„Die Bürokratie ist ganz furchtbar“
Von Klaus Nissen
Rund 700 Geflohene leben Anfang November 2022 in Bad Vilbel. Dazu zählen 330 „Weltflüchtlinge“, die aus Afghanistan, Äthiopien, Somalia und vielen anderen Ländern nach Deutschland geflohen sind. Der Begriff „Weltflüchtling“ soll sie von den geflohenen Menschen aus der Ukraine unterscheiden, die seit März 2022 nach Deutschland gekommen sind. Letztere stellen inzwischen die Mehrheit der Flüchtlinge. Es sind rund 340 Frauen und Kinder.In Bad Vilbel leben mehr als 700 Flüchtlinge
Susanne Förster leitet den Fachdienst Soziale Sicherheit im Rathaus. Damit ist sie auch für Geflohene zuständig. Vor dem Sozialausschuss berichtete sie am 2. November 2022 von der aktuellen Situation.
Nachdem Russland im Februar die Ukraine angriff, richtete sich die Stadt Bad Vilbel auf sehr viele Flüchtlinge ein. Vorsorglich wurden zwei Hallen am Sportfeld als Notunterkunft eingerichtet – doch sie mussten nicht öffnen, sagte Förster vor dem Ausschuss in der Breitwiesenhalle. Denn viele Privatleute aus Bad Vilbel nahmen die Geflohenen spontan bei sich auf.
Die meisten Ukrainer kommen privat unter
Aktuell müssten nur 90 der 330 Menschen aus der Ukraine in städtischen Unterkünften wohnen. Sie leben wie die „Weltflüchtlinge“ in elf angemieteten Wohnungen und einem halben Dutzend Gemeinschaftsunterkünften im Stadtgebiet. Die größte beherbergt laut Fachdienstleisterin 95 Menschen aus vielen Nationen auf sehr wenig Wohnraum. Drei städtische Hausmeister und ein fünfköpfiges Team von Sozialarbeitern bemühen sich, das Leben der Neu-Vilbeler in würdige Strukturen zu bringen.
Es gibt viele Probleme, sagte Susanne Förster. Das wohl größte ist für sie der Mangel an Wohnraum. Sobald es Konflikte oder Eigenbedarf bei den Gastgebern der privat untergebrachten Ukrainer gibt, muss die Stadt mit einem Obdach für die Betroffenen einspringen.
Genug Wohnungen wird es nicht geben
Doch das ist schwer zu beschaffen. Weil es kaum bezahlbare Wohnungen gibt, leben in den Gemeinschaftsunterkünften aktuell 140 „Weltflüchtlinge“ und 90 Menschen aus der Ukraine, die eigene Wohnungen beziehen dürften – aber keine finden. Susanne Förster sagte: „Ich habe erhebliche Zweifel, dass das überhaupt zu schaffen ist.“ Generell gelte, dass Geflohene mit gesichertem Aufenthaltsstatus lieber in Bad Vilbel bleiben wollten, als in ländliche Gegenden zu ziehen. Die Kinder wachsen hier auf und sollen ihr Umfeld nicht verlieren. Außerdem gibt es im Ballungsraum Arbeitsplätze.
Die Menschen aus der Ukraine genießen nach Einschätzung von Susanne Förster Vorteile gegenüber den „Weltflüchtlingen“ denn sie können sofort die etwas höheren Geldleistungen des Jobcenters bekommen und dürfen von Anfang an arbeiten. Das sei in der Praxis aber schwierig. Denn viele Menschen aus der Ukraine hätten zu wenige Sprachkenntnisse.
Mehr Flüchtlinge als 2016
Die vielen nötigen Anträge und die Wartezeiten auf Geldleistungen, Bescheinigungen und Arbeitserlaubnisse gehen nicht nur den Betroffenen auf die Nerven. Auch für das hauptamtliche Personal sei das sehr anstrengend, bekannte die Fachdienstleiterin. „Die Bürokratie ist ganz furchtbar“, entfleuchte es ihr in der Ausschuss-Sitzung.
Schon seit Dezember 2009 muss sich die Stadtverwaltung um Geflohene kümmern. Damals machte eine vierköpfige Familie aus Somalia den Anfang. 2016 lebten 600 Geflohene in der Stadt, nun sind es noch hundert mehr. Ohne die Hilfe der vielen Freiwilligen wäre die Situation kaum zu bewältigen, so Susanne Förster.
Verein sucht weitere Helfer
In den höchsten Tönen lobte sie das Engagement des Flüchtlingshilfevereins „Willkommen in Bad Vilbel“. Der hat laut eigener Homepage 177 Mitglieder. Im Haus der Begegnung am Marktplatz organisierte er zuletzt einen Integrationskurs für 23 Geflohene und parallel dazu einen Deutschkurs. Ende Oktober stellte der Verein die Ukrainerin Nina Urytska ein, die für ihre Landsleute dolmetscht und sie bei Behördengängen begleitet. Der Verein sucht weitere Flüchtlingshelfer. Er ist unter 0151- 598 51 320 oder die Webseite www.fluechtlingshilfe-badvilbel.de erreichbar.