GEGENINITIATIVE

Mobbing-Problem gravierend

Gemeinsam sind wir stark: Carsten Stahl (Bildmitte, über dem Plakat) mit einigen Schüler*innen der Sophie-Scholl-Schule nach dem Anti-Mobbing-Training. ((Fotos: Lebenshilfe Gießen))
 

Es ist mucksmäuschenstill in der großen Aula der Sekundarstufe der Sophie-Scholl-Schule in Gießen. Alle Schüler*innen und das gesamte Personal von Klasse 5 bis 10 sind anwesend. Trotz der vielen anwesenden Menschen würde man eine Stecknadel fallen hören. Carsten Stahl, Gewaltpräventionsberater der bundesweiten Initiative „Stoppt Mobbing will dazu beitragen, dass niemand mehr Opfer von Mobbing und Gewalt wird.

Gewalt selbst erlebt

Dass alle im Saal gebannt zuhören, liegt daran, dass Carsten Stahl ganz genau weiß, wovon er spricht – denn er hat es selbst erlebt, berichtet in einer Reportage die Pressestelle der Lebenshilfe Gießen. Stahl erzählt den 250 Schüler*innen die Geschichte eines Jungen, der über viele Monate von Mitschülern verfolgt, geschlagen, erpresst und gedemütigt wurde. Dieser Junge war er selbst.

Er berichtet von seiner Angst und Scham, vom Zuschauen und Weggucken der anderen, davon, dass er knapp dem Tod entging – und vom Teufelskreis der Gewalt. Denn Stahl wurde vom Opfer zum Täter, schlug selbst zu, um nie wieder unterdrückt zu werden. Heute weiß er, dass Gewalt immer Gegengewalt erzeugt. Seit neun Jahren ist er bundesweit in Schulen unterwegs, um Kindern und Jugendlichen zu zeigen, wie man den Ausstieg aus dieser Spirale schafft.

Respekt und Toleranz zentrale Werte

„Wir wollen als Schule ein starkes Zeichen gegen Mobbing setzen“, erklärt Susanne Hild vom Leitungsteam der Schule. „Schließlich sind Respekt und Toleranz die zentralen Werte unseres Schulkonzeptes“, ergänzt ihre Leitungskollegin Astrid Wolf-Wegner. Das Training mit Carsten Stahl bildet den Auftakt für eine kontinuierliche, klassenübergreifende Auseinandersetzung mit dem Thema Mobbing. Schließlich seien in den letzten Jahren vermehrt Schüler*innen an die Sophie-Scholl-Schule gewechselt, die an ihren alten Schulen Mobbing erlebt haben. Wie präsent das Thema ist, zeigt die Reaktion eines Schülers im Anschluss an das Training: „Ja, das war schon hart. Aber so ist das Leben da draußen. Ich habe auch schon so Situationen gesehen und das nächste Mal werde ich was sagen.“

1 Million Fälle pro Woche

Carsten Stahl, der in den letzten Jahren rund 300 Schulen beraten hat, schätzt die Zahl der Mobbing-Fälle in Deutschland auf 1 Millionen pro Woche. Laut PISA-Studie ist in Deutschland jede*r sechste Schüler*in im Alter von 15 Jahren von Mobbing betroffen. Eindeutige Zahlen sind nur schwer zu ermitteln, da die meisten Opfer ihre Gewalterfahrungen verschweigen.

Genau dagegen macht sich Stahl mit seiner gesamten Energie stark: „Mich hat Mobbing fast zerstört. Mobbing ist kein Spaß, sondern bitterer Ernst. Ihr dürft Eure Erfahrungen nicht verschweigen, sondern Ihr müsst Euch an Erwachsene wenden und sagen, was Euch passiert ist“, fordert Stahl seine jungen Zuhörer auf und ergänzt: „Mobbing ist ein Serienkiller, dem jeden Tag viele Kinder und Jugendliche zum Opfer fallen. Pro Tag bringt sich ein Kind in Deutschland wegen Mobbing um.“

Berichte über psychische Belastungen

Die inklusive Schule mit kleinen Klassen und multiprofessionellen Klassenteams bietet gerade für Schüler*innen mit Mobbing-Erfahrungen einen geschützteren Rahmen. Manche Schüler*innen bringen durch das Erlebte psychische Belastungen, wie zum Beispiel Schulangst, mit. „Der Gemeinschaftstag mit Carsten Stahl hat das Ziel erreicht, alle Mitglieder der Schulgemeinschaft für die Dringlichkeit des Themas zu sensibilisieren. Niemand soll an unserer Schule ausgegrenzt werden. Dafür stehen wir mit dem Namen von Sophie Scholl“, bekräftigt Patrick Mähling, Geschäftsführer der Sophie-Scholl-Schulen gGmbH.

Anti-Mobbing-Schüler-AG vorgeschlagen

Im Anschluss an das Training, in dem die Schüler*innen im Mittelpunkt standen, führte Carsten Stahl ein Workshop mit dem Kollegium der Sophie-Scholl-Schule durch, gefolgt von einem Info-Abend für Eltern. Für alle Beteiligten ist nach diesem intensiven Tag klar, dass die Prävention von Mobbing einen zentralen Platz im Schulalltag bekommen wird. Es wird regelmäßige Möglichkeiten zum Austausch und zur Reflexion geben, um die Sensibilität für dieses Thema aufrechtzuerhalten – zum Beispiel durch eine Anti-Mobbing-Schüler-AG. Die gesamte Schulgemeinde ist sich einig: „Wir sehen nicht weg! Wir wollen Mobbing sichtbar machen und so gemeinsam dagegen vorgehen!“

Wollen Mobbing stoppen: Die Schüler*innen der Sophie-Scholl-Schule bekräftigen dies mit ihrer Unterschrift.
 






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