Stefanie vor Schulte

Wenn verschleppte Trauer „stört“

von Jörg-Peter Schmidt

Der lange Beifall am Ende der Veranstaltung im gut gefüllten KiZ (Kultur im Zentrum) in Gießen zeigte: Das Organisationsteam des Literarischen Zentrums Gießen (LZG) lag mit seiner Entscheidung richtig, die Marburger Autorin Stefanie vor Schulte zur Vorstellung ihres Romans „Schlangen im Garten“ einzuladen.

Zunächst wird man als Leser stutzig

Die gebürtige Hannoveranerin, die für ihr erstes Buch  „Junge mit schwarzem Hahn“ den Mara-Cassens-Preis erhalten hatte,  zog das Publikum in den Bann, als sie mit ihrer angenehm warmen Stimme in der von Nicolaus Webler (Stellvertretender LZG-Vorsitzender) moderierten Lesung Passagen aus ihrem neuen Buch vortrug.  In der Geschichte geht es um Trauer. Die Familie Mohn hat den Tod der  Ehefrau bzw. Mutter namens Johanne erlitten. Nicht gerade alltäglich ist ihre Form der Trauer, auf das sich Vater Adam sowie die Kinder Micha, Linne und Steve geeinigt haben. Aus den Tagebüchern Johannes entfernen sie Seiten, lesen sie nicht, aber verspeisen sie.

Die „lieben Nachbarn“ machen sich Sorgen

Was zunächst stutzig macht, hat durchaus seinen  Sinn. Die Mutter hatte eindringlich darum gebeten, dass ihre Tagebücher außer von ihr von niemandem gelesen werden. Das wird von ihrer Familie auch nach ihrem Tod respektiert. Mit dem Verzehren der Seiten wird von dem Witwer und den Kindern symbolisiert, dass sie Johanne trotz ihres Todes nicht verlieren wollen.

Vor dem Beginn der Lesung: Stefanie vor Schulte und Moderator Nicolaus Webler. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

Die Nachbarn mischen sich in das Familienleben  der Mohns ein, obwohl sie das überhaupt nichts angeht. Wieso dauert dieses Trauern so lange?! Und überhaupt hat man beim Tratsch so Manches gehört: Zum Leichenschmaus soll es eine Tortenschlacht gegeben haben. Das Ehepaar Kalster, das gern am Fenster steht, weiß das genau,  denn der Konditor, bei dem die Torten bestellt worden seien,  habe die Frage von Adam Mohn doch recht befremdlich  befunden, welche Torten  denn am besten fliegen würden.

Und überhaupt: Das Ehepaar Kalster macht sich Sorgen, die Mohns könnten sich die Urne womöglich ins Regal stellen. Einer Frau Schmidt fällt alarmierend auf, dass  man bei der Familie Mohn „verschiedene Socken trägt“…

Traueramt-Sachbearbeiter schreibt im Stasi-Stil

Das Publikum im KiZ ahnte es schon, als die Schriftstellerin aus weiteren Kapiteln las:   „Besorgte“ (wohl eher heuchlerisch-freundliche) Nachbarinnen und Nachbarn würden schon dafür sorgen, dass sich Amtspersonen um die Mohns kümmern würden. Dementsprechend gibt es Anzeigen bei dem zuständigen Traueramt, dessen Sachbearbeiter B. Ginster seine Vorgesetzten im nüchtern-sachlichen schriftlichen Bericht über fünf Beschwerden informiert: „Allesamt beziehen sich auf den Fall Mohn mit der Aktennummer xc35-74.“ Schlussfolgerung: Es könne sich hier um verschleppte Trauerarbeit handeln.  

Und dann nimmt einen der Roman richtig gefangen

Zuhause nach der Lesung an diesem verschneiten Abend von Gießen aus angekommen, wird der im Diogenes-Verlag erschienene Roman zur Hand genommen,  um darin zu blättern. Aber dann packt es einen doch, um die Erzählung in einem Zug bis zum Ende zu lesen. Man erlebt ständig Überraschungen und Wendungen, taucht in die Vergangenheit Johannes ein. Und man erfährt: Sie war mehrmals zur Stelle, als es galt, Unrecht zu bekämpfen oder in Notsituationen  zu helfen.

Der Text geht bisweilen ins Märchenhafte, Surreale über, was überhaupt nicht stört.  Wenn man will, kann man Vergleiche zu Werken anderer Schriftsteller oder zu Filmen ziehen. Moderator  Nicolaus Webler lag durchaus richtig, als er Kafka ins Spiel brachte.

Aber man kann das Buch auch ohne Vergleiche einfach genießen. Stefanie vor Schulte beschreibt beispielsweise Begegnungen der Mohns mit Außenseitern der Gesellschaft voller Wärme. Auch deshalb lohnt es sich, den Roman zu lesen.

„Schlangen im Garten“ von Stefanie vor Schulte ist im Diogenes-Verlag erschienen, hat 240 Seiten und  kostet 24 Euro (Hardcover).  Den Roman gibt es auch als Hörbuch.

Titelbild: Stefanie vor Schulte während der Lesung in Gießen aus ihrem geheimnisvollen Roman voller Überraschungen.

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