Sinclair-Haus

„Die zweite Haut“ geht unter die Haut

Von Corinna Willführ altana

Die Arbeiten von 25 Künstlerinnen und Künstlern vereint die aktuelle Ausstellung des Museums Sinclair-Haus in Bad Homburg unter dem Titel „Die zweite Haut“. Wer dabei an passgenaue Jeans oder ultimative Bodystyler aus der Werbung denkt, ist gänzlich falsch. „Die zweite Haut“ ist alles andere als „pass(t)genau“. Sie betört, sie verstört, sie fasziniert und provoziert. Und darum ist sie: unbedingt sehenswert.

Killed to be dressed

Der Fuchs trägt Haut. Menschliche Haut. Lässig hängt am Ende altana1seiner Stola aus zwei Menschenarmen ein Täschchen mit einem besonderen Hingucker: einer menschlichen Nase. Auch zwischen den Ohren der Füchsin ein Accessoire: eine Kopfbedeckung, die sich bei näherem Hinsehen als Teil einer menschlichen Brust erweist. Die Fenne steht aufrecht. Scheint wie das Hermelin mit seinen menschlichen Zehen auf Stöckelschuhen nur auf die nächste Modenschau auf dem Catwalk zu warten. „Killed to be dressed“ hat Deborah Sengl ihre Werkserie genannt.

Kleid aus 25 Kilo rohen Steaks

Der Mensch trägt Fleisch. Sehnige Rouladen als Badehose in einem Teil des Foto-Triptychons der deutsch-syrischen Künstlerin Adidal Abou-Chamat. Oder ein Kleid aus 25 Kilogramm rohen Steak-Fleischs in der Arbeit von Jana Sterbak, das die Künstlerin „Vanitas“ nennt, mit dem Untertitel „Flesh Dress for an Albino Anoretic. Oder häutet sich wie Alba D’Urbano, die für „Il Sarto Immortale“ (den Unsterblichen Schneider) ihren eigenen nackten Körper digitalisiert, die Bilder am Computer bearbeitet und sie schließlich auf Baumwollsatin drucken ließ. Das Schamhaar nicht ausgenommen. Ihre „Hautkleider“ trugen Modells zu einer Performance während der Art Cologne 2007.

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Die Arbeiten von Jana Sterbak, Adidal Abou Chamat und Alba D’Urbano sind sicherlich die Exponate, die die unmittelbarsten Gefühle beim Betrachter auslösen. Sie ziehen an – und stoßen ab. Kurzum: Sie polarisieren. Entsteht doch wie es zu dem Werk von Alba D’Urbano heißt: „eine verwirrende Ambivalenz zwischen „nackt sein“ und „bekleidet sein“.

Kleider erzählen Geschichte(n)

Wie geheimnisvoll wirken dagegen die Bilder von Riitta Päivälainen. Durchkomponierte Fotografien, die voller Geschichten zu stecken scheinen. Mystisch und melancholisch. Verheißungsvoll in der Vergänglichkeit, die in ihren Bildern unmittelbar wird. Vom Flohmarkt oder aus Second-Hand-Läden stammen die Kleidungsstücke, die die Fotografin in der Natur platziert. Hemden,

altana2ein Kleid, das irgendwann, irgendwo einmal von einem Menschen getragen wurde, das Geschichte in sich birgt. Eine Geschichte, von der niemand berichtet hat, die mit dem Kleid im Wind verweht und im Foto doch „Spuren des Menschen sowie den Gedanken, die Präsenz und Absenz desselben“ empfinden lässt.
Wer weiß, welche Geschichte die Frau zu erzählen hätte, deren Kleid die Künstlerin in „Wind’s Nest“ in einer menschenleeren Umgebung in Lappland an einem Holzpfahl drapiert hat. Hat sie mit dem weggegebenen Mantel ihre „zweite Haut“ gegen eine andere getauscht? Für ein neues Leben?

Für Arthur Arnold, seinen Bruder Benno und seine Frau Anna gab es kein neues Leben. Arthur Arnold starb 1941 im Konzentrationslager Dessau. Seine Frau wurde 1942 in Theresienstadt ermordet, sein Bruder zwei Jahre später. Arthur Arnold gehörte einer jüdischen Augsburger Familie an, die ein erfolgreiches Unternehmen in der Fuggerstadt betrieb. Esther Glück hat ihren „abwesenden Körpern“ wieder Gestalt gegeben: Für ihre drei lebensgroßen „Shaping Shirts“ verwendete die Künstlerin Laub vom jüdischen Friedhof und Sand aus dem Flussbett der Eger, „die die Asche tausender Juden, die in Theresienstadt umgekommen sind, davontrug“, so die Informationen zur Ausstellung. Dass die Ausstellungsmacher, Museumsdirektor Johannes Janssen und Kuratorin Ina Fuchs, die „Shaping Shirts“ mitten in der Ausstellung und doch in einem geschützten Raum zeigen, zeugt von Feingefühl und setzt das Anliegen von Esther Glück fort, „einen einfühlsamen ‚Raum‘ des Gedenkens zu schaffen“.

Suche nach dem Ich an 89 Stationen

Wie viele andere Werke wären da noch zu nennen, die zum altana3Nachsinnen und Nachdenken anregen – und zur Diskussion über die Haut als das größte Organ des menschlichen Körpers, das ihm (begrenzten) Schutz vor Kälte, Feuchtigkeit und Verletzungen gewährt. Zugleich auch „Medium“ für den Kontakt mit der Außenwelt ist, auf Veränderungen in der Umwelt, im Körper reagiert. So die Werkreihe „Der Weiße Traum“ des Frankfurter Künstlers Vollrad Kutscher (einer der wenigen männlichen Künstler!), der sich 1980 für einen Monat lang an Orte seiner Kindheit begeben hat. Die 89 Stationen seiner Suche nach dem frühen Ich hat Kutscher in einer Mischung aus Performance und Installation festgehalten. Oder Bettina Zachow, die ihr eigenes Haar in dem Tryptichon „Leibbinden“ verarbeitet hat. Oder Su Blackwells Installation „While you were sleeping“. Von (fast) unsichtbaren Fäden schweben Schmetterlinge aus einem Kleid in die Luft. Schmetterlinge, die Su Blackwell eben aus diesem Kleid, einem alten Nachthemd, mit Cutter und Schere ausgeschnitten hat. Inspiriert zu ihrer Arbeit wurde die Künstlerin von einem heute noch in Myanmar existierenden Volksglauben, „dass sich die Seele in einen Schmetterling verwandelt.“

Künstler im Gespräch mit den Besuchern

Wie stets bietet das Sinclair-Haus auch zu dieser Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm an. Besonders empfehlenswert: Die Künstlergespräche mit Deborah Sengl (30. November 2016), Vollrad Kutscher (14. Dezember 2016), Bettina Zachow (25. Januar 2017) und Alba D’Urbano (8. Februar 2017) jeweils um 19 Uhr bei freiem Eintritt. „Die zweite Haut“ im Museum Sinclair-Haus der Altana-Kulturstiftung in Bad Homburg ist bis zum 12. Februar 2017 zu sehen.

Die Ausstellung ist dienstags von 14 bis 20 Uhr, mittwochs bis freitags von 14 bis 19 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Bad Homburger Kulturnacht am Samstag, 29. Oktober 2016, kann das Museum von 18 bis 24 Uhr besucht werden.

altana-kulturstiftung.de

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