Kräuterkunde

Neues Interesse an altem Brauch

Von Klaus Busch

In die Mitte gehört eine Königskerze, um sie gebunden etwa Johanniskraut, Beifuß, Ringelblumen, eine Blüte von Alant für jedes Hausmitglied oder die roten Beeren der Eberesche: Von Mitte August (Mariä Himmelfahrt) bis 15. September (Gedächtnis der Schmerzen Marias) sind die sogenannten Frauendreißiger. Vier Wochen, die als die günstigste Zeit im Jahr gelten, um Kräuter zu sammeln. Klaus Busch, Arzt im Ruhestand, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Wirk- und Heilkraft von Kräutern. Er hat ein Buch veröffentlicht, das sich explizit dem Kräutergarten an der Ortenberger Marienkirche widmet. Für den Landboten beschreibt er die beste Zeit des Kräuterjahres:

Das Kräuterjahr geht jetzt seinem Höhepunkt entgegen. Das alte Hochfest der „Aufnahme Mariä in den Himmel“, heute Mariä Himmelfahrt, markiert am 15. August eines jeden Jahres diese Zeit. Spätestens mit diesem Tag beginnen dort die Ferien, alles verreist ans Meer oder in die Berge, die Innenstädte sind verlassen. Hitze und Sonnenglut lassen uns Schatten und Kühle suchen, unser Tempo verlangsamt sich. Wer es sich leisten kann, verdöst die Nachmittagsstunden in der abgedunkelten Wohnung. Erst am Abend kehrt das Leben wieder zurück in die Städte und Dörfer.

Klaus Busch im Kräutergarten an der Marienkirche in Ortenberg. Zur Linken eine hochgewachsene Karde. Der Rauch aus dem tönernen Gefäß stammt von getrocknetem Beifuß, einer „Pflanze des Übergangs“. (Fotos: Corinna Willführ)

Sonnenkräuter werden jetzt geerntet

Seit der Sommersonnenwende sind bereits einige Wochen vergangen, die Tage schon kürzer geworden. Aber die Sommerhitze ist jetzt am größten. Hoch steht die Sonne in der Mittagsglut am Himmel. Jetzt ist in den Kräutern im Mariengärtchen an der Evangelischen Kirche in Ortenberg der Gehalt an ätherischen Ölen, an Harzen und Aromastoffen am höchsten. Viele der typischen „Sonnenkräuter“ werden jetzt geerntet, im Schatten getrocknet und verarbeitet.

Seinen schönsten Ausdruck findet dieser Höhepunkt im Kräuterjahr im Brauchtum um die Kräuterbuschen oder Mariensträuße, die noch immer gebunden werden und in katholischen Regionen in der Messe an Mariä Himmelfahrt vor dem Altar niedergelegt und dort vom Priester gesegnet und geweiht werden. Man sollte einmal an diesem Tag im bayrischen oder schwäbischen Oberland die Pracht dieser Gebinde sehen! In der Regel sind es die Bäuerinnen und Hausfrauen, die die Pflanzen für diese Sträuße im eigenen Garten und draußen in der Natur sammeln und daheim binden. Das unterliegt bestimmten Regeln, die sich oft von Landschaft zu Landschaft unterscheiden. Immer ragt in der Mitte die Königskerze heraus und bildet das Gerüst für die anderen Pflanzen. So soll etwa für jeden und jede, die zur Haus- und Hofgemeinschaft zählen, ob Mensch oder Vieh, eine Blüte vom Alant mit eingebunden werden. Von den leuchtend roten Beeren der Eberesche („Vogelbeere“) fädelt man etliche auf eine Schnur und windet diese um den Strauß, als Symbol für die blutrote Lebensschnur. Die Ringelblume, zäh und blütenreich vom Frühsommer bis in den Dezember, oft noch nach dem ersten Schnee, darf nicht fehlen. Wie viele Kräuter eingebunden werden, ist von Gegend zu Gegend verschieden, es sind aber oft „heilige“ Zahlen: sieben, neun, zwölf, vierundzwanzig, dreiunddreißig, ja bis zu 99 verschiedene Pflanzen können es sein.

Schutzwirkung der Pflanzen

Nach dem Festgottesdienst trägt man die Sträuße nach Hause und steckt sie im Herrgottswinkel in der Stube auf oder hängt sie unters Dach oder in die Scheune, in den Stall. Zieht ein Unwetter auf, werden Teile der getrockneten Kräuter auf der Herdplatte oder im Räuchergefäß verräuchert. Das schützt Haus und Hof vor Unheil, vor Blitzschlag, vor Feuer und vor Wassernot. Tatsächlich haben Wissenschaftler herausgefunden, dass bei der Veraschung von Königskerze oder Johanniskraut Atome entstehen, die elektrische Überspannung binden. Heute sichern wir uns lieber mit Blitzableitern auf dem Hausdach ab, in früheren Zeiten vertrauten die Menschen auf die Schutzwirkung bestimmter Pflanzen. Den Wanderer und Hirten schützte ein Haselstecken vorm Blitz, Haus- oder Dachwurz auf dem First oder auf Mauerkronen hatten eine ähnliche Funktion.

So wundern wir uns heute nicht, dass die meisten der Kräuter im Marienstrauß ausgesprochene Schutzpflanzen sind. Andere wiederum sind heilmächtig gegen Krankheiten von Mensch und Vieh. Immer wieder wurden Kranken Aufgüsse von Pflanzen aus dem Strauß gereicht, oder Tiere bekamen davon unters Fressen gemischt oder wurden bei Viehseuchen damit beräuchert.

Im ländlichen Oberhessen ist von diesen Bräuchen und von diesem Wissen nicht mehr viel im Gedächtnis geblieben. Als jedoch vor 13 Jahren der kleine Kräutergarten bei der Marienkirche in Ortenberg angelegt wurde, lag es in der Absicht der Planerin, der Helfer aus der Gemeinde und schließlich von mir, der die Betreuung und Pflege übernahm, dass etwas von diesem alten Wissen wieder ins Bewusstsein der Besucherinnen und Besucher gerät.

Ich bin Hausarzt und Psychotherapeut im Ruhestand und ausgebildeter Heilpflanzenkundiger und freue mich immer, wenn ich dort bei der Gartenarbeit ein wenig von Besuchern, Urlaubern, Ausflüglern gestört werde. Denn dann werden Geschichten um die Kräuter verhandelt und ausgetauscht. Das Mariengärtchen wird so zu einem Ort, einer Oase der Begegnung, des Innehaltens, des Auftankens von neuer Kraft.

Im vergangenen Jahr hat Busch ein lesens- und betrachtenswertes Buch zum Marienkräutergarten geschrieben und im Selbstverlag herausgegeben. Michael Schroeder als Kunsthistoriker hat dazu eine Einleitung über den Kirchenbau und die Deckenmalereien verfaßt. Das Buch ist zum Preis von 15.00 € erhältlich in der Hellerschen Buchhandlung in Büdingen, ferner in Ortenberg bei der Stadtverwaltung, der Poststelle, dem evangelischen Gemeindebüro, im Hofladen Kleeblatt in Konradsdorf und an den Wochenenden im Cafe am Obertor.

Wenn sich durch diesen Artikel Menschen angesprochen fühlen, die sich für Heilkräuter und den Kräutergarten interessieren und gerne bei der Pflege mitmachen möchten, können sie über das Evangelische Gemeindebüro in der Untergasse in Ortenberg Kontakt mit Klaus Busch aufnehmen oder per mail: kwbusch@gmx.de

Titelbild: Johanniskraut und Schafgarbe, wilde Möhre und Dost, Königskerze und Großer Wiesenknopf sind nur einige der Kräuter, die man für einen Kräuterbuschen sammeln kann. Dieser ist aktuell von Landbote-Redakteurin Corinna Willführ mit Pflanzen zusammengestellt worden, die sich noch längs der Nidder finden lassen.

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