Digitaler Kulturwandel
Das zurzeit wegen der Pandemie geschlossene Stadttheater Gießen gehört zu den ersten Mitgliedern eines Netzwerks digitalaffiner Theater. Bereits 17 Häuser aus dem deutschsprachigen Raum haben sich im „theaternetzwerk.digital“ zusammengeschlossen, um den digitalen Kulturwandel gemeinsam, aktiv und selbstbestimmt mit den Mitteln der Kunst zu gestalten.„Initiiert von der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund und dem Staatstheater Augsburg sehen die Mitgliedshäuser den digitalen Kulturwandel und die damit verbundenen Transformationsprozesse als Bereicherung ihrer Arbeit. Sie planen, ihre kommenden Spielpläne um eine gesamt-theatral verstandene digitale Strategie zu bereichern. Das Netzwerk versteht sich dafür als Plattform für Wissensaustausch und Kooperation. Erfahrungen mit digitalen Techniken können so wechselseitig zur Verfügung gestellt werden“, schreibt das 1907 eröffnete Theaters der mittelhessischen Universitätsstadt in einer Pressemitteilung.
Digitaler Denkweise annähern
Das Stadttheater Gießen sieht es als unabdingbar an, sich einer digitalen Denkweise anzunähern. Der Umgang mit neuer Technologie kann aus dem Blickwinkel, aus dem sie entstanden ist, besser eingeübt werden. Dabei ist es wichtig, analoge Formate nicht in digitale Räume zu zwingen, sondern zum digitalen Raum auch die passende künstlerische Form zu finden.
Herausforderungen annehmen
„Die mannigfaltigen Prozesse der Digitalisierung sind ohne die ‚Große Transformation‘, die bevorstehenden globalen Umweltveränderungen und den daraus resultierenden Menschheitsaufgaben, nicht zu denken“, betont Stadttheater-Intendantin Cathérine Miville. Patrick Schimanski (Leitung digitale Prozesse am Stadttheater) führt weiter aus: „Beide epochalen Transformationen, die Digitalisierung und der Klimawandel, sind als eine gemeinsame Herausforderung zu betrachten. Theater sollten als zentrale Orte im Stadtraum mit gutem Beispiel vorangehen und die Möglichkeiten, welche die Digitalisierung auch im Bereich der Nachhaltigkeit bietet, nutzen und stetig ausbauen. Dazu bedarf es einer interdisziplinären Öffnung und einer Präferenz der ‚Commons‘ gegenüber den sich immer mehr ausdifferenzierenden ‚postdemokratischen‘ Entwicklungen, welche die Digitalisierung bedauerlicherweise mit sich bringt.“ Soweit die Pressemeldung des Gießener Stadttheaters.
Wandel machte keinen Bogen
„Das Digitale ist längst kein Nebenschauplatz unseres täglichen Lebens mehr. Der digitale Kulturwandel, der alle Teile der Gesellschaft umfasst, macht keinen Bogen um die Theater, sondern beeinflusst unser aller Wirken und Tun“, erklärt das theaternetzwerk.digital. Gerade jetzt, ein Jahr nach dem ersten Lockdown, sei klar: „Das Digitale wird als Erbe dieser Zeit auch in einer post-pandemischen Theaterlandschaft seinen Platz behalten. Von einem Gegensatz zwischen digital und analog zu sprechen, ist damit nicht mehr zeitgemäß. Digitale Technologien, vor Ort oder in Ausspielungen sind allgegenwärtig, sei es in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik oder auch in den privatesten Bereichen.“
Bühnenraum ins Digitale erweitern
Der digitale Transformationsprozess habe schon vor 2020 begonnen, die Räume gesellschaftlicher Debatte seien bereits vor der Pandemie digital geworden. So bringe der digitale Wandel ein grundsätzliches Infragestellen zentraler Grundfesten des Kulturbereichs mit sich: von Inszenierungsweisen über Nutzungsformen und Plattformneutralität bis hin zu Wertehierarchien. „Er verändert und fordert uns, unsere Arbeit neu zu überprüfen. Wir wollen den digitalen Wandel aktiv und mit den Mitteln der Kunst gestalten; wir möchten uns neue Spiel- und Handlungsräume erschließen, wollen den physischen Bühnenraum ins Digitale erweitern und neue Formen der Zusammenarbeit testen“, so das digitale Theaternetzwerk.
Als Netzwerk will es gemeinsame Herausforderungen gemeinsam lösen. „Wir lassen das Denken in ausschließenden Kategorien von ‚Technik‘ und ‚Kunst‘ hinter uns – für uns gehören beide zusammen und müssen deshalb zusammen gedacht werden“, erklärt das Netzwerk.
Die beteiligten Theater stehen unter https://theaternetzwerk.digital
Titelbild: Hoch geschätzt über Gießen hinaus: Das Stadttheater. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)