwelt am Glauberg.

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