Sparkassen für die Vereinigten Staaten
Von Klaus Nissen
Wenn man es täglich vor Augen hat, kommt es einem ganz normal vor. Doch die 374 Sparkassen zwischen Flensburg und Füssen sind besonders, findet Mark Cassell. Sie versorgen zuverlässig auch kleine Firmen mit Krediten und sind ein Grund für den Wohlstand Deutschlands, schreibt der in Washington lehrende Professor für politische Wissenschaften. Er hat für seine Landsleute ein Buch geschrieben. Es soll sie ermutigen, ebenfalls staatliche Banken zu gründen. Der Anfang sei schon gemacht, heißt es in der 143 Seiten starken Schrift „Banking on the State“.Mark Cassell lobt das Geschäftsmodell
Erlebnisse in seiner Jugend brachten den in Kalifornien aufgewachsenen Autor auf die Idee für dieses Buchprojekt. Als Schüler verbrachte er die Sommerferien in den Siebzigerjahren immer wieder in Büdingen. Sein Großvater Kurt Moosdorf war da Landrat – und Vorstand der Sparkasse. Später studierte Mark Cassell politische Wissenschaften in Wisconsin und Marburg, befasste sich als Professor der Kent State University von Ohio mit wirtschaftlichen Fragen. 2018 reiste er durch Deutschland, sprach in Büdingen und anderen Städten mit Sparkassenchefs, Ökonomen und Fachpolitikern.

Ihn trieb eine Frage um: „Wie konnten so kleine lokale Geldinstitute, die von lokalen Politikern beaufsichtigt werden, den weltweiten Kapitalismus überleben?“ In vielen Ländern sind die im 19. Jahrhundert gegründeten öffentlichen Banken längst ausgestorben – warum nicht in Deutschland? Im Gegenteil, die Sparkassen überstanden bestens weltweiten Finanzkrisen. Als ab 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, gaben die Sparkassen den Mittellosen Guthabenkonten. Viele der inzwischen besser gestellten Familien blieben Stammkunden. Und seid Beginn der Corona-Pandemie wickeln die Sparkassen gewaltige staatliche Hilfsprogramme für ihre Unternehmenskunden ab. In schweren Zeiten versorgten die Sparkassen ihre freiberuflichen Stammkunden und kleine Firmen aus der Region schnell mit Krediten, vermerkt Mark Cassell in seinem Buch immer wieder. Das sei in seiner Heimat ja ganz anders. „Die großen US-Banken bevorzugen den Umgang mit vermögenden Kunden, während sie die Kleinunternehmen sich selber überlassen.“
Normale Bürger sind für US-Banken uninteressant
Auch die „kleinen Leute“ in Deutschland sind bei Geldangelegenheiten viel besser gestellt als jene in den USA, meint Cassell. Während in Europa die EC-Karten mit überall leichtem Zugang zum Girokonto selbstverständlich sind, fehle so etwas zwischen San Francisco und New York. Das Recht auf ein eigenes Girokonto existiere in den USA ebenfalls nicht. Viele Millionen Berufstätige müssten dort bei „Payday Lenders“ immer wieder Kleinkredite aufnehmen, um über die Runden zu kommen. Die lassen sich die Banken auch mal mit zweistelligen Zinsen bezahlen, sagt Cassell im Skype-Gespräch über den Atlantik hinweg. „Das ist für arme Leute ein enorm hoher Kostenfaktor – besonders, wenn man einmal krank wird.“
Im März 2020 verkündete die US-Regierung das milliardenschwere „Paycheck Protection Program“, mit dem kleinere Firmen staatlich verbürgte Kredite zur Bezahlung ihres Personals bekommen sollten. Sofort forderten die Banken von der Regierung die Erlaubnis, den Zins verdoppeln zu dürfen. Außerdem verlangen Sie laut Cassell Verwaltungsgebühren. Bei Krediten bis zu 350 000 Dollar waren sie mit fünf Prozent am höchsten.
„Rückgrat der deutschen Wirtschaft“
Dass die deutschen Sparkassen bei den Zinshöhen und Gebühren oft höher liegen als die gewerbliche Konkurrenz, erläutert Mark Cassell in seinem Buch nicht weiter. Ihn interessiert eher die segensreiche Rolle dieser Institute für die jeweilige Region. Sie sind mit 94 Millionen Konten die Hausbanken für jeden zweiten deutschen Konsumenten und für 40 Prozent aller Unternehmen. Die Sparkassen „sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft“, schreibt Cassell. Er führt ihre Stabilität darauf zurück, dass sie durch die Gewährsträgerschaft der Landkreise und kreisfreien Städte und durch den Sparkassen-Verbund selber auch in Krisen vor dem finanziellen Ruin geschützt sind. Andes als in der von Konkurrenz geprägten US-Bankenwelt sei jede deutsche Sparkasse gut vernetzt und daran interessiert, dass es den Nachbarinstituten gut gehe. Durch die regionale Verankerung kenne man die Lage der eigenen Firmenkunden und habe schon während der Schulzeit Zugang zu den Stammkunden der Zukunft.
Das in englischer Sprache verfasste Buch erklärt dem US-Publikum, wie die Sparkassen mit ihren Benefiz-Programmen das Wohlwollen der örtlichen Bevölkerung und Politik erhalten. Die Sparkasse Oberhessen verschenkte 2020 zum Beispiel eine halbe Million Euro an rund 940 gemeinnützige Institutionen in Wetterau und Vogelsberg. 2021 soll zusätzlich eine sechsstellige Summe an Tafelinitiativen, Hochwassergeschädigte und an Schulen und Vereine gehen. Trotzdem bleiben die Sparkassen auch in schlechten Zeiten profitabel. In Oberhessen machte die Sparkasse im Corona-Jahr 2020 noch acht Millionen Euro Bilanzgewinn. Er fließt voraussichtlich wieder in die Eigenkapitalrücklage, die hier auf mittlerweile 650 Millionen Euro angeschwollen ist.
Nur in North Dakota gibt es ein Sparkassen-ähnliches Geldinstitut
In den USA gibt es nur ein einziges sparkassen-ähnliches Geldinstitut, hat Mark Cassell recherchiert. Die Bank of North Dakota wurde 1919 zum Schutz der örtlichen Farmer vor der Ausplünderung durch Getreidehändler gegründet. „Es wird mehr öffentliche Banken in den Vereinigten Staaten geben“, prophezeit Cassell. Nach einer Gesetzesänderung seien nun die Bundesstaaten Kalifornien, New Mexico, New Jersey und Washington dabei, kommunale Geldinstitute nach dem Vorbild der deutschen Sparkassen zu ermöglichen. Auch wenn es beispielsweise in Kalifornien noch verboten ist, dass eine öffentliche Bank mit Privatbanken konkurriert.
Mark Cassell ist Direktor des Washington Programme an der Kent State University. Er erklärt in englischer Sprache, warum die USA und viele andere Länder öffentliche Banken nach dem Vorbild der deutschen Sparkassen gründen sollten. Das Buch „Banking on the State“ ist bei Agenda Publishing in Newcastle erschienen. Es hat die ISBN 978 1788 2119 63 und kostet beispielsweise bei Amazon 27 Euro.