Keannfraa und Storchentante
Von Elfriede Maresch
Nabelbinden und Milchpumpen, Hebammenkoffer und Pressgurt – solch ungewöhnliche Exponate sind in den Vitrinen des Heimatmuseums Nidda zu sehen. „Keannfraa und Storchentante“ ist das Thema einer Ausstellung, die bis 8. Januar 2023 im Heimatmuseum Nidda gezeigt wird.Ein Hebammenkoffer, ein Gebärstuhl – einzelne Exponate zur Geburtshilfe gab es schon früher im Museum. Das regte Beate Harbich-Schönert, die zusammen mit Gunhild Richter und Annemarie Fischer-Müller schon mehrere erlebnisorientierte Museumspräsentationen gestaltet hatte, zur Recherche an. Sie entdeckte „Hebammen in Hessen – gestern und heute“, eine Präsentation der Landeszentrale für politische Bildung, wo sich in 16 Roll-ups das Thema Hebammen und Geburtshilfe im Wandel der Epochen abbildet. Mitgewirkt an der Ausstellung haben neben der Historikerin Dr. Monika Hölscher aus dem Team der Landeszentrale auch die Ethnologin Professor Dr. Marita Metz-Becker. Das Ausstellungsthema „Geboren in ein bedrohtes Leben“ im Dritten Reich mit dem Blick auf die Kindereuthanasie sowie die gezielte Vernachlässigung und hohe Säuglingssterblichkeit bei den Kindern von Zwangsarbeiterinnen gestaltete Dr. Götz Hartmann vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Zu aktuellen Arbeitsbedingungen und der künftigen Entwicklung des Berufsbildes steuerte der Berufsverband der Hebammen Material bei, ebenso die Fachhochschule Fulda, die bereits ein Studium „Hebammenkunde“ anbietet.
Der Wandel der Geburtshilfe
Das Team des Heimatmuseums Nidda legte Wert auf regionalen Bezug, durchsuchte die eigenen Sammlungen, fuhr ins Staatsarchiv Darmstadt, konnte Leihgaben aus privatem Besitz bekommen: historische Gegenstände aus Geburtshilfe und Säuglingspflege, Dienstkleidung, Fotos und Lebensgeschichten von Hebammen der Region, insbesondere die penibel geführten Arbeitstagebücher von Anna Treut (Glauberg), Margarete Schüssler (Ranstadt) und Karoline Rühl (Kohden). Ärztliche Instrumente stammen vom einstigen Niddaer Allgemeinarzt und Geburtshelfer Dr. Melzheimer.
Der soziale Wandel hat auch vor der Geburtshilfe nicht Halt gemacht. Um 1900 hatte fast jedes hessische Dorf seine eigene Hebamme, sie war hoch geschätzte Vertrauensperson der Familien. Reich wurden sie allerdings in diesem Beruf nicht. In den 1950-er Jahren kam immer mehr der Trend zu Geburten im Krankenhaus auf. Eine Klinikgeburt, auch wenn kein dringender medizinischer Anlass bestand, wurde von den Krankenkassen weit großzügiger honoriert als eine Hausgeburt. So konnte Monika Hölscher mit den Rechnungsbüchern einer Hebamme aus Romrod (Vogelsbergkreis) nachweisen, dass ihr Verdienst trotz Tätigkeit in acht Dörfern meist unter dem Durchschnittseinkommen lag. Hölscher: „Es ist bewundernswert, dass diese Frauen ihrem Beruf treu geblieben sind!“
Aktuell sind nur etwa 1500 Frauen bei einer hessischen Bevölkerung von ca. 6,3 Millionen in diesem Beruf tätig. Rückläufig ist auch die Zahl der Entbindungsabteilungen. Gab es sie 2008 noch in 67 Kliniken, waren es 2018 nur noch 50. Viele freiberufliche Hebammen übernehmen heute wegen der sehr hohen Haftpflichtversicherung keine Hausgeburten mehr, sondern begrenzen ihre Leistungen auf Vorsorge und Betreuung während Schwangerschaft, dem Wochenbett und den ersten Lebensmonaten des Säuglings. Würden Denise Schauermann und Friederike Praetorius, die aktuell tätigen Hebammen, jungen Mädchen eher von diesem Beruf abraten? Beide widersprechen temperamentvoll: „Hebamme ist einer der schönsten Berufe! Wir stehen jungen Familien in einer ganz wichtigen Lebensphase mit Rat und Tat zur Seite!“
Begleitprogramm zur Ausstellung
Die Ausstellung „Keannfraa und Storchentante“ ist vom 22. Oktober 2022 bis 8. Januar 2023 im Heimatmuseum Nidda, Raun 1 (gegenüber dem Marktplatz) zu sehen. Die Öffnungszeiten sind: Dienstag, Donnerstag und Sonntag 15 bis 17 Uhr, Gruppen nach Vereinbarung.
Die Ausstellung wird durch Sonderveranstaltungen ergänzt:
Am Samstag, 5. November kommt die Pädagogin und Ethnologin Professor Dr. Marita Metz-Becker um 17 Uhr in das Museum. „Wandel der Gebärkultur in Deutschland am Beispiel des Hebammenalltags“ ist ihr Thema.
Am Donnerstag, 24. November um 19 Uhr zeigt das Niddaer Lumos-Kino, Bismarckstr. 1, den Dokumentarfilm „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ Hier beträgt der Eintritt 7 Euro im Unterschied zu allen anderen Veranstaltungen, die kostenlos sind.
Schließlich gibt es am Samstag, 3.Dezember um 17 Uhr im Museum einen Bunten Abend mit dem Thema „Klapperstörch, Keanfraa un Bobelche“ (Anmeldung erwünscht unter museum-nidda@t-online.de). Dabei gibt es Geschichten und Mundartgedichte aus den Wochenstuben früherer Zeiten, Gespräche über den Wandel im Hebammenberuf heute. Zwei aktive Hebammen der jungen Generation, Denise Schauermann (Fauerbach) und Friederike Praetorius (Wallernhausen), haben bei der Gestaltung der Ausstellung beraten. Diana Perez (Gesang) und Olaf Thurau (Gesang, Gitarre), engagiert in Niddas Musikleben, gestalten den Abend mit, etwa mit Mozarts Wiegenlied, mit Reinhards Meys eindringlichem Titel „Menschenjunges“, mit Weihnachtlichem und Eigenkompositionen.