Vortrag über die vielfältige Bücherwelt
Bei der Buchmesse 2018 in Frankfurt/Main steht bekanntlich Georgien als Gastland im Mittelpunkt des Interesses. In der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar war Gelegenheit, Wissenswertes über die literarischen Schätze dieses kleinen Landes zu erfahren, das so viele bedeutende Schriftstellerinnen und Schriftsteller hervorgebracht hat.
Helden und romantische Liebe
Zahlreiche wunderbare Geschichten, die von Heldenabenteuern oder auch romantischer Liebe handeln, sind im Laufe der Jahrhunderte von georgischen Autorinnen und Autoren geschrieben worden. Um welche literarischen Kostbarkeiten es sich handelt, berichteten in der Phantastischen Bibliothek auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Prof. Dr. Marina Bokuchava (Bonn) und Dr. Karin Unsicker (Marburg). Die beiden Referentinnen – von Angelika Kunkel, 1. Vorsitzende der Wetzlarer Goethe-Gesellschaft, vorgestellt – machten vor rund 60 Zuhörern deutlich: Die 3,7 Millionen Einwohner zählende Nation zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus wurde zu Recht als Gastland der bevorstehenden Frankfurter Buchmesse ausgewählt.
„Die Menschen in unserem Land lieben die Märchen und Sagen“, unterstrich Prof. Dr. Bokuchava, die an der Universität in Tblissi (Tiflis) Germanistik studiert und unterrichtet hat.
Goethe ist populär
Marina Bokuchava berichtete, dass von Goethes Werken neben dem „Faust“vor allem der „Werther“ mit seiner historischen Kulisse von Wetzlar und Umgebung in ihrer Heimat sehr populär sind.
Im Dialog blätterten die beiden Referentinnen in der Geschichte Georgiens zurück: Bereits im fünften Jahrhundert n. Chr. schrieb der Priester Jakob Zurtaweli eine in Georgien berühmte Legende auf: „Das Martyrium der Heiligen Schuschanik“. Beschrieben wird das Leid einer armenischen Prinzessin, die sich als Christin dagegen wehrt, den Glauben von persischen Eroberern anzunehmen und deshalb in Haft genommen wird und im Gefängnis stirbt. Noch bekannter ist das Nationalepos, das Schullektüre ist: „Der Recke im Tigerfell“, etwa um 1200 von von dem Dichter Schota Rustaweli in Versen verfasst. Die Geschichte beinhaltet alles, was einen historischen „Bestseller“ ausmacht: Tapfere Ritter müssen schwierige Prüfungen bestehen, um die Herzen ihrer auserwählten Frauen zu gewinnen. Marina Bokuchava trug aus dem großen Werk, das von ausgesprochen schöner Sprache geprägt ist, einige Verse auf Georgisch, Karin Unsicker dann auf Deutsch vor.
Literatur auf hohem Niveau
Deutlich wurde im Laufe des Vortrags, dass viele der Erzähler im Laufe der Jahrhunderte die Achtung vor ihrer ständig durch Bürgerkriege und Okkupationen zerrissenen Heimat ausdrückten und Idealisten waren wie auch Fürst Ilia Tschawtschawadse (1837 – 1907), der seinen Grundbesitz unter Leibeigenen aufteilte. Den sowjetischen Besatzern ein Dorn im Auge war die Gruppe von Schriftstellern, die sich zur symbolistischen Gruppe „Blaue Hörner“ zusammenschlossen und die Literatur ihres Landes modernisierten.
Einige der Autoren fielen dem Terror unter Stalin zum Opfer: So wurde Tizian Tabidse hingerichtet. Sein Verwandter Galaktion Tabidse überlebte zwar bis 1959, zerbrach aber an den Verfolgungen durch das Sowjet-Regime seelisch und beging Selbstmord. Er war ein großartiger Lyriker: Karin Unsicker trug eines seiner bewegenden Gedichte (Es heißt: „Ohne Liebe“) vor.
Auch heute wird in Georgien die Tradition des Verfassens von Literatur auf hohem Niveau fortgesetzt. Ein Beispiel: Nino Haratischwili, die auf deutsch schreibt (aktuell erschienen: „Die Katze und der General“). Ihr bekanntester Roman ist “Das achte Leben“. Sie hat unter dem Titel „Radio Universe“ ein Theaterstück geschrieben, das zurzeit in Marburg im Landestheater aufgeführt wird. Thema des Stücks: kriegerische Konflikte in Osteuropa. Marina Bokuchava und Karin Unsicker haben mit ihren Erläuterungen, für die es langen Beifall gab, neugierig auf die vielseitige, hochinteressante georgische Literatur gemacht.
Zu Georgien hier ein Detail, das bislang kaum erwähnt wird:
Die 1843 geborene Friedensaktivistin Bertha von Suttner , geb. Gräfin Kinsky, verbrachte 9 Jahre im Kaukasus. Sie wurde durch ihr Buch „Die Waffen nieder“ und durch ihre Bekanntschaft mit Alfred Nobel international berühmt. Bertha und Gundacar von Suttner hatten gegen den elterlichen Willen geheiratet und nahmen eine Einladung der Fürstin von Mingrelien an (Mingrelien ist eine Provinz im Westen Georgiens). Beide wollten beweisen, dass sie sich alleine durchschlagen konnten, gaben Sprachunterricht und schrieben Artikel für europäische Blätter. Aber wie bei den meisten Emigranten war das Geld immer knapp, so dass beide
nach neun Jahren zurückkamen. In ihren Memoiren hat Bertha von Suttner, wohl etwas idealisiert, diese Jahre mit ihrem Ehemann im Kaukasus geschildert.