Sind sie noch zeitgemäß?
Von Detlef Sundermann
Mahnmal, Kriegerdenkmal, Nazi-Gedenkstätte: Da marschieren die Soldaten noch immer und ewiglich, den Tornister auf dem Buckel, am Gürtel Stielhandgranaten, das Gewehr über der Schulter und den Stahlhelm auf dem Kopf. Die vor, während und kurz nach der NS-Zeit errichteten Gefallenen-Denkmäler wirken martialisch und militaristisch. Trotzdem werden sie auch heute noch gepflegt und teils sogar repariert. Die Mahnmale sollen an alle Kriegsofper erinnern, so die aktuelle Lesart. Aber tun sie das wirklich? Müssen wir für alle Zeiten in Stein gehauene Stahlhelm-Krieger vor der Verwitterung schützen? Werden sie nicht eher als Helden verklärt, statt Opfer zu sein? Dieser Frage steht hinter einer Bestandsaufnahme des Neuen Landboten – hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. In den nächsten Wochen und Monaten stellen wir vor, wie in den mittelhessischen Dörfern und Städten an die Opfer der Kriege erinnert wird. Den Anfang macht Bad Vilbel.
Kriegerdenkmäler – das Beispiel Bad Vilbel
In Dreierreihen marschieren die steinernen Soldaten aus dem Jahre 1934. Gen Westen geht es mit dumpfen Blick, gegen Frankreich, den Erzfeind, gegen den man nicht nur 1918 eine Niederlage erlitt. Drumherum ergibt sich hingegen ein höchst friedliches Bild mit Flaneuren, auf Bänken sitzenden Senioren parlierend oder mit der aufgeschlagenen Zeitung. Und wenige Meter entfernt schallt Kinderlachen vom Spielplatz herüber.
Im Zentrum dieser Szene im Bad Vilbeler Kurpark steht eine zwölf Meter hohe Bruchsteinstele mit dem Eisernen Kreuz an oberster Stelle und den lebensgroßen Soldatenreliefs an zwei Seiten. Das 1934 aufgestellte Bauwerk, das der Frankfurter Bildhauer Paul Seiler entwarf, soll an den Ersten Weltkrieg erinnern, jedoch nicht in Mahnung und Demut zu den rund 17 Millionen Soldaten und Zivilisten, die dieser vier Jahre und dreieinhalb Monate dauernde Krieg gefressen hat.
„Den gefallenen Helden zu Ehre und Dank“, heißt es in übergroßen Lettern an einer Stelle – heroisch und kriegsverherrlichend. Wohl auch nicht zuletzt, um den Militarismus wieder wie zu Kaisers Zeiten zu fördern, indem er Teil der gesellschaftlichen Normalität wurde. Die Bad Vilbeler kombiniert den Kurpark mit Kriegsgerassel.
Die Toten sah man nach dem Kriegsende ab 11. November 1918 nicht, aber die zu Krüppeln Geschossenen und Gesprengten. Sie prägten das Bild in den Straßen, Lokalen, oder sie hockten, lagerten an Hausmauern, den Hut offen auf dem Trottor daneben gelegt, um zu betteln. Der Maler Otto Dix machte die Nachkriegszeit zum schaurigen Sujet seiner Bilder. Nach der Machtergreifung der Nazis musste er dafür schnell büßen. Dix war einer der ersten Kunstprofessoren, den das Hitler-Regime entließ. Seine Werke wurden später in der Ausstellung „Entarte Kunst“ als „gemalte Wehrsabotage“ diffamiert.
Das Vilbeler Denkmal sollte hingegen die Bevölkerung bei all dem sichtbaren Elend wieder moralisch aufrüsten, denn es stand ja noch ein größerer Krieg bevor, einer mit 65 Millionen Toten. Die
Stadt stellte sich zunächst gegen den Kriegerverein, der die Stele angeregt hatte. Die Meinung änderte sich jedoch im Frühjahr 1933, als die NSDAP die Mehrheit in der Stadtregierung bekam und sie Joseph Seitz zum Bürgermeister einsetzte. Am 21. und 22. Juli 1934 wurde die Fertigstellung des Kriegerdenkmals mit großem Brimborium gefeiert. Der Kriegervereins hatte die Baukosten in Höhe von 7500 Reichsmark aus Spenden zusammen gebracht. Woher das Geld stammt, ist unbekannt. Gegenüber dem von den Nazis zum Kurhaus umfunktionierten Volkshaus, das 1927 vom sozialistischen Arbeitervereinen in der Stadt gebaut worden war, sollte das Denkmal am anderen Ende des Parks errichtet werden – in mittiger Blickachse zum Kurhaus, das das andere Ende derGrünanlage markiert.
Der Kriegerverein beließ es auch nicht bei der Stele und einer Namenstafel der Vilbeler, die an der Westfront oder sonstwo zwischen 1914 und 1918 umkamen. Es wurde ebenso eine Gedenkstätte toter Nationalsozialisten in der Weimarer Republik. Eine ähnlicher brauner Wallfahrtsort entstand zum Beispiel mit dem Wasserturm in Hanau-Steinheim. Um die Vilbeler Stele wurde eine halbkreisförmige Mauer mit Säulengang erstellt, an der Opferschalen, Hakenkreuze und eine Tafel mit den Namen von Toten aus den Reihen der extrem gewaltbereiten nationalsozialistischen Bewegung. Die US-Kommandantur ließ 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, die Mauer von diesem braunen Erinnerungen säubern. Seit 1975 steht die Kriegerstele unter Denkmalschutz.
Sieben Jahre dauerte der Entwurf einer Texttafel. Rund 78 Jahre ragte die Säule aus dem Kurpark, ohne Kommentierung. 2007 gab es einen Antrag der Grünen und dazu einen einstimmigen Parlamentsbeschluss, dass eine Tafel auf die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung des Bauwerks für
die Nationalsozialisten hinweisen solle. Doch lange passierte nichts. Nach vier Jahren fragten die Grünen im Stadtparlament, wann es denn mit der Tafel so weit sei. Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann erklärte den Verzug mit der aufwändigen Recherche und mit Zeitmangel, das Denkmal habe nicht die erste Priorität gehabt. Im Jahr darauf wurde den Stadtverordneten ein Textentwurf vorgelegt, an dem vor allem die SPD herummäkelte. Die Formulierung „sogenannte Arbeiterbewegung“, die fehlenden Hinweise auf die deutsche Kriegsschuld, die Vilbeler Juden, die für den Kaiser ins Feld gezogen seien, und die Diskussion in den 1970er Jahren über Kriegerdenkmale, machte die Kritik aus.
Im Juli 2014 war es so weit, die Tafel mit der vom Parlament abgesegneten Textfassung wurde endlich enthüllt