Greensill-Pleite

Gießen bangt um 10 Millionen Euro

Auch die Stadt Gießen ist von den Turbulenzen bei der in Bremen ansässigen deutschen Greensill Bank AG, die kürzlich durch die Finanzaufsicht BaFin geschlossen wurde, betroffen. 10 Millionen Euro in zwei unterschiedlichen Tranchen hat Gießen als Geldanlage bei der Greensill Bank AG angelegt. Die Anlage erfolgte nach Ausschreibung und unter Berücksichtigung von Rating und Zinssatz. Das angelegte Geld sollte für wichtige Infrastrukturmaßnahmen in der Stadt genutzt werden.
Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (Archivfoto: Jörg-Peter Schmidt)

Diese Geldanlage ist nun gefährdet, teilt Oberbürgermeisterin (OB) Dietlind Grabe-Bolz mit. Die Zukunft der Bank sei derzeit unklar, nachdem die staatliche Bankenaufsicht BaFin wegen Unregelmäßigkeiten und dem Verdacht auf Betrug ein Moratorium über die Geschäfte der Bank gelegt hat. Nach Berichten sollen rund 50 Kommunen in ganz Deutschland von dieser Situation betroffen sein. Nach einem Beschluss der Bundesregierung sind Spareinlagen von Kommunen seit 2017 bei Banken-Pleiten nicht mehr geschützt. In Gießen will man indes nicht einfach nur abwarten, was in Bankenzentralen und Aufsichtsbehörden geschieht, berichtet die Presseabteilung der Stadt Gießen. 

OB will alle Hebel in Bewegung setzen

Um einen Verlust oder Teilverlust der städtischen Gelder im Falle einer Insolvenz abzuwenden, will Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz alle Hebel in Bewegung setzen. „Hier haben ganz offenbar alle Kontroll- und Schutzmechanismen der Bankenaufsicht versagt“, so die OB. „Wären wir rechtzeitig informiert und gewarnt worden, hätte die Aufsicht ihre Arbeit richtig gemacht, ständen wir heute nicht vor dieser schwierigen Situation.“

„Beim Abschluss unserer Anlagen im Oktober bzw. Dezember hätte es durch den Einsatz von Sonderprüfern der BaFin bereits Hinweise geben müssen, wenn wir den derzeitigen Berichten glauben können. Uns lag allerdings kein einziger Hinweis vor. Auch unser Dienstleister hat uns nicht gewarnt“, so die OB, die deshalb dafür plädiert, Verantwortlichkeiten zu klären. „Ich möchte hier eine deutliche Aufklärung: Wer hat wann was gewusst? Wenn diejenigen, auf die wir uns als Städte in unserer Finanzpolitik verlassen müssen, versagen, dann haben sie auch eine Verantwortung zu tragen“.

Rechtsschritte werden geprüft

Ausdrücklich gab sie ihrem Kollegen aus Osnabrück recht, der in Richtung BaFin gesagt hatte: „Ein Hinweis an die Kommunen, etwa über die kommunalen Spitzenverbände, hätte genügt, dass wir mit dieser Bank zunächst keine Geschäfte mehr gemacht hätten.“ Grabe-Bolz: „Das gilt für uns im gleichen Maße. Die Bundesregierung ist hier deshalb in der Pflicht zur Aufklärung und Unterstützung. Sie hat uns mit Beschluss von 2017, nach der Städte keine Sicherung bei Banken-Pleiten mehr erhalten, alleine gelassen. Das geht aber nur, wenn wir auf die Arbeit der BaFin vertrauen dürfen. Ich werde diesbezüglich über den Deutschen Städtetag ein Bündnis mit den anderen betroffenen Städten anregen, gemeinsam Wege aus dieser gefährdenden Situation zu suchen. Und ich werde rechtliche Schritte prüfen lassen.“

2019 Parlamentsbeschluss

Die städtische Praxis der Vergabe von Anlagen sei dagegen seit spätestens 2019 mit dem Stadtverordneten-Beschluss über die Leitlinie der Anlagepolitik politischer Konsens in der Stadt: „Wir waren bisher der Meinung, dass Rücklagen insgesamt sinnvoll sind. Es ist uns gelungen, durch den kommunalen Schutzschirmvertrag und eigene Maßnahmen, wie eine fördernde Gewerbe-Ansiedlungspolitik, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und mit Stand heute rund 55 Mio Euro an Rücklagen zu bilden. Von der Praxis der Rücklagen haben wir auch in Corona-Zeiten bisher profitiert. Diese 55 Mio Euro sind in unterschiedliche Produkte aufgeteilt, 10 Mio davon sind bei Greensill angelegt. Ein Mix, von dem die Stadt sich gleichzeitig Sicherheit und eine Verringerung von Minuszinsen versprochen hat.

„Wir haben uns bei der Vergabe der Festgeld-Anlagen auch nach dem Grundsatz gerichtet, unser Geld sicher anzulegen. Wir stecken kein Geld in Banken, die im Rating schlecht abschneiden. Die Greensill hatte stets gute Ratings, die sich jetzt offenbar als Blase offenbaren.“
Ob die Stadt mit diesen Erfahrungen bei dieser Anlagepolitik bleiben werde, stellt Grabe- Bolz in Frage. „Wir werden angesichts der unzureichenden Warnsysteme eine politische Diskussion darüber führen müssen, wie wir mit unseren Rücklagen künftig umgehen“, so die OB. Dazu werde sie in der Stadtverordnetenversammlung berichten und eine Diskussion anregen. In erster Linie erwarte sie nun allerdings von der Bundesregierung ein klares Signal: „Wenn wir uns wirtschaftlich und sicher verhalten müssen, dann erwarte ich auch, dass unsere Einlagen wieder abgesichert werden. Da kann man uns nicht im Regen stehenlassen“, sagte Grabe-Bolz abschließend.

Zwei Festgeld-Verträge

Die Stadt Gießen hat zwei Festgeld-Verträge im Oktober und Dezember 2020 über je 5.000.000,00 € mit der Greensill-Bank geschlossen. Beim Abschluss des Oktober- Vertrages hatte die Greensill ein Rating von A-. Beim Abschluss des Dezember-Vertrags lag das Rating bei BBB+. Auch dieses Rating gilt unter Anlegern als sehr gut.

Die Verträge wurden auch von unterschiedlichen Maklern vermittelt, die die Greensill-Anlage unabhängig voneinander im Portfolio führten.

„BaFin hat uns im Stich gelassen“

OB Grabe-Bolz zu diesem Zeitablauf und der Rolle der BaFin dabei: „Während die BaFin ohne das Wissen von Anlegern bereits begonnen hatte, Sonderermittler zu beauftragen, haben sich Greensill-Angebote noch in der letzten Woche im Angebot von Finanzdienstleistern befunden. Das alles zeigt: Die BaFin hat uns im Stich gelassen. Ihre Warnung hätte uns anders handeln lassen. Beide Anlagen wurden im Vertrauen in die Aufsicht und die Richtigkeit der Ratings betätigt – in einer Zeit, da bei der Behörde ganz offensichtlich schon ein Verdacht auf Unregelmäßigkeit bestand.“

Nach Berichten des Handelsblattes soll die Bafin Greensill bereits im Sommer 2020 nach Hinweisen des Prüfungsverbandes deutscher Banken in den Fokus genommen und eine Sonderprüfung veranlasst haben. Im Rahmen der Sonderprüfung soll die Bafin festgestellt haben, dass Kredite und Wertpapiere Greensills eine auffällige Konzentration aufwiesen. All dies blieb offenbar geheim – sonst wären die Ratings gefallen.

Wie es nun im konkreten Fall weitergeht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch völlig offen. Es ist sowohl möglich, dass die Geschäftsfähigkeit im vollen Umfang dann wiederhergestellt wird, wenn die BaFin das Moratorium aufgehoben hat. Möglich ist auch, dass die Bank von Investoren übernommen wird. Oder es kann der Entschädigungsfall festgestellt werden, in dem die Einlagen der Stadt, anders als die von Privaten, allerdings nicht abgesichert sind. Eine gesetzliche Einlagensicherung besteht seit 2017 nicht mehr. 

Titelbild: Im Gießener Rathaus (rechts) gibt es Sorgen wegen der Turbulenzen bei der Greensill Bank AG (Foto: Jörg-Peter Schmidt) 

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