Großstadt Hanau

Stadt will Main-Kinzig-Kreis verlassen

Von Klaus Nissen

Einen Sonderstatus hat Hanau schon lange – nun wächst die Main-Kinzig-Metropole auf bald 100 000 Einwohner heran. Als Großstadt solle sie kreisfrei werden, schlägt Oberbürgermeister Claus Kaminsky vor. In anderen Kreis-Kommunen ist man überhaupt nicht traurig darüber.

Großstadt Hanau

Man könnte das Phänomen „Huxit“ nennen. Der Begriff  steht  für das Ansinnen einzelner Hanauer, die ihre Stadt aus dem  Main-Kinzig-Kreis lösen  wollen. Dazu gehört der Oberbürgermeister Claus Kaminsky.  Er verwaltet Anfang 2018 rund 98 500 Hanauer.  Spätestens 2019 oder 2020 werde mit 100 000 Einwohnern zur Großstadt. Und sollte kreisfrei werden, sagte der SPD-Politiker Anfang November 2017 vor dem Stadtparlament. Hanau wäre dann in einer Liga mit Frankfurt, Kassel, Wiesbaden, Offenbach und Darmstadt. Anfang 2018 werde Kaminsky darüber mit den Fraktionen sprechen, sagt Güzin Langner aus der Pressestelle. Vielleicht bilde man dann eine Arbeitsgruppe, die alle Aspekte untersucht. „Es gibt nichts, das uns drängt. Wir sind noch in der Phase der Willensbekundung.“

Das Goldschmiedehaus in der Altstadt zeugt noch von der einstigen Pracht der Residenzstadt. Foto: Wikipedia, Schildkröte92

Die kreisfreie Großstadt Hanau fänden auch Kaminskys Parteifreunde vom SPD-Ortsverein gut. Auf dessen Homepage heißt es: „Wir, der Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau, sind dann zwei starke Partner in der Rhein-Main-Region“. Die Hanauer AfD findet den Abschied vom Kreis ebenfalls prima. Ihr Sprecher Klaus Dippel: „Neben einer gewissen lokalpatriotischen Freude, bei der Kreisfreiheit wieder mit Offenbach gleichzuziehen, ergäben sich auch handfeste politische Gestaltungsspielräume.“ Weil Großkrotzenburg dann vom Main-Kinzig-Kreis räumlich getrennt wäre, könne man über die Eingliederung der Kraftwerksgemeinde nach Hanau reden.

Im Kreis findet der Abschied von Hanau ebenfalls Sympathie. „Das ist ein berechtigtes Verlangen“, sagt Nidderaus Bürgermeister Gerhard Schultheiß. Der Sozialdemokrat und gebürtige Hanauer glaubt, dass die Kreisfreiheit nichts am guten nachbarschaftlichen Verhältnis ändern würde. Sie würde „für uns im Kreis vielleicht leichte Vorteile bringen“, sagt Schultheis. Die Stadt Nidderau würde keinesfalls darunter leiden.

Claus Kaminsky bei einer Kundgebung zur Stillegung des Kraftwerks Groß Claus Kaminsky (SPD) ist Oberbürgermeister der Stadt Hanau. Er will die Kreisfreiheit der Kommune beantragen. Das Foto entstand bei einer Kundgebung für die Teil-Stillegung des Kraftwerks Staudinger. Foto: Wikipedia, Pedelecs

Seine Schönecker Amtskollegin Cornelia Rück sieht das ähnlich. Allerdings „hat es Vorteile für Hanau, dem Kreis anzugehören“, vermutet die Sozialdemokratin. Sie will bei der  Bürgermeister-Dienstversammlung am 12. Dezember nachfragen, was Hanau mit dem Abschied bezweckt – und was das für die 29 übrigen Kreis-Gemeinden bedeutet. Denn ohne genaue Informationen könne man die Loslösung Hanaus kaum bewerten, sagt auch die parteilose Maintaler Bürgermeisterin Monika Böttcher. Auf jeden Fall würde das 38 000 Einwohner zählende Maintal dann die größte Stadt im Kreis.

Auch Klaus Büttner in Niederdorfelden hat kein Problem mit Hanaus Austrittswunsch. „Die machen schon länger ihr eigenes Ding. In der Bürgermeister-Kreisversammlung ist so gut wie nie jemand aus dem Hanauer Magistrat aufgetaucht.“ Den sozialdemokratischen Rathauschef Büttner macht die kommunale Finanzverteilung viel mehr Probleme. 2018 müsse die kleine Gemeinde 800 000 Euro zusätzlich an diversen Umlagen bezahlen – „das bringt uns fast um!“

 

Landrat Thorsten Stolz (SPD) hat schon sein Verständnis für den Austritt Hanaus signalisiert. Es würden ja viele Berührungspunkte bleiben: Die Stadt sei auf die Arbeitnehmer und die Konsumenten aus dem Umland angewiesen.

Der Hanauer Marktplatz mit dem Rathaus in der Mitte. Foto: Wikipedia

All die freundlichen Kommentare deuten an,  dass die Hanauer sich mit ihrem Austritt aus dem Kreis wohl selber schaden würden. Sie müssten dann zwar keine Kreisumlage ins Landratsamt nach Gelnhausen überweisen. Das bringt ihnen eine Ersparnis von gut 30 Millionen Euro pro Jahr. Doch auf der anderen Seite kommen gewaltige Kosten auf sie zu. Sie müssen dann Ämter für Gesundheit, für Umwelt und Lebensmittelüberwachung aufbauen, außerdem für die Kraftfahrzeug-Zulassung –  das kostet. Auch die erst vor drei Jahren auf den Kreis übertragenen Sozialhilfe-Kosten für arme Hanauer sind dann aus der Stadtkasse zu begleichen. Allein das macht jährlich mehr als 22 Millionen aus. Und die jetzt noch vom Kreis gezahlte Umlage an  den Landeswohlfahrtsverband dürfte Hanau mit etwa 20 Millionen im Jahr belasten.

Wie teuer das alles genau wird, ist laut Kreis-Pressesprecher Jörn Mewes noch nicht durchgerechnet. Schon 2005 gab es eine Debatte über den Abschied der Stadt aus dem Kreis. Sie versiegte, nachdem der damalige Landrat Erich Pipa den Hanauern vorgerechnet hatte, dass sie  ohne den Main-Kinzig-Kreis 7,3 Millionen Euro mehr als bisher pro Jahr aufbringen müssten. Jetzt dürfte diese Summe noch deutlich höher sein.

Karl Eyerkaufer (SPD) war nach seiner Karriere als Leichtathlet und Schuldirektor von 1987 bis 2005 Landrat des Main-Kinzig-Kreises. Heute kümmert sich der 77-Jährige um arme Familien in Sri-Lanka. Foto: Nissen

„Hanau wird bewerten, ob die Nachteile wirklich so groß sind“, glaubt der ehemalige Main-Kinzig-Landrat Karl Eyerkaufer. „Wenn die Kreisfreiheit ein paar Millionen mehr kostet, wird man das akzeptieren.“  Der jetzige Sonderstatus von Hanau sei ein unbefriedigender Zustand, findet der 77-jährige SPD-Politiker, der den Main-Kinzig-Kreis zwischen 1987 und 2005 führte.

Dass sich die Hanauer nie wirklich als Teil des Main-Kinzig-Kreises fühlten, findet Karl Eyerkaufer nachvollziehbar. Bis 1974 war die ehemalige Residenzstadt über Jahrzehnte kreisfrei, sagt der 77-Jährige. Das habe den Einwohnern Selbstbewusstsein gegeben. Dann wurde Hanau im Zuge der Gebietsreformen zum Teil des neuen Main-Kinzig-Kreises. Auch wenn sie seitdem mit mehr als 50 000 Einwohnern zu den hessischen Städten mit Sonderstatus zählt. Sie muss nur 50 Prozent der Kreisumlage zahlen, weil sie zum Beispiel selber die Schulen in ihrer Gemarkung verwaltet. Diesen Sonderstatus haben in Hessen auch Gießen, Wetzlar, Fulda. Marburg, Bad Homburg und Rüsselsheim.

Hanau und die Kreisfreiheit

Die Residenzstadt Hanau war schon einmal kreisfrei: Unter ihrem Bürgermeister Eduard Rauch wurde sie 1886 formal unabhängig vom Umland. Im 20. Jahrhundert fungierte sie als Kreisstadt. Ab 1974 regierte der Landrat von Hanau aus auch über die Altkreise Gelnhausen und Schlüchtern. 2004 wanderte er ins neue Main-Kinzig-Forum nach Gelnhausen aus. Hanau bekam einen Sonderstatus und muss seitdem nur die Hälfte der eigentlich fälligen Kreisumlagen zahlen.

Jetzt stellt Hanau 98 500 der rund 412 000 Kreisbewohner. Um kreisfrei zu werden, müsste die Stadt das bei der Landesregierung beantragen. Die kann das per Gesetz verordnen – aber nur, wenn das nach den Paragraphen 14 und 15 der Hessischen Landkreisordnung mit dem „öffentlichen Wohl“ vereinbar ist.

 

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