Großherzog Ernst Ludwig

Seine Liebe zu Männern

Hessens letzter Großherzog Ernst Ludwig (1868-1937) liebte Männer. Das versucht Barbara Hauck in ihrem Buch „Capriolen“ nachzuweisen. Über weite Teile sind es Vermutungen und Verdächtigungen. Ernie, wie der Großherzog von seiner Familie und seinen Freunden genannt wurde, musste seine Neigungen geheim ausleben. Homosexualität stand damals unter Strafe. Warum ein Buch über Liebesbeziehungen, die heute längst nicht mehr verboten sind?

Capriolen

Das Buch kommt 100 Jahre zu spät. Das ahnt die Autorin. In ihrem Vorwort schreibt Hauck: „Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Der diskriminierende Paragraf wurde 1994 abgeschafft und viele schwule und bisexuelle Männer stehen heute ganz bewusst zu ihren Neigungen.“ Sie folgert aber: „Ein Grund mehr, nun auch posthum das geheime Liebesleben Ernst Ludwigs ans Tageslicht zu rücken.“ Nur: Wen interessiert das heute noch? Beatrix van Ooyen, die das Buch in ihrem Booy-Verlag veröffentlicht hat und die in Bad Nauheim die Ernst-Luwig-Buchmesse organisiert (dem Großherzog hat die Kurstadt ihre Jugendstilanlagen zu verdanken), erhofft sich, dass das Buch hilft, „die Tabuzonen ein bisschen zu verschieben“.

Vor gut 100 Jahren hätte es vielleicht der SPD in ihrem Kampf gegen den Sitten-Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches geholfen, der Homosexualität verbot. Die Sozialdemokraten wollten prominente Homosexuelle outen, um die Doppelmoral der Elite im Deutschen Reich aufzuzeigen. Hauck: „August Bebel, der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, forderte im Reichstag gar die Abschaffung des Sitten-Paragrafen. Da jedoch keine Aussicht auf eine solide Mehrheit bestand, trat er für die Offenlegung der ‚Rosa Listen‘ ein. Jener Aufzeichnungen der Berliner Sittenpolizei, in denen angesehene Persönlichkeiten des Deutschen Reiches aufgeführt waren. Ihre Präsenz sollte den Gesetzesvertretern die herrschende Doppelmoral der Elite vor Augen führen.“ Es sei wahrscheinlich, dass der hessische Großherzog auf diesen Listen stand, meint Hauck. Seine sexuellen Präferenzen seien bekannt gewesen. So sei er in einem anonymen Schreiben genannt worden, das am 29. April 1908 im Preußischen Justizministerium eingegangen sei.

Dem Buch haftet etwas merkwürdig skandalisierendes an. Der Titel ist ein Wortspiel aus Kapriolen, also übermütigen, verrückten Streichen, und Capri, der italienischen Insel, auf der laut Hauck damals Reiche und mächtige Schwule ihre Neigungen aus lebten. Deren „Begehren“ habe dort „jenen Jünglingen und Knaben“ gegolten, „die täglich aufs Meer hinauszogen, um ihre Netze auszulegen“. Auch „ein Herr von höchstem Stande“ – eben Ernst Ludwig – „wurde geradezu magisch von den Liebreizen der capresischen Fischerjungen angezogen. Der sonst so Distinguierte ließ ‚alle Augenblicke‘ die Reisekoffer packen, klemmte eine Gitarre unter den Arm und verschwand mit seinem Flügeladjudanten für einige Tage oder Wochen im ‚paradis des hommes‘“, schreibt Hauck.

Gruppenbild mit Ernst Ludwig (in gestreifter Badehose), nicht auf Capri aufgenommen, sondern bei Hemmelmark an der Ostsee. (Foto: Hessisches Staatsarchiv)

Kaum Beweise, wenige Indizien

Haucks Problem ist, dass es kaum Beweise und nur wenige Idizien für Ernies Homosexualität gibt, weil er sie geheim ausleben musste. Ob er auf den Rosa Listen stand, lässt sich nicht überprüfen, den die sind verschollen. Italiens König Viktor Emanuel soll bezüglich Ernies Kapriolen auf Capri warnend die Finger gehoben haben. Ernst Ludwig „bewege sich in Capri in einer höchst verrufenen Gesellschaft und speziell drei dortige Einwohner schienen sein Interesse zu fesseln, für deren Einen er aber eine ganz besondere Vorliebe dokumentierte und diesem gälten denn auch wohl in erster Linie die häufigen Besuche“, zitiert Hauck einen Brief des Deutschen Botschafters Karl von Wedel.

In seiner Jugend führte Ernie mit seinem Freund Alexander von Frankenberg und Ludwigsdorf, ein gemeinsames Gedichtbuch, aus dem Hauck zitiert. „Ich kann nur an dich denken,/Bei allem was ich thu‘/ Zum Liebsten thut‘s mich lenken/ Und das mein Schatz bist Du“, schrieb Alexander für Ernie und der reimte für Alexander: „Du weißt es nicht, wie ich dich liebe,/Und wissend würdest du‘s glauben nicht,/Dass in mir wären solche Triebe,/Wovon zu sprechen ich wage nicht.“

Ernst Ludwig war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Dennoch bezeichnet ihn Hauck nicht als bisexuell, „zum einen, weil seine Neigung schon in früher Jugend auftrat, zum anderen, weil sie auch später belegt wird und man sich bei der Wortwahl nun einmal entscheiden muss“. An anderer Stelle schreibt sie: „Ernst Ludwigs große und wahrscheinlich einzige bedingungslose Liebe zu einem weiblichen Wesen war die zu Elisabeth.“ Elisabeth war seine Tochter aus erster Ehe.

Vergebliche Suche nach jugendlichen Liebhabern

Hauck sucht verbissen nach Beweisen für Ernies Homosexualität. Sie rätselt, wenn seine erste Frau Victoria Melita bemerkte, dass ihr Mann schwul war. „Fest steht nur, dass Melita definitiv vor ihrer Scheidung im Jahre 1901 von den homophilen Neigungen ihres Gatten erfahren hat“, schreibt sie und beruft sich auf Victoria Melitas Biografen, den US-Autor Michael John Sullivan. Den zitiert sie so: „Ducky (das ist Victoria Melita – d.R.) wusste nichts, bis zu einem schicksalhaften Morgen, als sie ihren Ehemann suchte und sein Schlafzimmer unangekündigt betrat. Was genau geschehen ist, werden wir nie erfahren, aber nach dem zu urteilen, was Ducky ihrer Nichte Jahre später sagte, sah sie Ernie im Bett mit einem der Jungen im Teenager-Alter, die in der Küche des Palastes beschäftigt waren.“ Hauck relativiert ihr „definitiv“ wenige Zeilen später etwas, indem sie schreibt: „Wenn wir davon ausgehen, dass jene Quelle, die Sullivan für seine Behauptungen nennt (…), die Wahrheit dokumentiert …“ Was dann? Man liest und staunt: „dann könnten die Adressbücher der Haupt- und Residenzstadt Darmstadt aus den Jahren 1984 bis 1901 nähere Informationen über die jugendlichen Liebhaber des Großherzogs liefern.“ Aus einem werden gleich mehrere Jugendliche Liebhaber und über die soll das Adressbuch Auskunft geben? Sie geht ausführlich die Rubrik „Hofämter“ der Adressbücher durch, bis sie mit den Worten aufgibt: „Vielleicht ist es gut so, dass die tatsächlichen Intim-Freunde nicht auszumachen sind.“ Womit wieder die Frage nach dem Sinn des Buches aufgeworfen wäre.

Barbara Hauck: Capriolen – Die Männerfreundschaften des letzten hessischen Großherzogs Ernst Ludwig“, Booy Verlag Bad Nauheim 2017, Taschenbuch, 266 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,90 Euro. ISBN 978-3-9817809-2-5

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